Wir sind autistisch und das ist gut so.

Viele Eltern autistischer Kinder berichten, dass es ihren Kindern schwerfällt, ihre Hausaufgaben zu erledigen. In diesem Artikel stellen wir einige Methoden vor, die vielleicht helfen, die ungeliebten Hausaufgaben zügiger und stressfreier zu erledigen.

Hausaufgaben können für Kinder im Autismus-Spektrum aus mehreren Gründen ein Problem sein:

  • Schule bedeutet für autistische Kinder oft großen Stress und sie wollen zu Hause nicht daran erinnert werden.
  • Sie verstehen nicht, warum sie Schulaufgaben zu Hause machen sollen.
  • Sie haben vielleicht Schwierigkeiten, ihre Aufgaben zu organisieren und finden es schwierig, sich daran zu erinnern, alle Hausaufgaben zu notieren und die Deadlines im Kopf zu behalten.

Es gibt ein paar Möglichkeiten, die lästigen Hausaufgaben in Zukunft vielleicht etwas einfacher zu machen.

Schriftliche Anweisungen

Manche Kinder erinnern sich nicht daran, welche Hausaufgaben sie zu erledigen haben oder vergessen, sie aufzuschreiben. Dann kann es sinnvoll sein, die Lehrkräfte zu bitten, entweder sicherzustellen, dass das Kind die Hausaufgaben aufgeschrieben hat, oder sie ihm selbst aufzuschreiben. Manche Kinder brauchen eine schriftliche Anleitung für einzelne Arbeitsschritte.

Eine andere Möglichkeit ist es, ein Diktiergerät zu kaufen, auf das das Kind oder die Lehrkraft spricht, was als Hausaufgaben aufgegeben wurden und vielleicht auch, was in der Schule dazu für Hinweise gegeben wurden.

Leider kommt es immer wieder vor, dass Lehrkräfte, vom Klingeln der Pausenglocke überrascht, die Hausaufgaben schnell noch mitteilen, während die Klasse schon unter viel Gekreische ihre Sachen packt.

Für Kinder im Autismus-Spektrum ist es bei der allgemeinen Unruhe und den steigenden Geräuschpegel oft unmöglich zu verstehen, was der Lehrer sagt. Sie brauchen oft auch etwas länger, um die Aufgaben im Hausaufgabenheft zu notieren, und kommen dann nicht mehr dazu.

Wenn die Kinder also nicht wissen, dass sie Hausaufgaben aufhaben, sollten die Eltern mit den Lehrkräften reden, damit diese einen Weg finden, um sicherzustellen, dass die Kinder wissen, was sie zu tun haben.

Die Aufgaben organisieren

Besser als ein einfaches Hausaufgabenheft taugt ein kleiner Wochenkalender. Entscheidend ist, dass man die Hausaufgaben nicht an dem Tag in den Kalender einträgt, an dem man sie aufgetragen bekommt, sondern an dem Tag, an dem sie fertig sein müssen. Wenn man also am Dienstag Erdkunde-Hausaufgaben bekommt, und man am Freitag das nächste Mal Erdkunde hat, trägt man die Aufgabe am Freitag ein. So sieht man immer, welche Aufgaben in den nächsten Tagen fertig werden müssen.

Notorische Turnbeutelvergesser*innen können auch eine extra Liste erstellen, was sie an welchem Wochentag in die Schule mitbringen müssen. Im Stundenplan stehen ja nur die Fächer, und für manche Fächer muss man drei oder vier Sachen mitbringen (zum Beispiel Englischbuch, Englischheft, Vokabelheft und Übungsbuch). Denn wenn man die Hausaufgaben erledigt hat, ist es schade, das Heft zu Hause zu vergessen.

Schulstress wirkt sich auf die Hausaufgaben aus

Autistische Kinder müssen in der Schule nicht nur den üblichen Lehrplan lernen, sondern auch die ganzen sozialen Regeln, die andere Kinder intuitiv lernen. Sie müssen die sozialen Codes und Hinweise entziffern und mit Hilfe ihres Verstandes ermitteln, was sie in einer Situation tun oder sagen sollen. Oft bekommen sie vor allem Rückmeldungen darüber, was sie falsch machen, ohne dass es anerkannt wird, wenn sie etwas richtig machen. Dieser zusätzliche Lernstoff bedeutet eine zusätzliche Stressquelle in der Schule, was die Kinder am Ende des Schultages ausgelaugt zurücklässt.

Der Asperger-Experte Tony Attwood berichtet:

Wenn ich mit Kindern mit Autismus oder Asperger-Syndrom rede, die Schwierigkeiten haben, die Schwierigkeiten haben, den sozialen Lernstoff zu lernen und mit dem Stress in der Schule umzugehen, erklären sie oft, dass sie eine klare Trennung zwischen Zuhause und Schule haben wollen. Ihr Kommentar ist: Schule ist zum Lernen, Zuhause ist für Spaß oder Entspannung. Die Aussicht, ihre dringend benötigte und hart verdiente Zeit für Spaß und Entspannung mit Hausaufgaben unterbrechen zu müssen, ist mehr, als sie bewältigen können.

Der hohe Reizpegel in der Schule tut sein übriges. Viele Kinder im Autismus-Spektrum sind in der Schule ständig an der Grenze zum Overload. Gleichzeitig sollen sie selbst stillsitzen und haben keine Möglichkeit, ihre innere Anspannung durch Bewegung abzuschütteln.

Wenn die Kinder nach Hause kommen, brauchen sie Zeit, um sich zu entspannen.

Hausaufgaben in der Schule machen

Hausaufgaben in der BibliothekWenn es Kinder schwer fällt zu verstehen, warum sie die Hausaufgaben zu Hause machen sollen, gibt es vielleicht eine Möglichkeit, sie in der Schule zu machen? Einige Kinder im Autismus-Spektrum finden Schulpausen und auch Mittagspausen schwer zu ertragen. Sie würden es vielleicht bevorzugen, die Zeit zu nutzen, um in der Bibliothek oder an einem anderen ruhigen Ort ihre Hausaufgaben zu machen. Einige Schulen bieten außerdem nachmittags Hausaufgaben-Betreuung an.

Eine Lernumgebung schaffen

Wenn die Hausaufgaben zu Hause gemacht werden, sollten Sie eine geeignete Lernumgebung schaffen – mit einer geeigneten Sitzmöglichkeit, Beleuchtung und ohne Ablenkungen. Ablenkungen können visuell sein, wie zum Beispiel das Vorhandensein von Fernseher oder Spielzeug, das dem Kind eine ständige Erinnerung daran ist, was es gerade lieber tun würde. Ablenkungen können auch Geräusche sein, zum Beispiel die Stimmen der Geschwister oder das Summen elektrischer Geräte.

Der Arbeitsplatz sollte nur die Ausstattung haben, die für die Aufgaben gebraucht werden. Die Lernumgebung sollte vor neugierigen Geschwistern geschützt sein.

Ein Hausaufgaben-Stundenplan

Die Eltern können mit ihrem Kind und mit Hilfe der Lehrkraft einen täglichen Plan für die Hausaufgaben erstellen.

  • UhrDie Lehrkraft teilt mit, wie viel Zeit die jeweilige Aufgabe dauern sollte. Das zu wissen kann sehr hilfreich sein, um festzustellen, ob das Kind die Zeit für die einzelnen Aufgaben richtig einschätzen kann. Manchmal sitzt ein Kind stundenlang an einer Aufgabe, für die die Lehrkraft nur wenige Minuten vorgesehen hat.
  • Die Eltern und das Kind beschließen zusammen eine Zeit, zu das Kind mit den Hausaufgaben beginnt. Diese Zeit sollte möglichst jeden Tag gleich sein, damit das Kind sich an die Routine gewöhnen kann.
    Die Hausaufgabenzeit sollte nicht mit einer Lieblingsfernsehsendung zusammenfallen, sonst kann die Versuchung zu groß sein, die Hausaufgaben liegen zu lassen und sich vor den Fernseher zu setzen. Alternativ kann man die Sendung auf Video aufnehmen.
  • Als nächstes wird beschlossen, in welcher Reihenfolge die Hausaufgaben erledigt werden.
    Tipp: Für die ersten 15 Minuten wählt man eine einfache Aufgabe, um leichter die Konzentration zu finden.
  • Wenn das Kind regelmäßige Pausen braucht, um sich weiterhin konzentrieren zu können, können die Aufgaben in Abschnitte aufgeteilt werden, um anzuzeigen, wie viel Arbeit das Kind noch machen muss, bevor es eine kurze Pause machen kann. Ein häufiger Fehler ist es, zu lange anhaltende Konzentration zu verlangen.

Beaufsichtigung der Hausaufgaben

Kinder im Autismus-Spektrum haben oft Schwierigkeiten, den Einstieg in eine Tätigkeit zu finden oder herauszufinden, was sie zuerst machen sollen. Das Aufschieben von Hausaufgaben kann ein Problem sein. In diesem Fall sollte man kontrollieren, dass das Kind mit den Hausaufgaben anfängt.

Hat das Kind einmal angefangen, ist das noch nicht das Ende der Beaufsichtigung. Eine Person sollte verfügbar sein, falls das Kind Unterstützung braucht, wenn es nicht weiter weiß. Außerdem sollte man bei größeren Aufgaben sicherstellen, dass das Kind eine geeignete Strategie zur Bewältigung der Aufgabe gewählt hat. Autistische Kinder haben manchmal eine Tendenz, Alternativen zu ihrer gewählten Strategie völlig zu übersehen und verfolgen ihren Ansatz weiter, wenn andere Kinder meist schon festgestellt hätten, dass es sinnvoll wäre, einen anderen Lösungsweg zu suchen.

Asperger: Hausaufgaben beaufsichtigen

Erholung und Belohnung

Wenn das Kind die Hausaufgaben nicht in der Schule machen kann, braucht es zu Hause vielleicht erst Zeit, sich zu entspannen und zu erholen, bevor es sich wieder an die Arbeit macht. Wenn das Kind Zeit hat, den Stress abzubauen, kann es sich später vielleicht besser auf die Aufgaben konzentrieren.

Manche Kinder profitieren davon, entweder ein Belohnung-System zu nutzen oder einen Vertrag über ein bestimmtes Verhalten zu schließen. Wenn das Kind jeden Tag seine Hausaufgaben erledigt, kann es dann am Wochenende eine Belohnung bekommen? Alternativ kann die Familie einen Vertrag schließen, in dem sich jedes Familienmitglied verpflichtet, jeden Tag eine Aufgabe zu erledigen – und die Aufgabe, die das Kind erledigen muss, können eben die Hausaufgaben sein.

Selbstorganisation lernen und üben

HausaufgabenFür Eltern gilt es abzuwägen, wie viel Hilfe ihr Kind braucht und wie viel Verantwortung es selbst tragen kann. Tendenziell sollten die Hilfen darauf abzielen, dass das Kind selbständiger wird.

Entscheidend ist es, dem Kind die Mittel in die Hand zu geben, um sich allmählich selbst organisieren zu können. Das kann der ruhige Platz in der Bibliothek sein, schriftliche Anweisungen oder ein Kalender. Je älter und selbständiger die Kinder werden, desto mehr Verantwortung kann man in ihre Hände geben.

Zu lernen, seine Arbeiten selbst zu organisieren und zu erledigen, ist wichtig – wichtiger als zu wissen, welche Schlachten Karl der Große geschlagen hat. Autistische Kinder brauchen oft mehr Unterstützung als andere, um diese Fähigkeiten zu erlernen.

Hausaufgabenfrei!

Tony Attwood argumentiert, dass autistische Kinder unter bestimmten Umständen von den Hausaufgaben befreit werden sollten – nämlich dann, wenn alle Strategien zur stressarmen Bewältigung der Hausaufgaben fehlschlagen:

Wenn alle diese Strategien fehlschlagen, was ist dann die Alternative? Sollten Kinder im Autismus-Spektrum von den Hausaufgaben befreit werden? Wenn alle dargestellten Strategien erfolglos bleiben oder nicht angewandt werden können, dann ist meine Antwort ja. Manchmal ist dieser Ratschlag eine große Erleichterung für das Kind, die Eltern und wahrscheinlich auch für die Lehrkräfte. Sie können mich damit zitieren.

Es kann auch sinnvoll sein, eine Vereinbarung über eine teilweise Hausaufgaben-Befreiung zu treffen. Autistische Kinder haben ihre Stärken und Schwächen oft woanders als der Klassendurchschnitt und es kann sinnvoll sein, die Hausaufgaben entsprechend anzupassen.

Foto unter Creative Commons Lizenz von Cayusa, findingthenow, New Jersey Library Association, Jason Kessenich, Niclas Lindh und __Jens__.

Zuletzt bearbeitet am 01.02.2022.

Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus