Wir sind autistisch und das ist gut so.

Gibt es eine frühe Verhaltensmodifikationstherapie für Autismus, die wissenschaftlich nachgewiesen ist?

Im Zusammenhang mit dem Autismus-Spektrum begegnet uns das Attribut wissenschaftlich nachgewiesen mit besonderer Häufigkeit in Bezug auf die Ergebnisse der frühen Verhaltensmodifikationstherapie, insbesondere einer bestimmten Art der frühen Verhaltensmodifikationstherapie.

In diesem kurzen Artikel werden diese Behauptungen evaluiert. Bedenken hinsichtlich der Methoden der ursprünglichen Lovaas-Studie (1987), die andere Forschende aufkommen ließen, werden kurz zusammengefasst. Insbesondere wurden wiederholt Bedenken geäußert, weil eine randomisierte Zuteilung der Teilnehmenden zur Experimental- bzw. zur Kontrollgruppe nicht stattfand.

Es wird eine neuere Studie (Smith, Groen & Wynn 2000) besprochen, bei der die notwendige zufällige Zuweisung der Teilnehmenden zur Experimental- bzw. zur Kontrollgruppe gemacht und mehrere Messungen der Ergebnisse ausgewertet wurden. Die Ergebnisse der genannten Studie mit randomisierter Zuteilung stellen sich weniger umwerfend dar als die Ergebnisse der ursprünglichen Lovaas-Studie (1987).

Das Attribut wissenschaftlich nachgewiesen ist ein geläufiger Köder für Konsument*innen. Über 20 Bücher, die auf Amazon.com beworben werden, enthalten in ihrem Titel die Wörter scientifically proven (wissenschaftlich nachgewiesen). Dazu gehören Bücher, die den Lesenden versprechen, sie können Herzerkrankungen rückgängig machen (Ornish 1996), ohne Übung körperliche Fitness erlangen (Stamford 1990), erfolgreicher Coach werden (Smith & Small 1996), altersbedingte Gedächtnis-Schwäche heilen (Crook & Adderly 1998) und Weltfrieden stiften (Roth 1994).

Über 300.000 Webseiten versprechen wissenschaftlich nachgewiesene Lösungen für Myriaden von Herausforderungen, angefangen mit dem wissenschaftlich nachgewiesenem Weg, Krebs zu stoppen bis hin zur wissenschaftlich nachgewiesen besten Art, Ihre Schuhe zu binden. Es gibt sogar eine US-amerikanische politische Partei, deren Mitglieder behaupten, dass ihre Grundlage ausschließlich aus wissenschaftlich nachgewiesenen Lösungen für Probleme der Nation besteht.

Von diesen 300.000 Webseiten, die wissenschaftlich nachgewiesene Lösungen versprechen, befassen sich über 600 mit wissenschaftlich nachgewiesenen Lösungen für Autismus. Folgende Behauptungen über Autismus sind auf diesen Werbeseiten häufig: FAKT: Es gibt ein wissenschaftlich nachgewiesenes effektives Behandlungsprinzip zur Behandlung von Kindern mit Autismus. Diese Behandlung nennt sich Applied Behavior Analysis (ABA). Die Studien zeigen, dass 47% der Kinder normales Funktionsniveau erlangen, wenn ausgebildetes, zertifiziertes Personal eingesetzt wird, und sie 30-40 Wochenstunden intensiver Einzelbehandlung bekommen. Sie sind von Gleichaltrigen nicht zu unterscheiden. (Oregon Parents United)

In der Tat behaupten viele Agenturen und Einzelpersonen, dass nur eine Art der frühen Verhaltensintervention für Autismus wissenschftlich nachgewiesen sei. Zum Beispiel BridgesABAtapes.com (ein Unternehmen, das Tonbänder für ABA-Training verkauft) behauptet: Obwohl Eltern autistischer Kinder unentwegt mit Theorien bombardiert werden, die beanspruchen, Autismus zu heilen, besteht nur eine Behandlungsform die Prüfung der Zeit und der Forschung. Applied Behavior Analysis (ABA).

Eine Studentin der Drury Universität behauptet in ihrem Bericht über ihr Sommerpraktikum, dass ABA-Therapie der einzige wissenschaftlich nachgewiesene und beschriebene Weg ist, der Vorschüler befähigt, in eine Grundschule eingeschult zu werden, von Gleichaltrigen nicht zu unterscheiden.

Ein Leser schreibt in seinem Online-Kommentar zum Buch von Maurice et al. (1996) auf der Webseite von Barnes & Noble: Die Verhaltenstherapie, die Discrete Trial Methode von Dr. Lovaas, ist die einzige wissenschaftlich nachgewiesene Behandlung von Autismus.

Das Gefühl der Einmaligkeit ist bei einigen Individuen so ausgeprägt, dass der vom New Yorker Gesundheitsamt geförderte Leitfaden für die Klinische Praxis zur Begutachtung und Intervention von kleinen Kindern mit Autismus/PDD (1999) empfiehlt, einige Interventionen in das Therapie-Programm des Kindes erst gar nicht aufzunehmen, weil sie der wissenschaftlich nachgewiesenen Intervention die Zeit stehlen könnten.

Behavior Analysis Inc. gibt eine ominöse Warnung heraus: die Aufmerksamkeit von den Behandlungsmethoden, deren Effektivität wissenschaftlich nachgewiesen wurde, abzulenken, auch nur für kurze Zeit, ist ein Bärendienst und kann schwerwiegende Konsequenzen haben.

Was für eine Wissenschaft steckt hinter diesen Behauptungen, dass eine Art der frühen Verhaltensmodifikation für Autismus wissenschaftlich nachgewiesen sei? Gibt es 30 Jahre Forschung, die die Effektivität der Methoden der Verhaltensmodifikation in Bezug auf Reduktion unangemessener Verhaltensweisen und Verstärkung der Kommunikation, des Lernens und angemessenen Sozialverhaltens demonstrieren, wie die Webseite von Surgeon General darlegt?

Diese Frage kann man beantworten, indem man den Leitfaden des New Yorker Gesundheitsamtes für die Klinische Praxis zur Begutachtung und Intervention von kleinen Kindern mit Autismus/PDD (1999) konsultiert, weil die Autoren beim Formulieren des Leitfadens eine gründliche Literaturrecherche durchgeführt haben. Sie fanden 232 Artikel, die eine Anwendung von verhaltensmodifikatorischen und erzieherischen Ansätzen an Kindern mit Autismus meldeten. […] Diese Artikel wurden systematisch überprüft, und fünf Artikel [die von vier Studien berichteten] trafen die [von den Autoren] aufgestellten Kriterien für einen adäquaten Effektivitäts-Nachweis (S. IV-17).

Demnach entsprachen nur fünf von den 232 Artikel, die die Autor*innen des New Yorker Leitfadens in ihrer erschöpfenden Literatur-Recherche fanden, ihrem eigenen Maßstab für adäquate Nachweise. Und diese fünf Artikel berichten von nur vier Studien. Diese vier Studien sind die sogenannte klassische Studie von Lovaas (1987), die vor mehr als 15 Jahren publiziert wurde, eine Studie von Birnbrauer und Leach (1993), eine Studie von Smith und Kollegen (1997) und eine Studie von Sheinkopf und Siegel (1998).

Diese vier Studien sind der einzige wissenschaftliche Beweis, der den Kriterien für adäquate Nachweise des Leifadens für Klinische Praxis des New Yorker Gesundheitsamtes genügte.

Allerdings räumt selbst der New Yorker Leitfaden ein: In keiner der vier Studien, die die Effektivitäts-Kriterien erfüllten, wurde eine randomisierte Zuteilung der Kinder zu den Behandlungsgruppen (wie zu der Gruppe, in der intensive Verhaltensmodifikation angewendet wurde bzw. zur Gruppe, die eine Vergleichsintervention bekam) praktiziert (S. IV-22).

Randomisierte Zuteilung ist die Praxis, bei der Versuchspersonen zu Situationen (d.h. Experiment bzw. Kontrolle) zugeteilt werden, so dass jede*r Teilnehmendede die gleichen Chancen hat, zu jeder der Situationen zugewiesen zu werden. Wie jede*r Wissenschaftler*in weiß, ist randomisierte Zuteilung das Herzstück der wissenschaftlichen Glaubwürdigkeit von Behandlungsstudien.

Unglücklicherweise jedoch, obwohl die Lovaas-Studie (1987) eine Experimental- und eine Kontrollgruppe beinhaltete – tatsächlich waren zwei Kontrollgruppen vorgesehen -, war die Zuteilung weder zur Experimental- noch zur Kontrollgruppe randomisiert. Vielmehr basierte die Zuteilung zur Experimental- bzw- zur Kontrollgruppe, wie die Autor*innen darlegten, auf der Verfügbarkeit des Therapeuten.

Auch die Studie von Birnbrauer und Leach (1993) hatte eine Experimental- und eine Kontrollgruppe; doch unglücklicherweise, ebenso wie in der Lovaas-Studie (1987), erfolgte die Zuteilung weder zur Experimental- noch zu Kontrollgruppe zufällig. In diesem Fall basierte sie auf etwas, das die Autor*innen praktische Faktoren nannten.

Und ebenso wenig nutzte man in der Studie vom Smith et al. (1997) und in der Studie von Sheinkopf und Siegel (1998) das klassische Studiendesign. Vielmehr nutzte man in beiden Studien retrospektive Daten (d.h. sobald die Ergebnisse bekannt waren, schauten die Autor*innen zurück in die Vergangenheit, welche Behandlungen die Proband*innen bekommen haben; die Proband*innen sind also per Definition nicht zufällig zu diesen Behandlungen zugeteilt worden).

Es qualifizieren sich von daher nur die Studie von Lovaas (1987) und die von Birnbrauer und Leach (1993) als richtiges Experimentdesign, aber leider wurde in keiner von beiden randomisierte Zuteilung benutzt, und die ist eine Vorbedingung für empirische Auswertung.

Obwohl die Autor*innen des New Yorker Leitfadens hinweisen: es wurde argumentiert, dass die [nicht-randomisierte] Methode für Gruppen-Zuteilung das Ergebnis wahrscheinlich nicht beeinflusst hat (S. IV-22), würden viele Wissenschaftler*innen die gleichen Schlüsse ziehen wie die in dem kürzlich erschienen Artikel mit dem Titel Trennen von Fakten und Fiktion in der Etiologie und Behandlung von Autismus: Wissenschaftliche Revision der Nachweise, publiziert in der Scientific Review of Mental Health Practice (Herbert, Sharp & Guadiano 2002; siehe auch Foxx 1993; Kazdin 1993; Schopler, Short & Mesibov 1989).

Der Artikel in der Scientific Review of Mental Health Practice legt nahe: die methodischen Schwächen der existierenden Studien schränken jedoch die Interpretation ihrer Wirksamkeit erheblich ein. […] Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass bis dato keine Studie ein richtiges Experimentdesign verwendete, bei dem Versuchspersonen zu Behandlungssituationen randomisiert zugeteilt wären (S. 37).

Tatsächlich schrieben Herbert und Brandsma (2001) im Leitartikel mit dem Titel Applied Behavioral Analysis bei kindlichem Autismus: Hat der Kaiser Kleider?, publiziert im Behavior Analyst Today: Vor allen Dingen war die Lovaas Studie kein richtiges Experiment, da Teilnehmende nicht zufällig zu [experimental- bzw. Kontroll-] Gruppen zugeteilt wurden. Die Art und Weise, wie Teilnehmende zu Gruppen zugewiesen wurden, lässt ernste Fragen über die Möglichkeit einer befangenen Auswahl aufkommen, die durch Unterschiede zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe vor der Intervention verdichtet werden. Diese methodischen Schwächen begrenzen die Schlüsse, die aus dieser prägenden Studie gezogen werden können (S. 47).

Doch im Jahr 2000 publizierten Smith, Groen und Wynn die erste richtige randomisierte Versuchsreihe der Frühförderung für Kinder mit Tiefgreifenden Entwicklungsstörungen. Die Autoren schreiben: Um der Kritik an der früheren Forschung zu begegnen und die methodische Strenge zu erhöhen, führten wir eine voll randomisierte klinische Versuchsreihe mit einheitlichen, verständlichen Begutachtungsprotokollen für alle Teilnehmenden durch (S. 271).

Das Experiment von Smith et al. (2000) versuchte auch andere Kritikpunkte zu überwinden. Trotz Behauptung, dass auf ABA-Prinzipien basierende Frühförderung große, verständliche, dauerhafte und sinnvolle Verbesserungen in vielen wichtigen Bereichen (Green 1996: S. 38) produzieren kann, wurden in der klassischen Lovaas-Studie nur zwei Ergebnisse gemessen: IQ-Wert nach der Behandlung und Unterbringung in einer Regelschule.

IQ-Veränderungen können eine verstärkte Befolgung der Testaufgaben widerspiegeln statt wirklicher Veränderungen kognitiver Fähigkeiten, und die Schulunterbringung könnte mehr mit Fürsprache der Eltern und Veränderungen in der Schulpolitik zu tun haben als mit realen Veränderungen in der Funktionalität. Also hat die erste randomisierte Behandlungsstudie von Smith et al. (2000) diese Einschränkungen überwunden und eine Begutachtung mehrerer wichtiger Funktionsbereiche einbezogen.

An der Studie von Smith et al. (2000) nahmen 28 Kinder teil, die zum Zeitpunkt der Aufnahme zwischen 24 und 43 Monaten alt waren, bei der Nachuntersuchung zwischen 41 und 117 Monaten. 15 Kinder wurden zur Experimentalgruppe randomisiert zugeteilt, 13 ebenfalls randomisiert zur Kontrollgruppe.

Die Kinder, die zufällig zur Experimentalgruppe zugeteilt waren, erhielten eine Intervention nach Lovaas im Schnitt 25 Stunden pro Woche für die Dauer von 18 bis 63 Monaten. Die Kinder, die zufällig zur Kontrollgruppe zugeteilt waren, erhielten Intervention wie von ihren Eltern angeboten. Mit anderen Worten, die Kontrollgruppe erhielt eine von den Eltern angeleitete Behandlung. Sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Folgeuntersuchung wurde in folgenden Bereichen gemessen: Intelligenz, akademische Leistung, Sprache, sozio-emotionale Funktionen und Anpassungsfähigkeit.

Die Forschenden maßen Intelligenz entweder mittels Stanford-Binet-Intelligenzskala (Thorndike, Hagen & Suttler 1986) oder Bayley-Skala für mentale Entwicklung (Bayley 1969) und die Merrill Palmer Scale of Mental Tests (Stutsman 1948). Akademische Leistung wurde mittels Wechsler Individual Achievement Test (WIAT) gemessen. Der WIAT wurde nur bei der Folgeuntersuchung durchgeführt. Die Sprache wurde mittels Reynell Developmental Scales (Reynell 1990) gemessen, die eine Skala für expressive Sprache – wie gut das Kind Sprache produziert – und eine für rezeptive Sprache – wie gut das Kind Sprache versteht -, beinhalten.

Sozio-emotionale Funktionen wurden mittels Achenbach Child Behavior Checklist (Achenbach 1991) bewertet. Diese Checkliste wurde nur bei der Folgeuntersuchung angewandt und sowohl von der primären Bezugsperson des Kindes als auch von dem Lehrer des Kindes ausgefüllt. Diese Checkliste umfasst solche Problemfelder wie sozialer Rückzug, soziale Probleme, Aufmerksamkeitssprobleme und Verhaltensprobleme wie aggressives Verhalten.

Anpassungsfähigkeit wurde mittels Vineland Adaptive Behavior Scales (Sparrow, Balla & Cicchetti 1984) gemessen. Diese Skalen werden abgeleitet von einem Interview mit der primären Bezugsperson. Drei Skalen fanden in der Studie Anwendung: Kommunikation, Alltagskompetenz und Sozialisation. Anpassungsfähigkeit wurde bei der Aufnahme und bei der Nachfolgeuntersuchung begutachtet.

Smith et al. (2000) berichten: Zwei von 15 intensiv behandelten Kinder erfüllten die Kriterien von Lovaas (1987) und McEachin et al. (1993), um als bestes Ergebnis zu gelten, nämlich Unterbringung in einer Regelschule ohne spezielle Unterstützung und IQ>85.

Im Gegensatz zu 47%-Erfolgsrate von Lovaas (1987) für Kinder, die mit der Intervention nach Lovaas behandelt wurden, an IQ und Schulunterbringung gemessen, melden Smith et al. bei der wissenschaftlich unabdingbaren randomisierten Zuteilung nur eine 13%-ige Erfolgsrate.

Auch die anderen Ergebnis-Messungen waren wesentlich weniger umwerfend. Es gab statistisch signifikante Unterschiede zwischen der nach Lovaas behandelten Gruppe und der Eltern-basierten Behandlungsgruppe bei der Folgeuntersuchung sowohl im Stanford-Binet als auch im Merrill Palmer. Nur marginal bestanden statistisch signifikante Unterschiede zwischen der nach Lovaas behandelten Gruppe und der Eltern-basierten Behandlungsgruppe bei der Messung der akademischen Leistung.

Allerdings ist diese statistische Analyse möglicherweise etwas beeinträchtigt, da fast bei einem Drittel der Kontrollgruppe bei diesem Test Daten fehlen.

Es gab keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen der nach Lovaas behandelten Gruppe und der Eltern-basierten Behandlungsgruppe in beiden Sprach-Skalen. Obwohl das in dem Aufsatz als signifikanter Unterschied angegeben wurde; es gab einen Fehler in der Daten-Analyse (und der Fehlerhinweis wurde nachträglich abgedruckt, Smith 2001).

Ebenso gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen der nach Lovaas behandelten Gruppe und der Eltern-basierten Behandlungsgruppe im sozio-emotionalen Funktionieren, wie mittels Achenbach Child Behavior Checklist ermittelt wurde.

Auch gab es keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen der nach Lovaas behandelten Gruppe und der Eltern-basierten Behandlungsgruppe in der Anpassungsfähigkeit, wie mittels Vineland Scales ermittelt, weder in der Kommunikation noch in der Alltagskompetenz noch in der Sozialisation, und auch nicht in der Summe aller drei Skalen. Wohlgemerkt, es gab nicht einmal in der nach Lovaas behandelten Gruppe einen Zuwachs an Anpassungsfähigkeit vom Moment der Aufnahme bis zur Folgeuntersuchung.

Smith et al. (2000) sollte man herzlich applaudieren dafür, dass sie die Intervention nach Lovaas dieser definitiven Prüfung unter Anwendung der unabdingbaren randomisierten Zuteilung unterzogen haben. Ein solches Experiment durchzuführen war bei weitem nicht einfach; wenn es das wäre, hätten es andere viel früher gemacht.

Und besonders markant: keine andere Intervention wurde bisher einer solchen empirischen Kontrolle unterworfen. Das ist ein großer Verdienst der ABA-Verfechter*innen, die beständig danach suchten, wissenschaftliche Beweise für die Effektivität ihrer Behandlung zu liefern.

Allerdings mit diesen Daten, dass sich nämlich in nur einem begutachteten Bereich statistisch signifikante Unterschiede aufgrund der Behandlung zeigten, und nur 13% die Erfolgskriterien von Lovaas (1987) erfüllten, wäre es wohl angebracht, sich folgendem Tadel aus dem Scientific Review of Mental Health Practice anzuschließen (S. 37):

Bei gegenwärtigem Forschungsstand sind Behauptungen der Heilung und Genesung von Autismus durch ABA irreführend und unverantwortlich.

Ein kürzlich erschienener New York Times Artikel über Intervention bei Autismus (Tarkan, Oktober 21, 2002) begann mit der Aussage:

Niemand hat eine Heilung für Autismus entdeckt: diese neurologische Störung, die zu lebenslangen Beeinträchtigungen des Kindes in der Fähigkeit zu sprechen, anderen zu antworten, Zuneigung zu teilen und zu lernen, führt. Doch es besteht ein wachsender Konsens, dass intensive Frühförderung sowohl effektiv als auch lebenswichtig ist – je schneller nach der Diagnose, umso besser. Frühförderung, die viele Therapiestunden mit einem oder mehreren Spezialisten [der Artikel weist später darauf hin, dass es mehrere Arten von Therapie gebe] beinhaltet, hilft nicht jedem autistischen Kind gleichermaßen … und manchen Kindern hilft sie aus unbekannten Gründen überhaupt nicht. Aber für die, denen sie hilft, sagen ihre Eltern, sind die Veränderungen wie ein Wunder.

Es obliegt jedem von uns, Wege zu finden, die zu dem führen, was jeder Elternteil ein Wunder nennen würde. Auf der Suche nach diesen Wegen sollten wir vor allen Dingen Vorsicht walten lassen, wenn wir behaupten, dass eine Art der Intervention wissenschaftlich nachgewiesen ist.



Zuletzt bearbeitet am 02.02.2022.

Prof. Morton Ann Gernsbacher

Morton Ann Gernsbacher ist Professorin an der Universität von Wisconsin–Madison und forscht zu Autismus und Psycholinguistik. Sie ist auch Mutter eines autistischen Sohnes.