Wir sind autistisch und das ist gut so.

Viele Autist*innen verwenden Echolalie. Für ihre Umgebung ist es oft unverständlich, warum sie das tun.

In diesem Artikel geht es darum, Echolalie besser zu verstehen. Zum einen, um besser mit autistischen Menschen kommunizieren zu können, und zum anderen, um autistische Kinder bei der Sprachentwicklung unterstützen zu können.

Echolalie bei Menschen im Autismus-Spektrum: Was ist Echolalie? Warum verwenden autistische Menschen Echolalie? Welche Funktionen hat Echolalie?

Als Echolalie bezeichnet man das Wiederholen der Äußerungen anderer. Zum Beispiel:

Person 1: Hast du Hunger?
Autist: Hast du Hunger?

Manche sogenannten Autismus-Expert*innen sagen, dass Echolalie nonfunktional sei. Sie sei nur ein Hindernis auf dem Weg zu einer funktionalen Kommunikation.

Sie liegen völlig falsch.

Echolalie spielt eine wichtige Rolle in der Sprachentwicklung und Kommunikation vieler autistischer Menschen.

Zum einen ist Echolalie eine typisch autistische Art, sprechen zu lernen. Wir wissen heute, dass viele autistische Menschen Echolalie verwenden, bevor sie anfangen, in selbst erzeugten Sätzen zu sprechen. Schon deshalb wäre es fatal, echolalische Äußerungen zu bestrafen oder zu unterbinden.

Zum anderen ist Echolalie (oft) sinnhafte Kommunikation – auch wenn das für Außenstehende nicht immer erkennbar ist.

Echolalie ist ein typisch autistischer Weg, sprechen zu lernen.

Was ist Echolalie?

Als Echolalie (von griech. ἠχώ (echó) Nachhall und λαλώ (laló) ich rede) bezeichnet man das (unaufgeforderte) Wiederholen dessen, was eine andere Person gesagt hat.

Echolalie ist keine Störung, sondern ein Hinweis darauf, dass das Kind (noch) Schwierigkeiten hat, eigene Sätze zu produzieren.

Bei jüngeren Kindern ist Echolalie eine normale Phase der Sprachentwicklung.

Echolalie als normale Phase der Sprachentwicklung

Ungefähr mit neun Monaten fangen Babys an, die Wörter, die sie von ihren Eltern hören, nachzuahmen. Das nennt man physiologische Echolalie; es dient dem Spracherwerb.

Wenn kleine Kinder anfangen, erste Wörter zu sprechen, verwenden sie oft eine echolalische Art der Nachahmung, um zu kommunizieren.

Wenn man ein einjähriges Kind fragt: Möchtest Du einen Keks?, sagt es vielleicht Keks (oder tets). Es sagt noch nicht ja, aber es teilt mit, dass es einen Keks haben möchte.

Bis zum Alter von etwa zweieinhalb Jahren verwenden nicht-autistische Kinder allmählich komplexere Arten der Kommunikation. Sie verwenden Echolalie vielleicht noch, wenn sie komplizierte Fragen beantworten, aber sie teilen sich nicht mehr ausschließlich durch Echolalie mit. Im Alter von drei Jahren verwenden sie Echolalie nur noch ganz selten oder gar nicht mehr. In diesem Alter sind die meisten Kinder in der Lage, ihre Gedanken durch einfache selbst erzeugte Sätze auszudrücken, um mit ihrer Umgebung zu kommunizieren.

Echolalie bei älteren Kindern und Erwachsenen

Wenn ältere Kinder Echolalie verwenden, sollte untersucht werden, was der Grund dafür ist. Das Kind könnte autistisch sein, aber es könnte auch eine spezifische Sprach- oder Kommunikationsstörung der Grund für die Echolalie sein. Auch blinde Kinder verwenden manchmal Echolalie.

Und auch andere neurodivergente Menschen verwenden manchmal Echolalie, zum Beispiel Menschen mit Aphasie, Demenz, Epilepsie (kurz nach einem epileptischen Anfall), Schizophrenie oder Tourette-Syndrom. Die Gründe dafür können andere sein als bei autistischen Menschen.

Wie viele autistische Kinder verwenden Echolalie?

Es sind also nicht nur autistische Kinder, die echolalisch sprechen. Und andererseits verwenden nicht alle autistischen Kinder Echolalie.

Es ist relativ schwierig einzuschätzen, welcher Anteil autistischer Kinder echolalisch ist. Eine Zahl, die man immer wieder findet, ist 75%. Demnach verwenden 3 von 4 sprechenden autistischen Kindern Echolalie über das Kleinkindalter hinaus.

Diese Zahl muss man mit Vorsicht betrachten. Sie stammt aus den frühen 80er Jahren, als das Asperger-Syndrom praktisch unbekannt war. Man kann annehmen, dass Kinder mit Asperger-Syndrom weniger Echolalie verwenden, weil sie bessere sprachliche Fähigkeiten haben. (Echolalie korreliert mit dem Sprachverständnis: Je besser das Sprachverständnis, desto weniger Echolalie).

Und es ist nicht klar, wie lange und wie häufig autistische Kinder Echolalie verwenden. Echolalie ist oft ein Übergangsstadium der Kommunikation. Über Erwachsene sind mir keine Zahlen bekannt.

Warum verwenden autistische Menschen Echolalie?

Als echolalisches Kind habe ich nicht verstanden, wofür Wörter verwendet werden. Wenn ich Sätze wiederholt habe, dann nur, weil ich gespürt habe, dass irgendeine Reaktion mit Geräuschen erwartet wurde. Zu spiegeln war meine Art zu sagen: ›Guck mal, ich kann eine Beziehung herstellen. Ich kann auch Geräusche machen.‹

Donna Williams

Warum autistische Menschen Echolalie verwenden, verstanden Forschende lange falsch. Anfangs wurde Echolalie (wie andere autistische Verhaltensweisen auch) psychoanalytisch erklärt. Es galt als feindliches Verhalten, das eine Störung der Ich-Entwicklung anzeigt.

Als die Psychoanalyse vom Behaviorismus abgelöst wurde, galt Echolalie als eine selbst-stimulierende Verhaltensweise, die autistische Kinder am Lernen hinderte. Diese Ansicht ist auch heute noch verbreitet.

Die ABA-Methode versucht zum Beispiel, echolalische Äußerungen zu unterbinden (meistens durch Strafe), damit das Kind anfangen kann, etwas zu lernen (Lovaas 1974).

Leider besteht die bevorzugte ABA-Methode des Sprachtrainings darin, dass das Kind nachahmt, was die ABA-Kraft vormacht. Es muss verwirrend für alle sein.

Andererseits gab es schon früh Wissenschaftler, die entgegen dem Zeitgeist darauf hingewiesen haben, dass Echolalie zielführend ist: ein Meilenstein auf dem Weg zu einer selbstproduzierteren Sprache. Darunter waren Barry Prizant, Warren Fay und sogar Leo Kanner.

Echolalie ist oft vorübergehend. Es bietet autistischen Kindern eine Möglichkeit zu kommunizieren, zu einem Zeitpunkt, zu dem sie keine eigenen Sätze produzieren können. Es gibt aber auch autistische Menschen, für die Echolalie dauerhaft ein wesentlicher Teil ihres Kommunikationsrepertoires bleibt.

So unterschiedlich wie die sprachlichen Fähigkeiten echolalischer Autist*innen sind auch ihre Gründe, Echolalie zu verwenden.

Ein Grund liegt im Verständnis von Sprache. Autistische Kinder schreiben oft eine einzelne Bedeutungseinheit einem größeren Segment gesprochener Sprache zu. Das heißt: Was ein Kind anfangs als kommzutisch wahrnimmt, bedeutet für das Kind möglicherweise nur Tisch.

Das Kind hat sich vielleicht gemerkt, dass die Mutter sagt: Willst du etwas zu essen? und ihm dann Essen gibt. Als es Hunger hat, sagt es zur Mutter den Satz, auf den immer das Essen folgt: Willst du etwas zu essen?

Erst allmählich lernt das Kind, immer kleinere Teile des ursprünglichen Satzes zu isolieren und individuelle Wörter und grammatische Strukturen zu verwenden, um eigene Sätze zu erzeugen.

Ein weiterer Grund liegt in der aktiven Sprache. Wenn es einem Kind (oder Erwachsenen) schwerfällt, Sätze selbst zu erzeugen, kann Echolalie eine Möglichkeit sein zu kommunizieren.

Weil Echolalie viele Funktionen haben kann (dazu komme ich noch), gibt es noch weitere Gründe. Zum Beispiel kann das Wiederholen von Wörtern eine Form von Stimming sein und keine kommunikative Bedeutung haben.

Echolalie bei Kindern im Autismus-Spektrum

Arten von Echolalie

Unmittelbare und verzögerte Echolalie

Echolalie kann unmittelbar oder verzögert sein. Von unmittelbarer Echolalie spricht man, wenn die Wiederholung ohne zeitliche Verzögerung erfolgt.

Ein Beispiel für unmittelbare Echolalie:

Ein Mann ist mit seinem Sohn im Zoo. Er fragt ihn: Sind das echte Zebras oder welche im Buch? Der Junge antwortet ohne zu zögern: Welche im Buch, obwohl gerade zwei große, sehr echte Zebras auf ihn zulaufen.

In diesem Beispiel ist klar, dass es sich um Echolalie handelt. Was aber, wenn der Vater gefragt hätte, Willst du dir noch weitere Tiere ansehen oder willst du nach Hause? Der Junge hätte geantwortet nach Hause und hätte sich, bevor er sich versah, im Auto wiedergefunden, auf dem Weg nach Hause. Dort hätte er wahrscheinlich einen Wutanfall gehabt, weil er noch die Giraffen, Elefanten und all die anderen Tiere hatte ansehen wollen.

Unmittelbare Echolalie führt oft zu solchen Missverständnissen. Eltern und andere Menschen müssen darüber nachdenken, wie sie ihre Fragen so formulieren können, dass sie die wirklichen Wünsche der autistischen Person erkennen können.

Verzögerte Echolalie

Verzögerte Echolalie ist die Wiederholung von Gesagtem, nachdem einige Zeit vergangen ist. Wir alle machen das manchmal: Manche Zitate aus Filmen, Büchern oder der Zeitgeschichte sind fest im kulturellen Gedächtnis verankert. Wir benutzen sie, um über ein kurzes Stichwort viel kommunizieren zu können. Zum Beispiel:

Houston — wir haben ein Problem.

Apollo 13

Verzögerte Echolalie kann auch die Wiederholung dessen sein, was Eltern, Freunde, Lehrkräfte oder andere Menschen in der Umgebung Tage, Wochen oder Monate vorher gesagt haben.

Für Menschen, die nicht mit dem Kind vertraut sind, erscheinen diese Äußerungen möglicherweise unpassend und nicht sinnhaft. Das Kind bringt sie aber mit etwas Bestimmtem in Verbindung. Ein wiederholter Satz kann zum Beispiel eine bestimmte Erinnerung repräsentieren, ein Gefühl oder ein Interesse.

Ein Beispiel für verzögerte Echolalie:
Eine Mutter sagt ihrer Tochter, dass sie nicht fernsehen kann, weil der Fernseher kaputt ist. Das Mädchen ist traurig. Einige Tage später sagt die Mutter ihrer Tochter, dass der Vater auf eine Dienstreise gehen wird. Das Kind antwortet: Der Fernseher ist kaputt.

Das Mädchen will ausdrücken, dass sie traurig ist, dass ihr Vater einige Tage weg sein wird. Sie hat nicht die Worte, um das sagen, und verwendet deshalb einen Satz, den sie mit einem Gefühl der Traurigkeit verknüpft.

Wenn die Mutter die Antwort ihrer Tochter versteht, kann sie deren Gefühle verbalisieren, zum Beispiel Ich weiß, dass du traurig bist, aber der Papa kommt bald wieder. Wenn sie sich nicht sicher ist, was gemeint ist, ist es besser nachzufragen: Bist du traurig, weil der Papa verreist ist?

Wenn die Tochter aus der Schule kommt und sagt: Der Fernseher ist kaputt, wird die Mutter aufhorchen und versuchen zu erfahren, was passiert ist.

Anders als unmittelbare Echolalie ist verzögerte Echolalie nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Jim Sinclair, autistischer Aktivist, sprach zum Beispiel lange nur in Form von Echolalie – was seiner Umgebung aber nicht bewusst war:

Was nur Sinclair wusste, war, dass er bis zum Alter von zwölf Jahren vor allem echolalisch sprach. ›Man musste mir die Sätze erst geben,‹ erinnert er sich; ›dann konnte ich aussuchen, welche ich in einer bestimmten Situation braucht. Ich konnte Sätze aus Schulbüchern verwenden, oder welche, die der Lehrer gesagt hatte, und sie nachplappern, also bekam ich gute Noten. Aber was ich nicht gut konnte, war, selbst neue Sätze zu bilden.‹

aus Neurotribes

Manche autistischen Menschen haben ein komplexes Repertoire an Sätzen gebildet, mittels denen sie kommunizieren. Wenn die Sätze in den Kontext passen, wird das nicht immer als Echolalie erkannt.

Autistische Menschen verwenden diese Versatzstücke zum Beispiel, um sozialen Regeln zu folgen oder Smalltalk zu machen.

Die Gefahr dabei ist, dass die Person sich in der Rolle verliert und ihre eigenen Interessen aus den Augen verliert: Möglicherweise kommuniziert sie etwas anderes, als sie wollte.

Manche Menschen im Autismus-Spektrum verstehen, dass Kommunikation von ihnen erwartet wird, verstehen aber nicht den Sinn davon – ihre Worte drücken dann nicht unbedingt ihre Gedanken aus.

Ich hatte ein riesiges Repertoire an zusammenpassenden Phrasen und Sätzen und konnte sie sogar passend zu der Situation verwenden, in der ich mich befand, und es überzeugend klingen lassen. Es hat aber lange gedauert, die Verbindung zwischen all diesen zusammenpassenden Sätzen und dem, was ich gedacht habe, zu entwickeln und zu verankern.

Mel Baggs

Wenn ein Kind verzögerte Echolalie verwendet, sieht es vielleicht so aus, als hätte es gute sprachliche Fähigkeiten. Das Kind versteht aber möglicherweise nicht alles, was es sagt.

Exakte Wiederholungen und leichte Umformungen

Unterschieden wird auch zwischen exakter Wiederholung und leichter Abänderung. Solche Umformungen können zum Beispiel die Pronomen oder die Satzstellung betreffen.

  • Exakte Wiederholung:
    Frage: Was isst du?
    Autistische Person: Was isst du?
  • Mit Konvertierung:
    Frage: Was isst du?
    Autistische Person: Was esse ich?
  • Veränderte Wortstellung und Konvertierung:
    Frage: Was isst du?
    Autistische Person: Was ich esse?

Oft verwenden autistische Menschen erst nur die exakte Wiederholung und später, wenn ihre sprachlichen Fähigkeiten sich weiterentwickeln, auch Umformungen.

Wozu dient Echolalie?

Barry Prizant, der seit mehr als vier Jahrzehnten mit autistischen Menschen arbeitet, hat die Funktionen von Echolalie kategorisiert und beschrieben. Ich zeige hier seine Einteilung, die ich mit Beispielen veranschaulicht habe.

Echolalie hat eine Vielzahl kommunikativer Funktionen. Sie ermöglicht es Menschen zum Beispiel:

  • Kontakt aufzunehmen
  • am Gespräch teilzunehmen oder eine Interaktion aufrechtzuerhalten (auch wenn es schwerfällt, Sätze zu bilden)
  • eine Bitte zu äußern
  • eine bejahende Antwort zu geben
  • zu protestieren
  • eine Handlung verbal abzuschließen
  • Informationen mitzuteilen
  • Dinge zu benennen
  • Zeit zu gewinnen, um das Gehörte zu verarbeiten und eine Antwort zu formulieren

Oft bemerkt man, dass nonverbale Anzeichen von Interesse und Verständnis (wie zum Beispiel Blickkontakt, Körpersprache und Gesten) in Kombination mit Echolalie verwendet werden. Die kommunikative Absicht wird dadurch deutlicher, sie kann aber auch ohne begleitende nonverbale Kommunikation vorhanden sein.

Aber nicht jede echolalische Äußerung ist kommunikativ. Nicht-kommunikative Echolalie kann zum Beispiel folgende Funktionen haben:

  • Üben eines Satzes
  • Selbstregulation
  • Stimming
  • gedankliche Assoziationen
  • Erinnerungshilfe
  • Steuerung von Emotionen

Funktionen von Echolalie

Um diese Funktionen besser zu verstehen, gehe ich hier ins Detail und nenne für jede Funktion ein Beispiel:

Funktionen unmittelbarer, kommunikativer Echolalie

  • Am Gespräch teilnehmen/die Interaktion aufrechterhalten
    Wenn die autistische Person das Prinzip eines Gesprächs versteht (dass Leute abwechselnd sprechen), aber (noch) nicht genau weiß, was sie sagen will oder das nicht ausdrücken kann, nimmt sie in echolalischer Form am Gespräch teil.

    Es kann auch sein, dass die autistische Person den Sinn des sprachlichen Austauschs nicht versteht, aber versteht, dass irgendeine Reaktion von ihr erwartet wird.

    Manche autistischen Menschen brauchen einfach Zeit, um das Gehörte zu verarbeiten, über eine Antwort nachzudenken und diese zu formulieren. Die Wiederholung ermöglicht es, trotzdem unmittelbar zu reagieren, und sie kann auch helfen, die Worte zu verstehen.

    Beispiel:
    Person 1: Was hast du am Sonntag gemacht?
    Autistin: Was hast du am Sonntag gemacht? und wirft Person 1 einen kurzen Blick zu.
    Person 1: Hast du Oma besucht?
    Autistin: Hast du Oma besucht? und wirft Person 1 wieder einen kurzen Blick zu.

    (Diese Blicke sind kein notwendiger Teil dieser Interaktion, aber sie machen das Beispiel eindeutiger.) Eine autistische Person, die über ein gewisses Maß an selbstproduzierter Sprache verfügt, sagt vielleicht schließlich: Nicht Oma, Zoo. Die Person brauchte Zeit, um das Gehörte zu verstehen und eine Antwort zu formulieren.

  • Benennung
    Äußerungen, die Gegenstände, Handlungen oder Orte benennen. Sie sind begleitet von hinweisenden Gesten.

    Beispiel:
    Person 1: (sieht nach, wie viele Kekse noch in der Keksdose sind) Ich sollte mal wieder Kekse kaufen.
    Autistin: (berührt ebenfalls die Keksdose) Ich sollte mal wieder Kekse kaufen.

    Keine Reaktion von Person 1 ist nötig. Die Autistin versucht nicht, einen Keks aus der Dose zu nehmen.

  • Bejahende Antwort
    Äußerungen, die verwendet werden, um eine Frage mit ja zu beantworten.

    Beispiel:
    Person 1: Willst du Saft?
    Autist: Willst du Saft? (sieht die Saftflasche an, streckt die Hand aus und wartet auf ein Glas Saft)

  • Bitte
    Äußerungen, die verwendet werden, um Gegenstände zu bitten, oder darum, dass andere Menschen etwas tun.

    Meistens Echolalie mit leichten Umformungen. (Exakte Wiederholungen sehen ähnlich aus wie die bejahende Antwort.)

    Beispiel 1:
    Person 1: Willst du fernsehen?
    Autistin: Ja, du willst fernsehen, bitte.
    Beispiel 2:
    Person 1: Kannst du mir das geben?
    Autist: Ja, Jonathan kann mir das geben?

Funktionen unmittelbarer, nicht-kommunikativer Echolalie

  • Unfokussiert
    Äußerungen, die ohne kommunikative Absicht gemacht werden; oft wenn die Person in großer Erregung ist (zum Beispiel Angst, Frust, Schmerz). Scheint kein Versuch der Selbstregulation zu sein.

    Beispiel:
    Person 1: Was ist passiert? Warum schreist du?
    Autist: Geht auf und ab, wedelt mit den Händen, zwischendurch schreit er und schlägt sich ins Gesicht, und sagt zu sich: Was ist passiert? Warum schreist du?, wiederholt dann Was ist passiert? Warum schreist du? und schlägt sich wieder ins Gesicht.

  • Übung
    Äußerungen, die verwendet werden, um das Gehörte lautlich und inhaltlich zu verarbeiten. Oft gefolgt von einer Äußerung oder Handlung, die zeigt, dass die wiederholten Worte verstanden wurden.

    Beispiel:
    Person 1: Gib Lisa das Buch. (Übergibt das Buch an Autist)
    Autist: (Dreht sich um, geht auf und ab, sagt mehrmals leise vor sich hin) Gib Lisa das Buch. (Geht dann zu Lisa und gibt ihr das Buch.)

  • Selbstregulation
    Äußerungen, die dazu dienen, die eigenen Handlungen zu steuern. Oft gleichzeitig mit Bewegungen.

    Beispiel:
    Vater: Hüpf nicht auf dem Bett.
    Autistische Tochter: (Sagt mehrmals zu sich selbst) Hüpf nicht auf dem Bett (währenddessen hüpft sie allmählich weniger, hört dann auf und schließlich vom Bett herunter steigt.

Funktionen verzögerter, interaktiver Echolalie

  • Am Gespräch teilnehmen/die Interaktion aufrechterhalten
    Äußerungen, die in einem wechselseitigen Gespräch als Füllsel verwendet werden.

    Beispiel:
    Person 1: Was hast du am Wochenende gemacht?
    Autist: Lass im Schwimmbecken die Badehose an.
    Person 1: Oh, du warst schwimmen?
    Autist: Zieh deine Schwimmbrille an. Dann kriegst du kein Chlor in die Augen.«

  • Verbaler Abschluss
    Äußerungen, die bekannte verbale Routinen abschließen, die von anderen begonnen wurden.

    Beispiel:
    Person 1: Wasch dir die Hände.
    Autistisches Kind: (sagt beim Händewaschen) Gut gemacht. (Seine Lehrerin sagt das normalerweise.)

  • Bereitstellung von Informationen
    Äußerungen, die neue Informationen geben, die aus dem unmittelbaren Zusammenhang nicht ersichtlich sind. Diese Äußerungen können selbst initiiert sein oder antwortend.

    Beispiel:
    Ein Vater fängt an, das Frühstück zu machen. Er sagt: Was willst du zum Frühstück?
    Sein autistischer Sohn fängt an, ein Werbe-Jingle für eine Cornflakes-Marke zu trällern – seine Art mitzuteilen, dass er Müsli zum Frühstück möchte. Im Gespräch wurden zuvor keine Cornflakes erwähnt, und es war auch keine Cornflakes-Packung sichtbar, die das Kind auf die Idee gebracht haben könnten.

  • Benennung
    Äußerungen, die Gegenstände oder Handlungen in der Umgebung benennen.

    Beispiel:
    Ein Vater und sein autistischer Sohn sortieren Video-CDs. Der Junge greift nach einer Sesamstraßen-CD und singt ein bestimmtes Lied. Dabei blickt er kurz zum Vater. Der Vater bestätigt: Ja, das ist eins deiner Lieblingslieder auf dieser CD.
    Der Junge sieht weiter den Stapel durch, er macht keine Anzeichen, dass er die CD ansehen will; es war also lediglich ein Kommentar, dass er die CD und das Lied darauf erkannt hat.

  • Protest
    Äußerungen, die gegen die Handlungen anderer protestieren. Kann verwendet werden, um den Handlungen anderer zu widersprechen oder Verbote widerspiegeln, die andere ausgesprochen haben.

    Beispiel:
    Ein autistisches Kind sieht, wie ein anderes Kind Papier auf den Boden wirft. Es sagt: Wie oft habe ich dir gesagt, dass du das nicht tun sollst? Ich hab dir das schon tausendmal gesagt. Heb es wieder auf. Ich zähle bis drei. Eins – zwei – drei.

  • Bitte
    Äußerungen, die verwendet werden, um um etwas zu bitten.

    Beispiel:
    Ein autistisches Kind geht zu seiner Mutter und sagt: Willst du Saft?, um zu sagen, dass es Durst hat.

  • Kontakt aufnehmen/eine Interaktion einleiten
    Äußerungen, die verwendet werden, um auf sich aufmerksam zu machen oder eine Interaktion einzuleiten oder aufrechtzuerhalten.

    Beispiel:
    Ein autistisches Kind namens Henry geht zu einem Erwachsenen und sagt: Henry ist ein interessanter Name«, um eine Interaktion einzuleiten.

  • Bejahung/Bestätigung
    Äußerungen, die verwendet werden, um die vorhergehende Äußerung zu bestätigen.

    Beispiel:
    Der Vater fragt seine autistische Tochter: Was willst du als Snack? Saft? Einen Keks? Banane?
    Das Mädchen sagt: Willst Du Saft?, um mitzuteilen, dass sie Saft will.

  • Bitte/Anweisung/Anleitung
    Äußerungen (oft im Imperativ), die verwendet werden, um die Handlungen anderer zu dirigieren.

    Beispiel:
    Eine Autistin geht zu ihrer Assistenz, die neben dem Fernseher steht, und sagt: Du. Auf die Plätze, fertig, los. Berühre deine Zehen, 1-2-3-4-5-6-7-8. Jetzt nach links … Sie verwendet die Sätze aus einem Video, um mitzuteilen, dass ihre Assistenz das Fitness-Video einlegen soll (eine Handlung), damit die Autistin Sport machen kann.

Funktionen verzögerter, nicht-interaktiver Echolalie

  • Unfokussiert
    Äußerungen ohne kommunikative Absicht oder Bezug zum situativen Kontext. Kann Stimming sein.

    Beispiel:
    Ein autistischer Junge wandert durchs Klassenzimmer und gibt Teile einer Sportschau wieder, die er in der Vergangenheit einmal gesehen hat.

  • Gedankliche Assoziationen
    Äußerungen ohne kommunikative Absicht, ausgelöst durch einen Gegenstand, eine Person, Situation oder Handlung. Im Prinzip eine Art zu sagen: Ach, das erinnert mich an …

    Beispiel:
    Ein autistisches Mädchen sieht auf einem Rasierapparat das Logo des Herstellers. Sie fängt an, die Bayern München-Hymne zu singen. Das Kind hatte das Logo bei einer Fußball-Übertragung im Fernsehen gesehen; der Hersteller ist einer der Sponsoren des Vereins.

  • Übung
    Äußerungen, die erst leise gemacht werden, dann lauter wiederholt werden, diesmal mit interaktiver Absicht. Die erste Äußerung scheint zur Übung zu sein.

    Beispiel:
    Die Mutter fragt: Was willst du essen?
    Ihr autistischer Sohn sagt ein paar Mal leise vor sich hin: Ich will Joghurt. Dann blickt er die Mutter an und sagt: Ich will Joghurt, diesmal in normaler Lautstärke.

  • Benennungen
    Äußerungen, die ohne kommunikative Absicht Gegenstände oder Handlungen benennen. Das kann eine Form der Übung sein, um Sprache zu lernen.

    Beispiel:
    Eine Autistin bemerkt ein offenes Fenster. Sie läuft im Kreis herum und wiederholt dabei immer wieder: Fenster. Kannst du das Fenster schließen? Es ist kalt hier. (Draußen hat es 30 Grad.) Kannst du das Fenster schließen? Sie versucht nicht, das Fenster zu schließen oder jemand anderen dazu zu bringen, es zu tun.

Nicht-interaktive Echolalie:

Nicht-interaktive Echolalie kann Stimming sein, oder als Erinnerungshilfe oder zur Steuerung von Emotionen dienen.

Stell dir vor, dass du die Geräusche der Wörter ›pinker Pelz‹ einfach liebst. Denk nicht darüber nach, was sie bedeuten. Tu so, als ob du nur die Laute und Betonung fühlst. Stell dir vor, es lässt dich vor Entzücken schaudern, und zugleich entspannen … Wenn du es mehrfach wiederholst, lässt es dich ganz ruhig werden: ›Pinker Pelz, pinker Pelz‹. Wörter können auch lustig sein und dich zum Lachen bringen.

Jasmine O’Neill

Erinnerungshilfe: das Wiederholen von Wörtern oder Phrasen, um sich an eine Aufgabe zu erinnern. Wenn man vom Partner gebeten wird, Tomaten, Zucchini und Brot zu kaufen, könnte man auf dem Weg zum Supermarkt wiederholen: Tomaten, Zucchini und Brot, um nichts davon zu vergessen.

Erinnerungen verarbeiten: Wenn Erinnerungen aufkommen, kann Echolalie eine Art sein, um sie zu sortieren und zu verarbeiten. Wenn ein Kind sich nach der Schule an etwas erinnert, was die Lehrerin gesagt hat (Sarah, wasch dir die Hände, wenn du mit den Fingerfarben fertig bist), dann wiederholt es die Worte vielleicht, um die Situation besser verstehen und einordnen zu können.

Steuerung von Emotionen: Wenn du dich in einer akuten Stress-Situation befindest und jemand sagt: Alles wird gut, dann wiederholt man vielleicht für sich selbst alles wird gut, alles wird gut …, um sich zu beruhigen.

Stimming: Auch Stimming kann zur Regulierung von Gefühlen dienen, aber es kann noch viele weitere Funktionen haben. Stimming kommt in vielen Varianten vor, und manche davon beinhalten das Lautieren oder Vokalisieren von Wörtern oder Sätzen.

Es ist wichtig zu verstehen, dass auch nicht-interaktive Echolalie einen Sinn hat. Man sollte nicht versuchen, sie zu unterdrücken. Es kann sinnvoll sein, darauf zu achten, wann diese Form der Echolalie verwendet wird – falls es vor allem Stress-Situationen sind, kann man Wege suchen, den Stress zu reduzieren.

Noch ein Wort zur Vorsicht: Es ist manchmal schwierig zu erkennen, ob echolalische Äußerungen kommunikativ sind oder nicht. Ergebnisse empirischer Forschungen deuten inzwischen stark darauf hin, dass Echolalie meistens kommunikatives Verhalten ist.

Weil viele autistische Menschen nicht die übliche Körpersprache verwenden, wenn die kommunizieren, ist die kommunikative Absicht leicht zu übersehen. Man sollte deshalb vorsichtig sein, echolalische Äußerungen mit Sicherheit als nicht-interaktiv einzuordnen.

Wie verringert man Echolalie?

Man sollte nie versuchen, Echolalie zu unterdrücken. Wie wir gesehen haben, hat Echolalie viele Funktionen, und der Verzicht auf das echolalische Verhalten würde das kommunikative Repertoire des Kindes verringern. Das würde (aus reiner Notwendigkeit, wegen der eingeschränkten Möglichkeiten der Kommunikation) dazu führen, dass mehr Mitteilungen durch Verhalten ausgedrückt werden (zum Beispiel durch aggressives Verhalten).

Aber Echolalie ist keine besonders effiziente Form der Kommunikation, und sie verlangt den Gesprächsbeteiligten viel Aufmerksamkeit und intensives Mitdenken ab. Oft muss man raten, und Missverständnisse sind nicht selten.

Es ist verständlich, dass Eltern sich wünschen, dass selbstproduzierte Sprache an die Stelle der Echolalie tritt.

Das erreicht man allerdings nicht, indem man versucht, die Echolalie zu unterdrücken, sondern indem man das Kind auf seinem Weg zu effektiveren Kommunikationsformen begleitet.

Echolalie verringert sich von selbst, wenn das Kind mehr sprachliche Fähigkeiten erlernt.

Das Beste, was Eltern tun können, ist also, ihr Kind bei der Sprachentwicklung zu unterstützen, und zwar sowohl sprachliche Ausdrucksfähigkeit als auch Sprachverständnis.

Sich Worte zu leihen, geschieht nicht ohne Sinn. Es kann Selbstregulierung sein. Es kann Stimming sein. Es kann Kommunikation sein.



Zuletzt bearbeitet am 13.04.2023.

Linus Mueller
Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus