Wir sind autistisch und das ist gut so.

Zu vielen Anlässen wurde ich gebeten, das Phänomen, das als Deaf Pride bekannt ist, zu erklären. Denn, wie kann man denn stolz auf etwas sein, fragen die Leute, das nichts anderes als eine Behinderung zu sein scheint?

Noch dazu ist Gehörlosigkeit eine Behinderung, die die Kommunikation betrifft… sie kann eine unsichtbare Wand zwischen hörenden und gehörlosen Personen aufbauen. Worauf soll man da also stolz sein?

Wenn mir diese Frage vor vielen Jahren gestellt worden wäre, hätte ich große Mühe gehabt, eine Antwort zu finden. Deaf Pride? Was für ein Deaf Pride?

Was ist mit den vielen Malen in einer Regelschule, an denen ich aufgeben musste und sagen musste ich weiß nicht, weil ich die Frage der Lehrerin nicht verstehen konnte?

Was ist mit all den Malen, an denen andere sich über mich lustig gemacht haben?

Was ist mit all den Malen, an denen ich wie ein Meerschweinchen in die Sprecherkabine eines Audiologen gesteckt wurde?

Was ist mit all den Malen, an denen ein Sprechlehrer meinen Mund quetschte und sagte: Na, kannst du Ba-Ba-Ba sagen?

Bestimmt nichts, worauf man stolz sein kann. Tatsächlich habe ich mich als Jugendlicher einfach nur geschämt. Das heißt, ich habe mich geschämt, bis ich eine Chance bekam, mich der Gehörlosen-Kultur anzuschließen. Ich habe mich vielleicht spät angeschlossen, nachdem ich jahrelang versucht habe, als hörende Person durchzugehen, aber das alte Klischee ist wahr: besser spät als nie.

Andere gehörlose Gleichaltrige zu treffen, ähnliche Geschichten von Unterdrückung und Verspottung zu teilen, lustige Anekdoten auszutauschen, Gebärdensprache zu lernen und zu sehen, wie andere gehörlose Erwachsene ihre Ziele erreichen, hat meine Einstellung völlig verändert.

Ich schäme mich nicht länger meiner Gehörlosigkeit, ich bin gern gehörlos. Ich bin gern, wer ich bin, stolz darauf, welche Hindernisse ich überwunden habe, und stolz auf meine Kultur. Ja, ich sehe es so, dass es eine Gehörlosen-Kultur gibt.

Einige Leute stöhnen vielleicht auf, oh nein, nicht dieses alte Kultur-versus-Pathologie-Argument. Sicher, ich räume ein, dass es viele Menschen da draußen gibt, sogar gehörlose Menschen, die darauf bestehen, dass Gehörlosigkeit nichts als eine unerfreuliche Behinderung ist.

Wie meine Vergangenheit zeigt, kann das bestimmt wahr sein. Andererseits gibt es auch viele Leute da draußen, die vehement darauf bestehen, dass es eine Gehörlosen-Kultur gibt, dass Gehörlosigkeit überhaupt kein Handicap ist (und dabei das beliebte Motto beschwören, dass gehörlose Menschen alles können… außer hören). Man kann in dieser Diskussion jegliche Seite einnehmen, wie man will, aber ich ziehe es vor, eine Haltung einzunehmen, die irgendwo in der Mitte liegt. Meine eigene Definition ist diese:

*Gehörlosigkeit ist eine Behinderung, die so einzigartig ist, dass ihre ureigene Natur bewirkt, dass eine Kultur daraus entsteht.*

An dieser Kultur teilzunehmen ist freiwillig (ich bin seit 1989 dabei).

Ein Teil dieser Kultur zu sein, gab mir ein positives Selbstgefühl. Ich bin nicht länger allein.

Ich teile eine Sprache, die amerikanische Gebärdensprache ASL, mit vielen anderen in der Gehörlosen-Community. Ich teile eine Geschichte des Kampfes, die gut dokumentiert ist; innerhalb der Gehörlosen-Community werden nicht nur Geschichten darüber weitergereicht, wie es ist, gehörlos aufzuwachsen, es gibt auch zahllose Bücher (mein persönlicher Favorit ist Jack Gannons Deaf Heritage). Ich habe Spaß an Gebärdensprachen-Gedichten und Wortspielen/Witzen, die nicht in geschriebenes Englisch übersetzt werden können; sie sind einzigartig in dem Sinne, dass sie nur innerhalb des Rahmens von ASL verstanden werden können.

Ich besuche gern Theaterstücke und Community-Veranstaltungen, die ihr Augenmerk auf viele Themen rund um die Gehörlosigkeit richten. Ich teile auch viele der Eigenheiten anderer gehörloser Leute: den Gehörlosen-Applaus, ein Repertoire von visuellen Ausdrücken und Zeichen, die Konzepte weit schneller vermitteln als es bloße Worte könnten, eine Tendenz, stärker gestisch orientiert zu sein (zum Beispiel mit dem Fuß auftreten, jemanden an der Schulter antippen, mit Lichtern blinken etc. um jemandes Aufmerksamkeit zu erlangen) und so weiter.

Last not least sonne ich mich in positiven Selbstwertgefühl, wenn ich sehe, dass Gehörlose in der Welt immer erfolgreicher werden. Es gibt Leute, die darauf bestehen, dass die Gehörlosen-Kultur gehörlose Leute vor der wirklichen Welt abschirmt (ein Argument, dass man im Internet häufig sieht), aber aus meiner Perspektive stärkt sie uns und befähigt uns, das beste aus beiden Welten zu machen. Immer mehr Gehörlose erlangen akademische Grade und werden Ärztinnen, Rechtsanwälte, Verwaltungsfachleute und (ähem) Autoren.

Es ist ein Gefühl von Selbstbewusstsein und Unterstützung, dass uns antreibt. In meinem Fall war es der erfolgreiche Ausgang der Deaf President Now-Bewegung, die mich anspornte, an die Gallaudet University zu wechseln und meine Ziele höher zu setzen, als ich es je zuvor getan hatte. Also: ja, wenn man mich fragt, gibt es so etwas wie Deaf Pride. Es existiert für mich und es ist der Funke, der mein Leben verändert hat. Wie man in ASL sagen würde, Deaf Pride, Pah!1
1 Anmerkung des Übersetzers: Pah ist ein ASL-Wort und heißt endlich oder endlich Erfolg!

Copyright 1996 Mark Drolsbaugh. Original auf Deaf-Info.

Zuletzt bearbeitet am 29.01.2022.

Mark Drolsbaugh, M.A.

Mark Drolsbaugh studierte an der Gallaudet Universität, der einzigen Universität für gehörlose und schwerhörige Menschen weltweit. Er machte seinen Bachelor in Psychologie und seinen Master in School Counseling and Guidance und arbeitet als Beratungslehrer an einer Schule für Gehörlose. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht sowie zahlreiche Artikel in verschiedenen Zeitungen und Magazinen.