Wir sind autistisch und das ist gut so.

Verschiedene Menschen haben unterschiedliche Erwartungen und Stile, wenn es um die Arbeit oder das Zusammenleben geht. Manchmal kann das zu Konflikten führen. Dieser Artikel hilft dir, die Ursachen von Konflikten zu erkennen und schlägt dir Strategien zur Konfliktlösung vor.

Konflikte im Studium

Jeder wird während seines Studiums irgendwann mit herausfordernden persönlichen Situationen und potenziellen Konflikten konfrontiert.

Diese können stressig sein und große Ängste auslösen, besonders bei autistischen Studierenden.

Hier findest du Ratschläge, die dir dabei helfen können, mit diesen Vorfällen so umzugehen, dass sie möglichst effektiv entschärft oder bewältigt werden können.

Ausgehend von den Erfahrungen autistischer Studierender an der Universität kann es unter anderem zu Konflikten kommen:

  • Mangelndes Bewusstsein und Verständnis für Autismus
  • Man wird für unhöflich gehalten, obwohl man eigentlich nur mit einer sozialen oder sensorischen Umgebung zu kämpfen hat
  • Das Gefühl, von jemandem im Stich gelassen zu werden
  • Menschen verstehen nicht, dass du manchmal deinen eigenen Raum brauchst
  • Fehlinterpretationen von Gesagtem, besonders wenn es sarkastisch oder ironisch ist
  • Unterschiedliche Hygienestandards in WGs oder Studierendenwohnheimen
  • Teammitglieder leisten bei Gruppenarbeiten / Bewertungen nicht den gleichen Beitrag (siehe Gruppenarbeit im Studium)
  • Wenn die Hochschule keine ausreichenden Vorkehrungen oder Anpassungen trifft

Wie könnte sich das auf mich auswirken?

Oft sind die Anzeichen für ein Problem zwischen Freund*innen oder Mitbewohner*innen sehr subtil und hängen stark von der Entschlüsselung der Körpersprache oder passiv-aggressiven Verhaltensweisen ab.

Beispiele hierfür könnten sein

  • Jemand verlässt abrupt den Raum, wenn eine Mitbewohner*in hereinkommt;
  • Zettel auf einem Stapel schmutziger Teller hinterlassen, auf denen steht: »Danke fürs Abwaschen!« (obwohl sie eigentlich meinen: »Bitte wasche das Geschirr, das du benutzt, ab und räume es weg!«);
  • oder sie verdrehen die Augen, wenn jemand spricht.

Das kann besonders für autistische Studierende eine Herausforderung sein, da sie Schwierigkeiten haben, diese Botschaften zu erkennen oder zu entschlüsseln.

»Zwischen den Stühlen«

Es kann sein, dass du in einer Konfliktsituation zwischen zwei Freund*innen oder Mitbewohner*innen in die Mitte gerätst oder dass sich die Spannungen sogar gegen dich richten. Deshalb kann es nützlich sein, zu wissen, wie man Konflikte frühzeitig erkennt und effektiv damit umgeht.

Was ist als Nächstes zu tun?

Sprich mit anderen, die dir helfen können, die Ursache des Konflikts zu erkennen und mögliche Lösungen zu finden, mit denen du die Angelegenheit klären und die Beziehung wiederherstellen kannst.

Praktische Tipps

  • Hör auf. Versuche nicht, den Konflikt zu lösen, wenn du emotional aufgebracht oder wütend bist.
  • Ignoriere ihn nicht einfach. Wenn du durch einen Konflikt ängstlich oder gestresst wirst, musst du etwas dagegen tun.
  • Verschaffe dir eine neue Perspektive. Besprich die Situation mit jemandem, der nichts damit zu tun hat; das kann eine Mentor*in, eine Freund*in, eine Berater*in oder deine Eltern sein.
  • Schreibe es auf. Manchmal kann es hilfreich sein, aufzuschreiben, was dich bedrückt, damit du die Situation und mögliche Lösungen durchdenken kannst.
  • Betrachte es von allen Seiten. Du bist vielleicht frustriert, dass jemand nicht jede Woche das Bad putzt, aber vielleicht ist die Person auch gestresst oder zu sehr mit einem anspruchsvollen Kurs beschäftigt?
  • Sprich mit den Betroffenen. Es kann hilfreich sein, eine Zeit und einen Ort zu bestimmen, damit ihr die Angelegenheit wirklich ausführlich besprechen könnt.
  • Halte dich an die Fakten. Formuliere klar und deutlich, wenn es Dinge gibt, die dich stören oder wenn du das Gefühl hast, dass es Spannungen gibt, die angesprochen werden müssen; zum Beispiel: »Es hat mich geärgert, als …« oder »Es ist unhygienisch, wenn schmutziges Geschirr drei Tage lang herumsteht«.
  • Finde Lösungen. Am besten ist es, wenn du das Problem positiv lösen kannst. Deshalb solltest du nicht nur das Problem erklären, sondern auch über mögliche Lösungen nachdenken. Du könntest z. B. einen Putzplan aufstellen oder genauer erklären, wie sich Autismus auf dich auswirkt, z. B.: »Am Ende eines Tages voller Vorlesungen und Seminare habe ich meine ganze Energie für soziale Kontakte verbraucht und brauche einfach nur Platz in meinem Zimmer – ich bin nicht unhöflich, ehrlich!«
  • Gib der Sache Zeit. Freundschaften, die durch Konflikte beschädigt wurden, brauchen Zeit, um zu heilen. Vielleicht musst du dir Zeit nehmen, um die Beziehung wieder aufzubauen.

Fragen zum Nachdenken

  • Mit wem kannst du über den Konflikt oder die Situation sprechen?
  • Wohin kannst du gehen, um dich zu entspannen, wenn der Konflikt dir Stress bereitet?
  • Was wäre das ideale Ergebnis?

Dieser Artikel wurde von Jonathan Vincent geschrieben und entstand im Rahmen des Autism&Uni-Projekts. Der Originalartikel ist hier verfügbar und steht unter einer Creative-Commons-Lizenz. Der Artikel wurde von Linus Müller übersetzt.

Zuletzt bearbeitet am 22.11.2023.

Dr. Jonathan Vincent

Jonathan Vincent ist Dozent an der Fakultät für Pädagogik, Sprachen und Psychologie der York St John University. In den letzten zehn Jahren hat er mit autistischen Studierenden und Hochschulabsolvent*innen gearbeitet, mit besonderem Schwerpunkt auf Bildung und dem Übergang zur Berufstätigkeit.

Er ist ein erfahrener Schulungsleiter und hat interaktive Workshops zur inklusiven Personalauswahl abgehalten, die stets auf den Erfahrungen autistischer Expert*innen und wissenschaftlicher Evidenz basieren. Er hat hat mehrere Artikel in führenden Autismus-Fachzeitschriften veröffentlicht und auf verschiedenen Konferenzen in der ganzen Welt gesprochen.