Wir sind autistisch und das ist gut so.

Die Ergebnisse des Abiturs sind da, die Zulassung zur Hochschule liegt vor und der Sommer neigt sich schnell dem Ende zu. Das bedeutet für viele junge Menschen im Autismus-Spektrum, dass sie ihr Studium beginnen.

Dr. Alison Doyle gibt im Folgenden einige Tipps, damit dein erstes Jahr ein Erfolg wird.

Der Studienbeginn

Du stehst vor einer der aufregendsten und herausforderndsten Zeiten deines Lebens. Der Wechsel von einer vertrauten und stark strukturierten Umgebung zu einer Umgebung, in der du viele Entscheidungen treffen musst, kann schwierig sein. Für die meisten jungen Menschen ist das schwierig, besonders in den ersten Wochen des Studiums. Es wird von dir erwartet, dass du:

  • dich auf einem großen Campus zurechtfindest (der manchmal nicht sehr gut ausgeschildert ist);
  • mit einer großen Anzahl von Menschen arbeitest, die du nicht kennst;
  • deine Zeit organisierst und selbstständig lernst;
  • die Bibliothek der Hochschule und die virtuelle Lernumgebung nutzt, um alle Kursinhalte zu finden;
  • nach einem Zeitplan arbeitest, der sich in letzter Minute ändern kann;
  • gleichzeitig verschiedenen Gruppen angehörst (Fakultät, Uni, Fachbereich, Kurs);
  • mit einer Gruppe von Studierenden lernst, die sich jedes Semester ändern kann.

Praktische Tipps

Sei dir über deine Stärken und Herausforderungen im Klaren. Du musst dir über deine Stärken im Klaren sein, aber auch über deine Herausforderungen und wie diese mit der Bewältigung deines Kurses zusammenhängen. Sprich zu Hause darüber. Habe eine klare Vorstellung davon, welche Art von Hilfe du im Studium brauchen könntest, bevor du an einem Treffen mit den Lehrenden teilnimmst.

Überlege dir, wie du dein Studium selbstständig bewältigen willst und welche Veränderungen du eventuell vornehmen musst, z. B. indem du von der Unterstützung durch andere Personen auf den Einsatz von Technologie umsteigst. Sei offen für neue Wege, deine Zeit und deine Aufgaben zu organisieren.

Erkenne die Vorteile der Offenlegung der Autismus-Diagnose an. Die erste und sehr wichtige Aufgabe, die du erledigen musst, ist, dich bei der Beauftragten für Studierende mit Behinderung deiner Hochschule zu melden, bevor die Vorlesungszeit beginnt. Vielleicht hast du bereits eine Einladung zu einem Orientierungstreffen oder einer Veranstaltung erhalten. Niemand wird gerne in eine Gruppe mit dem Etikett »Behinderung« eingeteilt, aber so ist die Unterstützung an der Hochschule organisiert, also akzeptiere es.

Wenn du dich der Beauftragten für Studierende mit Behinderung zum Beratungsgespräch meldest, kann eine Bedarfsanalyse durchgeführt, bei der du die Herausforderungen, mit denen du an der Hochschule konfrontiert sein könntest, »offenlegen« kannst. Studierende, die ihre Behinderung schon früh im Studium offenlegen, haben bessere Chancen, erfolgreich zu sein, als diejenigen, die sich für einen »Alleingang« entscheiden.

Setz dich für dich selbst ein. Sei dir darüber im Klaren, welche Unterstützung du brauchst und welche Schwierigkeiten du hast. Achte darauf, dass du dies auf freundliche, aber bestimmte Art und Weise kommunizierst. Es ist eine gute Idee, diese Art der Konversation zu üben, denn es kann sein, dass du für dich selbst eintreten musst, wenn du mit Dozent*innen sprichst und zum Beispiel um zusätzliche Zeit für die Bearbeitung einer Aufgabe bittest.

Denke über mögliche Szenarien nach, wie z. B. die Suche nach einem Gebäude, die Frage, wo du Hilfe bekommen kannst, oder die Bitte, eine Anweisung zu wiederholen oder zu klären. Besprich mit deiner Familie alle Bedenken und Sorgen, einschließlich der Probleme, die gelöst werden müssen, und was du als nächstes tun musst. Du musst etwas unternehmen, und deine Eltern können dich dabei unterstützen.

Organisiere dich. In den nächsten Wochen wird viel passieren, schon bevor die Vorlesungen beginnen. Sieh dir die Informationen an, die du erhalten hast, und suche die wichtigen Orientierungsveranstaltungen heraus, die du unbedingt besuchen musst. Besuche die Hochschule, lerne den Campus kennen und finde die Veranstaltungsorte. Erkunde die Website der Hochschule, jetzt, wo du eine »eingeschriebene Student*in« bist.

Erkundige dich zum Beispiel nach den angebotenen Clubs und anderen Aktivitäten und notiere dir die, denen du beitreten möchtest. Erstelle eine »To Do«-Liste und schreibe auf, was du noch überprüfen musst oder welche Fragen du noch hast.

Nimm an den Orientierungsprogrammen und anderen Veranstaltungen teil. Das ist die erste Gelegenheit, andere Studierende kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen und Fragen über die Arbeitsweise der Hochschule zu stellen. Wenn du jemanden kennst, der auf dieselbe Hochschule geht, verabrede dich mit ihm.

Achte darauf, dass du deinen Stundenplan für die Erstsemesterwoche einhältst und an allen Kurstreffen, Bibliotheksführungen usw. teilnimmst. Wenn du dich verlaufen hast, frag »Ersti-Helfer*innen« oder andere Studierende.

Du wirst diese Zeit wahrscheinlich als überwältigend und anstrengend empfinden, aber nimm dir die Zeit, über die Dinge nachzudenken und vergiss nicht, über deinen Tag zu sprechen, wenn du nach Hause kommst.

Verstehe deine studentischen Pflichten. Mit deiner neuen Unabhängigkeit wächst auch die Verantwortung. Niemand wird überprüfen, ob du am Unterricht teilnimmst, in die Bibliothek gehst oder die Hausaufgaben erledigst. Niemand wird überprüfen, ob du auf E-Mails antwortest oder zu deinen Prüfungen erscheinst. Das bleibt dir überlassen.

Die Mitarbeiter*innen der Beratung für Studierende mit Behinderung, andere Studienberater*innen, die Tutor*innen und studentischen Mentor*innen helfen dir jedoch, mit all den Veränderungen umzugehen. Finde heraus, wer dir bei Schwierigkeiten helfen kann und wie du dich am besten an sie wenden kannst.

Suche ihre Hilfe und Unterstützung, wenn du dir nicht sicher bist, was du tun sollst, oder wenn du ein bisschen verwirrt bist. Sprich mit deiner Familie und bitte sie um Rat, wenn du das Gefühl hast, dass die Dinge schwer zu bewältigen sind.

Erkenne und nutze Hilfen. Du hast einen gesetzlichen Anspruch darauf, in der Hochschule (und übrigens auch am Arbeitsplatz) einen »angemessenen Nachteilsausgleich« zu bekommen. Das bedeutet, dass die Hochschule alles tun muss, was »angemessen« ist, um Benachteiligungen zu beseitigen und Hindernisse beim Zugang zu deinem Kurs abzubauen.

Das kann bedeuten, dass sie dir Zugang zu technischen Hilfsmitteln verschafft, besondere Vorkehrungen für das Ablegen von Prüfungen trifft oder spezielle Unterstützung durch eine Studienassistenz oder eine akademische Tutor*in zulässt. Auch Ergotherapeut*innen und Psycholog*innen können dich im Studium unterstützen.

Lehne die dir angebotene Hilfe nicht sofort ab. Probiere sie aus. Wenn du nach ein paar Wochen herausfindest, dass eine angemessene Vorkehrung hilfreich sein könnte, vereinbare einen Termin mit der Beratung für Studierende mit Behinderung, um das zu besprechen.

Sei mutig, sei ehrlich und unternimm etwas. Jedes Jahr bricht ein hoher Prozentsatz der Studierenden ihren Kurs ab, entweder innerhalb des ersten Semesters oder vor Ende des ersten Jahres. Es kann sein, dass du feststellst, dass der Kurs nicht das Richtige für dich ist, dass er deine Erwartungen nicht erfüllt hat oder dass der Inhalt zu schwierig ist, um ihn zu verstehen.

Triff keine voreiligen Entscheidungen – sprich zu Hause über diese Fragen und vereinbare einen Überprüfungszeitraum, z. B. »Lass uns sehen, wie es in den nächsten zwei Wochen läuft, und dann reden wir weiter.«

Am wichtigsten ist, dass du die Situation nicht ignorierst und vor allem nicht »so tust, als ob« du zur Schule gehen würdest. Zu den Lösungen gehören der Wechsel in einen anderen Kurs oder eine andere Hochschule oder eine berufliche Umorientierung.

Bleibe standhaft. In den ersten Wochen des Studiums gibt es eine Menge sozialer Aktivitäten. Wenn du nicht zu Hause wohnst, sondern in einem Studierendenwohnheim, kann es sein, dass du zusätzlich unter Druck gerätst, an den abendlichen Aktivitäten teilzunehmen, bei denen oft Alkohol im Spiel ist.

Manchmal kann es schwierig sein, neue Freund*innen zu finden und gleichzeitig in der eigenen Komfortzone zu bleiben. Die wichtigste Regel ist, dem Gruppenzwang nicht nachzugeben: Sei standhaft, höflich und freundlich, aber sag nein, wenn du nicht mitmachen willst. Vielleicht beim nächsten Mal.

Genieße es. Das Studium ist eine Reise der Selbstentdeckung, also nutze den Moment.

Dieser Artikel wurde von Dr. Alison Doyle geschrieben und entstand im Rahmen des Autism&Uni-Projekts. Der Originalartikel ist hier verfügbar und steht unter einer Creative-Commons-Lizenz. Der Artikel wurde von Linus Müller übersetzt.

Zuletzt bearbeitet am 01.12.2023.

Dr. Alison Doyle

Alison Doyle arbeitet seit 2007 mit dem Disability Service des Trinity College Dublin zusammen. Ihre derzeitige Aufgabe ist die fachliche akademische Unterstützung von neurodivergenten Studierenden, einschließlich Autismus, ADHS, Dyskalkulie und Dyspraxie.

Sie ist eine unabhängige Bildungspsychologin mit mehr als 35 Jahren Erfahrung in der Sonder- und Integrationspädagogik.

Zu ihren Forschungsarbeiten gehören der Übergang von der Schule zur Hochschule für junge Menschen mit Behinderungen, speziell auch mit Autismus.

Alison Doyle ist Gastdozentin am Trinity College und an der Dublin City University sowie Tutorin für Kurse am Institute of Child Education and Psychology Europe.