Wir sind autistisch und das ist gut so.

Ich mag Wörter als Geräusche und Formen, aber gesprochene Wörter rutschen mir weg, taumeln wie Wolken am windigen Himmel. Tippen, Gegenstände, Gesten und Lieder erden sie.

Temple Grandin hat oft verkündet, dass (alle) autistischen Menschen in Bildern denken.

Während ich mir sicher bin, dass einige das tun (weil es die häufigste Denkweise ist, ungefähr 60% der Bevölkerung denken in Bildern), stimmt das sicherlich nicht für alle. Nicht nur das: Die falsche Annahme, dass sie das täten, kann dazu führen, dass man ihnen visuelle Lern­programme anbietet, während man ihnen die Lern­programme vorenthält, die ihre wirklichen Stärken ansprechen.

Das Ergebnis wäre, dass gleichermaßen intelligente Menschen ihr Potential nicht ausschöpfen können und fälschlicherweise eher als lernbehindert oder low-functioning einschätzt, als sie es andernfalls wären.

Anzunehmen, dass diejenigen, die nicht sprechen können, lediglich darum ringen, die fließende Bildersprache in ihren Köpfen in Worte zu fassen, heißt, eine Wirklichkeit auf Leute zu projektieren, die nicht in der Lage sind, dem zu widersprechen.

Tatsache ist, dass es viele Wege gibt, sich mit Kommunikation schwer zu tun, einschließlich jeglicher Kombination von sprachlicher Dyspraxie, Nahrungsmittel­allergien und -unverträglichkeiten, Stimmungs- und Angststörungen und schwerwiegende visuelle Wahrnehmungs­verarbeitungs­störungen, die die Fähigkeit unterbrechen, Gesehenes mit Wörtern zu verknüpfen.

Das lässt all jene, die bereits auditive Wahrnehmungs­verarbeitungs­störungen haben, quasi bedeutungstaub und bedeutungsblind – weit entfernt von Temple Grandins Annahme, dass (alle) autistischen Menschen visuell denken.

Ich tue mir schwer damit, ein Bild in meinem Kopf zu erzeugen; wie die meisten kinästhetischen Lerntypen, lerne ich durch Entdecken.

In den acht Jahren, in denen ich als Beraterin im Autismus-Bereich arbeite, habe ich von vielen Menschen im Autismus-Spektrum gehört, die ohne Bilder denken oder die Mühe haben, ein gedankliches Bild zu schaffen oder zu behalten.

Also, für’s Protokoll: Man kann nicht einfach unterteilen in auditiv-verbale nicht-autistische Denkweisen (sprachliches Denken) und visuelle autistische Denkweisen (Denken in Bildern). Das vereinfacht zu sehr und übergeht all jene, die in Systemen, in physischen/taktilen Erfahrungen und Bewegungen oder in Musik denken.

Während es im Autismus-Spektrum viele Ingenieure und Techies gibt und es Leute gibt, die Sprache verwenden und in Bildern denken, sind viele autistische Menschen weder Ingenieure noch Techies. Und tatsächlich gibt es sieben vorherrschende Lernstile, nicht nur auditiv und visuell.

Die Lernstile sind:

Als eine, die als Erwachsene mit Autismus diagnostiziert wurde (nach einer Kindheit, in der ich für gehörlos gehalten, psychotisch genannt wurde und als gestört bezeichnet wurde) – wo stehe ich?

Nun ja, ich kann Euch sagen, dass mir fast ständig Musik im Kopf herumgeht. Das ist definitiv mein vorherrschender Gedanken-Stil. Es ist sicherlich die Art, auf die ich am besten verstehen kann, welche Emotionen ich in anderen oder in mir selbst spüre in Bezug auf andere Leute, Orte und Erfahrungen.

Bis ich neun Jahre alt war, bestand ein großer Teil meines Vokabulars aus Werbesongs und Liedern.

Bis ich neun Jahre alt war, bestand ein großer Teil meines Vokabulars aus Werbesongs und Liedern. Und auch heute noch verstehe ich ein Thema viel schneller, wenn jemand sich ein Lied ausdenkt und es mir vorsingt, anstatt davon zu sprechen. Wenn ich jemandem zuhöre, ringt mein Gehirn noch immer darum, hinter die Geräusche zur Bedeutung zu gelangen. Und was Rhythmus betrifft: Ohne mich ständig zu bewegen, scheine ich geradezu hirntot zu werden.

Ich bin auch Musikerin, und etwa 30-50% meiner Verwandten väterlicherseits, die ich getroffen habe, waren entweder Künstler*innen, Musiker*innen oder Autor*innen.

Was heißt das also für Sprache und soziale Kontakte? Es heißt, dass man diese Dinge für seine Zuhörer*innen anpasst. Wer in Rom ist, soll sich wie ein Römer benehmen. Wenn Du mit einer musikalisch denkenden Person interagierst, schließe Dich ihnen an mittels Melodien, Rhythmen, Liedern, Mustern und wenn die Person dadurch Dir gegenüber und der Sprache gegenüber empfänglicher ist, dann wird die Bedeutung sich zunehmend von selbst erschließen.

Aber meine zweite Art zu lernen ist auf jeden Fall körperlich, kinästhetisch. Ich bin ein Mensch der Bewegung. Ich habe mich immer viel bewegt, war immer ein Zappelphilipp, der nicht stillsitzen konnte. Wenn sich etwas nicht bewegt, weiß ich oft nicht, was es ist. Ich rüttle an einem Gegenstand und bingo!, ich erkenne ihn.

Mit Lesen geht es mir auch so: ich finde es anstrengend und überwältigend, außer im Zug, oder vielleicht noch in einem Massagesessel. Und genauso geht es mir mit expressiver Sprache: Wenn ich spazieren gehe oder in einem fahrenden Auto sitze, bingo, bla bla bla… aber wenn ich sitze, ist es so, als würde ich auf meinem Hirn sitzen (haha). Wenn ich mich bewege, ist es so, als ob der Teil meines Gehirns, der für Sprache zuständig ist, leichter in Betrieb geht.

Was würde das für Kinder bedeuten, denen man immer nur sagt, sei still und hör zu?
Ich liebe Wörter, die eine Bewegung beinhalten, wie Schwof; diese Wörter nehmen für mich Form an, während die ohne Bewegungen wie eine nicht greifbare Sprache ist…

Ich bin keine visuelle Denkerin, Wörter nehmen für mich keine bildhafte Form an. Die 30% der Wörter, mit denen man schwerlich eine Bewegung verbinden kann, gleiten deshalb innerhalb von Sekunden in die Bedeutungslosigkeit ab und stürzen, ungesichert, in ein verfilztes Gewirr von Blabla.

Wenn ich jemandem zuhöre, ringt mein Gehirn noch immer darum, hinter die Geräusche zur Bedeutung zu gelangen.

Wenn ich Leuten zuhöre oder am Computer lese, wackle ich die ganze Zeit mit dem Fuß oder wippe mit dem Bein.

Ist das die Art und Weise, wie eine kinästhetische Person sich mit Sprache verbindet?
Als Künstlerin bin ich räumlich veranlagt, aber ich fange nicht mit Bildern an, sondern fast immer mit einem unordentlichen Muster, um dann das Bild zu finden. Ich tue mir schwer damit, ein Bild in meinem Kopf zu erzeugen; wie die meisten kinästhetischen Lerntypen, lerne ich durch Entdecken.

Meine Kunst ist sehr dreidimensional, Raum und Bewegung sind essentiell, viel mehr als Abbilder. Die meisten meiner Figuren haben keine Gesichter, sie sind redundant und weit mehr wird ausgedrückt ohne sie. Auch der Hintergrund scheint mir irrelevant und ist immer sehr minimal. Und doch ist der Ausdruck immer vollkommen, nichts fehlt.

Während es im Autismus-Spektrum viele Ingenieure und Techies gibt und es Leute gibt, die Sprache verwenden und in Bildern denken, sind viele autistische Menschen weder Ingenieure noch Techies.

Ich habe Dinge immer in Stücken gesehen, nicht als geschlossenes Ganzes, bis ich erwachsen war. Meine Fähigkeit, Gegenstände außerhalb ihres üblichen Platzes, ihrer üblichen Verwendung oder Form zu erkennen, ist sehr schlecht ausgeprägt und ich oft so bedeutungsblind, dass mit ein Psychiater einmal erklärte: Sie haben Agnosie.

Ich verwende Gegenstände, um Konzepte zu behalten, weil ich nicht in der Lage bin, wie visuelle Denktypen, ein Bild im Kopf zu behalten, ganz zu schweigen von mehreren Bildern. Meine Träume sind durch Bewegung, Motiv und Griffigkeit weit mehr als ein Bild allein. Ich spüre sie eher, als ich sie als Film wahrnehme.

Ich schreibe Filme, habe vier geschrieben, die letzten drei waren fiktional. Sie fesseln die, die sie gelesen haben und sagen, dass die Charaktere greifbar sind zu einem Grad, dass es schwer ist sich vorzustellen, dass sie nicht real sind. Und doch werden sie ohne Bilder lebendig, sie sind wie die Träume einer blinden Person. Ich spüre diese Leute, wie sie sich bewegen, und der Tanz ihrer Interaktionen miteinander. Es ist wie eine Sinfonie des Lebens. Sie handeln vom Sein, und vom Tun.

Während viele Menschen im Autismus-Spektrum visuelle Denktypen sein mögen, sind viele andere es nicht und einige haben Mühe, Systeme wie PECS zu begreifen, obwohl sie echte Gegenstände statt Bildern ganz gut verwenden können. Echte Gegenstände werden durch den Körper erfahren. Sie nehmen für kinästhetische Lerntypen Form an. Bilder müssen als Konzepte im Geist festgehalten werden, etwas, das visuelle Denktypen gut können, aber kinästhetische Denktypen bereitet es Mühe, die Bilder konsistent festzuhalten und zu nutzen.

Ich bin keine große visuelle Denkerin, obwohl ich Gegenstände und Gesten nutze, um das zu bezeichnen, womit ich mir schwer tue, es sprachlich auszudrücken. Ich denke in Systemen und bin so logisch, dass in meiner Welt alles möglich ist. Egal was für außergewöhnliche Dinge man mir erzählt, ich fasse sie fast immer als möglich auf. Das mag unlogisch klingen, aber es ist so, als ob es keine Kästchen gibt, und doch finde ich in allem das System.

In einem IQ-Test warf der Psychologe eine Fangfrage ein. Die anderen Paare waren Dinge wie Apfel und Orange, Katze und Pferd. Er fragte mich, worin die Gemeinsamkeit zwischen einem Baum und einer Fliege besteht. Ich dachte einige Zeit darüber nach, allerlei Muster blitzschnell durchgespielt. Nichts nahm Form an. Dann kam ich drauf. Sie werden beide vom Wind beeinflusst, antwortete ich.

Donna Williams

Donna Williams. Fotografiert von Chris Samuel.

Ich machte fast alles allein. Zum Teil liegt das an sensorischer Überflutung. Zum Teil liegt es an langsamer Verarbeitung und dadurch verursachtem Overload. Zum Teil liegt es an meiner Unfähigkeit, Dinge zu verstehen, ohne durch Gesten die Erfahrung hinter den Wörtern zu sehen. Aber letzten Endes bedeutet alles davon, dass ich am liebsten allein lerne. Je mehr man mich mit anderen zusammensteckt, desto weniger Informationen verarbeite ich.

Als Schriftstellerin verwende ich Wörter. Aber Tippen ist für mich viel einfacher als Sprechen. Tippen ist der einzige Ort, wo Wörter natürlich für mich sind. Ich mag Wörter als Geräusche und Formen, aber gesprochene Wörter rutschen mir weg, taumeln wie Wolken am windigen Himmel. Tippen, Gegenstände, Gesten und Lieder erden sie.

Ich bin eine Expertin im Umgang mit Wörtern, mit einem Abschluss in Sprachwissenschaft (ein sehr systemorientiertes Fach, das viel Auswendiglernen erfordert), aber ich bin nicht der normale sprachliche Lerntyp und beim Lernen auf Wörter ohne Gesten angewiesen zu sein, ist für mich eine Folter wie das Geräusch von Fingernägeln, die an der Tafel kratzen: Es spannt mich sehr an.

Ich mag es, in der Nähe von Leuten zu sein, aber nicht mitten drin. Ich bin die Fliege an der Wand. Ich mag ihre Muster und ihre Vielfalt. Es interessiert mich, was anders ist und was die Gemeinsamkeit der Unterschiede ist. Aber ich lerne zusammen mit anderen nicht gut, es ist eher ein Hindernis als eine Hilfe, es sei denn, sie haben ihren eigenen Raum, parallel zu meinem, und lernen auf kinästhetische Art durch das Tun.

Autismus: Lernstile autistischer Menschen

Zuletzt bearbeitet am 13.04.2023.

Donna Williams

Donna Williams veröffentlichte 1992 ihre Autobiografie – die erste autistische Autobiografie überhaupt. Es folgten weitere Autobiografien und mehrere Bücher über Autismus. Sie hielt Vorträge auf internationalen Autismus-Konferenzen und arbeitete als Autismus-Beraterin und als Künstlerin. Sie lebte mit ihrem Partner in Melbourne, Australien.