Wir sind autistisch und das ist gut so.

Viele Studierende im Autismus-Spektrum haben gute Erfahrungen mit Ergotherapie gemacht.

Es gibt verschiedene Formen der Unterstützung für autistische Studierende – z.B. eine Studienassistenz oder ambulant unterstütztes Wohnen. Eine weitere Möglichkeit, die zu Unrecht oft übersehen wird, ist Ergotherapie.

Was ist Ergotherapie?

Ergotherapie hilft Menschen mit einer Behinderung oder Krankheit, die Dinge zu tun, die sie in ihrem Alltag tun wollen oder müssen, zum Beispiel uns um uns selbst und andere zu kümmern, Kontakte zu knüpfen und Spaß zu haben, zu arbeiten oder zu studieren und einen Beitrag zur Gesellschaft zu leisten.

Ergotherapeut*innen sind Expert*innen darin, zu erkennen, wie sich verschiedene Behinderungen auf die Fähigkeiten von Menschen auswirken können, und ihnen zu helfen, die Schwierigkeiten zu überwinden oder zu umgehen, die sich auf ihre alltäglichen Tätigkeiten auswirken.

Das Hauptziel der Ergotherapie ist es, dich in die Lage zu versetzen, an den Aktivitäten des täglichen Lebens als Student*in teilzunehmen.

Wie kann Ergotherapie mir im Studium helfen?

Das studentische Leben unterscheidet sich stark von der Schule, und die richtige Unterstützung kann dir das Leben sehr erleichtern.

In den ersten Gesprächen mit deiner Ergotherapeut*in geht es darum, deine Schwierigkeiten zu identifizieren und zu priorisieren, was du zuerst angehen willst.

Du wählst die Bereiche aus, in denen du mit deiner Ergotherapeut*in arbeiten möchtest. Hier sind einige Beispiele dafür, welchen Bereichen das sein könnten:

Zeitmanagement und Lerntechniken

Wenn du ständig das Gefühl hast, dass der Tag nicht genug Stunden hat oder deine Lernmethoden nicht die erhofften Ergebnisse bringen, kann eine Ergotherapeut*in dir helfen, deine Routine zu optimieren. In der Ergotherapie kannst du bewährte Strategien lernen, die auf deinen Lernstil zugeschnitten sind und dir helfen, intelligenter und nicht härter zu arbeiten.

Das Universitätsleben unter einen Hut bringen

Der Übergang zur Universität kann eine große Umstellung sein, die neue Verantwortungen und Freiheiten mit sich bringt. Ergotherapie kann dir dabei helfen, einen strukturierten Tagesablauf einzurichten und sicherzustellen, dass du Zeit für das Studium, die Organisation deines Alltags, soziale Aktivitäten und andere persönliche Bedürfnisse hast.

Körperliche Herausforderungen

Sensorische und motorische Probleme können das Studium erschweren. Ergotherapie kann dir Anpassungen oder Hilfsmittel vorschlagen, mit denen dein Alltag leichter zu bewältigen ist.

Emotionales und geistiges Wohlbefinden

Wenn Stress, Ängste oder andere emotionale Herausforderungen dazu führen, dass sich die täglichen Aufgaben oder Verpflichtungen an der Universität überwältigend anfühlen, kann eine Ergotherapeut*in Strategien anbieten. Sie kann dir Bewältigungsmechanismen und Entspannungstechniken zeigen oder dir empfehlen, dein Umfeld so zu verändern, dass dein psychisches Wohlbefinden gefördert wird.

Übergänge und Anpassungen

Das Leben an der Universität bringt Übergänge mit sich: Du ziehst möglicherweise in eine andere Stadt um, lernst neue Leute kennen und musst vielleicht sogar Studium und Nebenjob unter einen Hut bringen. Eine Ergotherapeut*in kann dir dabei helfen, diese Übergänge zu meistern, indem sie dir hilft, Fähigkeiten und Strategien zu entwickeln, um sich anzupassen und zu entwickeln. Auch wenn du bereits seit einiger Zeit studierst, kann eine Ergotherapie zum Beispiel helfen, Fähigkeiten für den Übergang ins Berufsleben zu entwickeln.

Soziale Kontakte

Das Studium bringt viel Kommunikation mit sich: mit Dozent*innen, Tutor*innen und Kommiliton*innen, aber möglicherweise auch mit Behörden (z.B. Bafög) und anderen Stellen (Vermieter, Dienstleister). Wahrscheinlich willst du auch Kontakte knüpfen und Freund*innen finden, und vielleicht weißt du nicht, wie. In der Ergotherapie kannst du Strategien lernen und erproben, um in sozialen Situation wirksam zu kommunizieren. Das kann spezifisch auf die Situationen zugeschnitten werden, mit denen du Schwierigkeiten hast, z.B. Gruppenarbeit, Referate, mündliche Prüfungen.

Lebenspraktische Fähigkeiten

Für manche Studierende im Autismus-Spektrum ist das Problem weniger das Studium selbst, sondern die Bewältigung des Alltags. Das können der Haushalt, Kochen oder Einkaufen sein, oder auch das regelmäßige Duschen. Auch bei diesen Problemen kann Ergotherapie sehr hilfreich sein.

Wann sollte ich eine Ergotherapie machen?

Wenn du das Gefühl hast, dass irgendein Aspekt des täglichen Lebens an der Uni dich herausfordert, entmutigt oder einfach nicht richtig passt, solltest du eine Ergotherapeut*in aufsuchen. Ergotherapeut*innen sind darauf spezialisiert, Lösungen für individuelle Bedürfnisse zu finden, damit du das Beste aus deiner Zeit an der Uni herausholen kannst.

Erfahrungen autistischer Studierender mit Ergotherapie

»Die Ergotherapie-Sitzungen waren so hilfreich, gaben mir jedes Mal neues Selbstvertrauen und Ruhe und halfen mir, meine Aufgaben für das Studium zu erledigen und mich dabei unterstützt zu fühlen.«

Alisa

»Durch die Zusammenarbeit mit meiner Ergotherapeutin konnte ich herausfinden, was meine Stressfaktoren sind und wie ich meinen Tag und mein Leben am besten strukturieren kann, sowohl an der Uni als auch zu Hause.«

Tim

»Die Ergotherapie war in mancher Hinsicht hilfreich, zum Beispiel bei der Organisation. Was die sozialen Fähigkeiten angeht, denke ich, dass das Studium an sich eine gute Möglichkeit war, sich weiterzuentwickeln, da es viele Gelegenheiten gibt, mit neuen Gruppen von Menschen in Kontakt zu kommen.«

Rosi

»Ich habe mit einer Ergotherapeutin zusammengearbeitet, um meine Probleme bei der Gruppenarbeit anzugehen und die Fähigkeiten zu entwickeln, die ich nach dem Verlassen der Hochschule am Arbeitsplatz benötigen werde.

Nur wenn wir uns unseren Schwierigkeiten stellen, können wir hoffen, dass wir sie lösen können.

Die Arbeit mit der Ergotherapeutin hat mir geholfen, mehr über mich selbst zu erfahren und mich darauf vorzubereiten, mit schwierigen Situationen besser umzugehen, wenn ich die Hochschule verlasse. Es war eine wirklich lohnende Erfahrung!«

Hannes

»Sehr sinnvoll ist außerdem die Betreuung durch einen kompetenten Ergotherapeuten. Die Ergotherapie bietet gerade in beruflicher und lebenspraktischer Hinsicht viele Möglichkeiten der Unterstützung.«

Dr. Christine Preißmann

Fragen, über die du nachdenken solltest

  • Welche Aktivitäten sind in meinem Kurs vorgesehen?
  • Welche Schwierigkeiten erwarte ich in meinem Studienalltag?
  • Welche Art von Umgebung hilft mir, produktiv zu arbeiten?
  • Welche Unterstützung gibt es, um soziale Situationen zu meistern?
  • Bin ich mir über den Inhalt meines Studiengangs im Klaren und darüber, was ich in den nächsten Jahren lernen werde?
  • Wie kann ich Studium und einen Nebenjob vereinbaren?
  • Könnte eine Ergotherapie für mich hilfreich sein?

Zuletzt bearbeitet am 01.12.2023.

Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus