Warum ich Autismus-Kultur gegründet habe
Hallo, ich bin Linus Müller. Ich bin Autist, Vater, und Gründer von Autismus-Kultur. Ich helfe dir, Autismus zu verstehen.
Damit du und deine Familie das glückliche Leben leben könnt, das ihr verdient. Ohne euch verbiegen zu müssen.
Ich sehe Autismus als wertvollen Teil der neurologischen Vielfalt der Menschheit. Autistische Kinder sind einzigartig und liebenswert. Ihre ungewöhnlichen Verhaltensweisen sind ihre Strategien, mit einer Welt zurechtzukommen, die für sie oft unberechenbar und schwer verständlich ist.
Was für nicht-autistische Menschen »bizarr« und »dysfunktional« aussieht, ist aus autistischer Sicht oft ein normales und sinnvolles Verhalten.
Ein Beispiel: Stimming (in der Psychiatrie »Stereotypien« genannt). Das sind sich wiederholende Bewegungen oder Laute, zum Beispiel mit den Händen wedeln, mit dem Oberkörper vor- und zurückschaukeln, sich um sich selbst drehen, seine Haare zwirbeln, Echolalie, oder das Wiederholen von Lauten oder Sätzen.
Wenn man Autismus als Störung betrachtet, wird Stimming automatisch zu einem Verhalten, dass unterbunden oder zumindest minimiert werden muss. Es ist einfach nicht »normal«.
Aus autistischer Sicht erfüllt Stimming viele Funktionen. Stimming kann zum Beispiel helfen, die Wahrnehmungsverarbeitung zu regulieren. Hyposensitiven Menschen hilft es, mehr Sinnesreize zu spüren, hypersensitiven Menschen kann Stimming einen Fokus geben, um bestimmte Reize auszublenden. Es kann helfen, Emotionen zu regulieren und Meltdowns zu vermeiden.
Aber warum muss ich überhaupt begründen, warum Stimming nützlich ist? Stimming ist nicht nur nützlich, es ist auch einfach da und ein Teil von uns.
Stimming tut niemanden weh. Aber Stimming wird stark negativ bewertet (manche Formen von Stimming mehr als andere). Wer öffentlich stimmt, dem trauen die Leute keine Kompetenzen mehr zu. Warum eigentlich?
Wir brauchen eine Welt, in der autistische Menschen autistisch sein dürfen, ohne dafür bewertet zu werden.
Ein anderes Beispiel: Echolalie. Echolalie bezeichnet das Wiederholen zuvor gehörter Sätze. Ein echolalisches Kind antwortet auf die Frage »Hast du Hunger?« vielleicht mit »Hast du Hunger?«.
Auch Echolalie wird traditionell als Problem gesehen, als Hindernis auf dem Weg zu einer funktionalen Sprache, als nicht-kommunikative »Stereotypie«.
Dabei haben inzwischen Forschungen gezeigt, dass Echolalie
- oft eine kommunikative Intention hat, und
- meist ein Übergangsstadium auf dem Weg zu einer selbstproduzierten Sprache ist.
Echolalie ist wahrscheinlich ein typisch autistischer Weg, sprechen zu lernen.
Wenn man das versteht, wird man nicht mehr versuchen, Echolalie zu unterbinden.
Autismus kann man nur aus autistischer Sicht verstehen.
Das war für mich der Grund, Autismus-Kultur zu gründen: Ich möchte Autismus aus autistischer Sicht zeigen und autistische Erfahrungen zusammenbringen mit aktuellen Forschungsergebnissen, um Menschen im Autismus-Spektrum und ihren Familien zu helfen, Autismus besser zu verstehen.
Ich wünsche mir, dass Autist*innen so akzeptiert werden, wie sie sind: autistisch.
Sie sind nicht krank und müssen nicht »geheilt« werden.
Sie müssen nicht »normal« gemacht werden.
Autist*innen sind normal. Normal für Autist*innen.
Autistisch zu sein in einer nicht-autistischen Welt ist nicht einfach.
Ich verstehe die Frustrationen vieler Eltern autistischer Kinder und die Herausforderungen, vor denen autistische Erwachsene stehen. Vor vielen davon habe ich selbst gestanden, vor manchen stehe ich jeden Tag.
Mein Ziel mit Autismus-Kultur ist es, Menschen im Autismus-Spektrum und ihren Familien zu helfen, gut zu leben. Glücklich zu sein. Nicht unbedingt »normal«.
Dazu erarbeite ich hier (nach und nach):
- Informationen über Autismus, mit dem Ziel, Autismus besser zu verstehen – aus autistischer Sicht.
- Lösungen, Tipps und Praxiswissen für die Herausforderungen des Alltags, von autistischen Menschen erprobt.
- Informationen über rechtliche Rahmenbedingungen, von Eingliederungshilfe über Versicherungen zum Persönlichen Budget.
Ich bin nicht Wikipedia. Ich versuche nicht, einen neutralen Standpunkt einzunehmen (sofern es so etwas überhaupt gibt). Wenn ich etwas gut finde, sage ich es, und wenn ich etwas nicht gut finde, auch.
Aber ich versuche, möglichst transparent zu arbeiten: Ich nenne dir Quellen für meine Aussagen, oder erkläre meinen Gedankengang dahinter.
Und ich nenne dir die Werte, die eine Grundlage für meine Arbeit sind: Vielfalt, Selbstbestimmung, Inklusion, Akzeptanz und Respekt.
Ich glaube an Vielfalt.
Ich sehe Autismus nicht als Krankheit oder Störung, sondern als Teil der neurologischen Vielfalt der Menschheit.
Ich denke nicht, dass man versuchen sollte, Autismus zu heilen
.
Diese Versuche haben Menschen im Autismus-Spektrum viel Leid und keinen Nutzen gebracht. Viele autistische Menschen sprechen sich gegen eine Heilung von Autismus aus – trotz der vielen Schwierigkeiten und Barrieren, vor denen sie täglich stehen.
Die Ziele sollten sein:
- eine möglichst barrierearme Welt zu schaffen
- autistischen Menschen ein selbstbestimmtes Leben (einschließlich selbstbestimmter Unterstützung) zu ermöglichen
- autistische Menschen zu akzeptieren und zu respektieren, wie sie sind
- Vielfalt zu begrüßen.
Außerdem sind autistische Menschen vielfältig: Wir sind alt oder jung, schwul oder transgender, Migrant*innen oder Geflüchtete, schwarz oder jüdisch, lernbehindert oder hochbegabt, depressiv oder obdachlos.
Diese Vielfalt muss sich widerspiegeln in der Unterstützung für autistische Menschen.
Selbstbestimmte Unterstützung
Ich denke, dass einige sogenannte Autismus-Therapien
schädlich und sogar gefährlich sind.
Aber es gibt auch sinnvolle Formen der Unterstützung und Förderung. Jeder Mensch braucht Unterstützung, und Kinder brauchen besonders viel davon.
Es ist kein Defizit oder Makel, wenn eine Person 24 Stunden am Tag und 7 Tage die Woche Unterstützung braucht.
Wichtig ist, dass sie ihr Leben trotzdem selbstbestimmt gestalten darf. Unterstützung und Selbstbestimmung dürfen sich nicht ausschließen!
Manche Therapien
sind vom Grundsatz her nicht selbstbestimmt. Dazu zählt zum Beispiel ABA. Deshalb lehne ich ABA ab.
Barrierefreiheit und Inklusion
Kindergärten, Schulen, Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen, Behörden und die Arbeitswelt sind auf nicht-autistische Menschen ausgerichtet.
Wenn autistische Menschen überhaupt mitbedacht werden, dann nur als Sonderfälle
, für die man spezielle Regelungen
treffen muss oder die Anspruch auf einen Nachteilsausgleich
haben.
Wie wäre es, viele Nachteile erst gar nicht entstehen zu lassen, Barrieren gar nicht erst aufzubauen? Das wäre Inklusion. Und dann müsste man nicht hinterher mühsam Sonderwege darum herum bauen.
Die Welt muss sich endlich daran gewöhnen, dass nicht alle Menschen gleich sind.
Respekt und Akzeptanz
Ich will, dass autistische Menschen als autistische Menschen akzeptiert und respektiert werden. Ich will nicht, dass sie daran gemessen werden, wie gut
sie funktionieren oder wie ununterscheidbar
von nicht-autistischen Menschen sie vielleicht sind.
Autistische Menschen sollten nicht intelligent, erfolgreich oder nicht-autistisch sein müssen, um als Menschen akzeptiert und ernst genommen zu werden.