Kommunikationstipps für autistische Studierende
Soziale Interaktionen können für autistische Menschen schwierig sein. Im Studium können in dieser Hinsicht neue und zusätzliche Herausforderungen auf dich zukommen. Es ist dann wichtig zu wissen, was du in bestimmten Situationen erwarten kannst, und Strategien dafür zu entwickeln.
Inhaltsverzeichnis
Kommunikation mit Dozent*innen
Die meisten Studienfächer beinhalten die Teilnahme an Vorlesungen. Vorträge werden oft in großen Hörsälen oder Auditorien gehalten. Sie werden in der Regel von einer großen Anzahl von Studierenden besucht. Die Teilnahme ist nicht immer verpflichtend, es ist jedoch sehr ratsam, dass du alle deine Vorlesungen besuchst.
Meistens gibt es während der Vorlesung wenig oder keine Interaktion mit den Studierenden. Es ist ratsam, den Dozent*innen während der Vorlesung keine Fragen zu stellen oder Kommentare abzugeben, es sei denn, sie fordern dazu auf. Vielleicht möchtest du Fragen oder Kommentare aufschreiben und die Dozent*in nach Abschluss der Vorlesung fragen.
Es gibt andere Arten von Lehrveranstaltungen, die interaktiver angelegt sind und bei denen aktive Beteiligung erwünscht ist – mehr dazu weiter unten.
Dozent*innen haben neben den Lehrveranstaltungen häufig auch andere Aufgaben zu erledigen, zum Beispiel Forschung, die Betreuung von Doktorand*innen und Vorträge auf Konferenzen. Diese zusätzliche Arbeit kann bedeuten, dass sie an manchen Tagen sehr beschäftigt sind.
In der Regel bieten Dozent*innen einmal wöchentlich Sprechstunden zur Verfügung, in denen die Studierenden Fragen zu Lehrinhalten und Prüfungen stellen können. Wenn du dich damit wohlfühlst, kannst du in diesen Zeiten in ihr Büro gehen, um mit ihnen zu sprechen. Einige erwarten, dass du dafür einen Termin vereinbarst, bei anderen kannst du ohne Termin in die Sprechstunden kommen.
Wenn du das nicht willst oder die Zeiten nicht zu deinen passen, kannst du eine E-Mail schicken, in der du deine Frage stellst oder um einen anderen Termin bittest. Die meisten Lehrenden werden innerhalb von 48 Stunden auf E-Mails antworten. Denk daran, dass sie beschäftigt sind und gib ihnen genug Zeit zu antworten. Und vor allem: Schieb deine Fragen nicht zu lange auf.
Übung 6:
Sprechzeiten und Kontaktinformationen
Download: Übung 6 (DOC)
Download: Übung 6 (PDF)
Rebecca hatte eine Frage zu einer Hausarbeit, mit dem sie Probleme hatte. Sie konnte an diesem Teil der Aufgabe nicht mehr arbeiten, bis sie eindeutig verstand, was zu tun war.
Jedes Mal, wenn sie zum Büro der Dozentin ging, war die Tür geschlossen. Die Frist für die Hausarbeit stand kurz bevor, also machte Rebecca sich Sorgen. An der Tür der Dozentin befand sich ein Stundenplan mit zwei Zeitfenstern für Sprechstunden für Studierende, aber leider kollidierten diese beiden mit anderen Vorlesungen, an denen Rebecca teilnehmen musste.
Sie schickte der Dozentin eine E-Mail mit ihrer Frage. Der Vortragende antwortete am nächsten Tag mit einer kurzen Antwort auf die Frage und bot an, sich später in der Woche zu treffen, wenn weitere Informationen erforderlich waren. Rebecca bedankte sich und bestätigte den Termin. Sie begann mit der Arbeit an der Hausarbeit und brachte sie dann zum vereinbarten Zeitpunkt zur Dozentin, um Feedback zu erhalten und sicherzustellen, dass sie auf dem richtigen Weg war. Sie konnte die Hausarbeit dann pünktlich fertigstellen.
Kommunikation mit Tutor*innen kleiner Klassen
- Tutorien sind in der Regel kleinere Klassen, in denen die Studierenden das Kursmaterial diskutieren oder praktische Aktivitäten durchführen können. In manchen Studiengängen gibt es Seminare, in denen oft ebenfalls aktive Beteiligung erwartet wird.
- Die Teilnahme an diesen Veranstaltungen kann obligatorisch sein, es sei denn, du hast ein Attest oder außergewöhnliche Umstände, die dich an der Teilnahme hindern. Wenn diese Lehrveranstaltungen dich vor große Probleme stellen, kannst du zur Beratung für Studierende mit Behinderung gehen und versuchen, mit ihnen eine Lösung zu finden.
- Diese kleinen Klassen können Studierende im Autismus-Spektrum vor Herausforderungen stellen. Viele sind sich nicht sicher: Wann fange ich an zu reden? Wie lange rede ich? Wann höre ich auf zu reden? Welche Themen können in der Gruppe diskutiert werden? Wie und wann stelle ich Fragen?
- Es ist wichtig zu wissen, dass die Teilnahme an der Diskussion nicht immer obligatorisch ist.
- Wenn du Angst hast, in Gruppen zu sprechen, kann es sinnvoll sein, den Lehrenden das mitzuteilen. Du kannst in diesem Zusammenhang mitteilen, dass du autistisch bist und wie sich das auf deine Teilnahme an der Lehrveranstaltung auswirkt, du musst es aber nicht. (Sich im Studium als autistisch zu outen, kann Vor- und Nachteile haben.)
Das kann den Lehrenden helfen, dich besser zu verstehen und auf deine Bedürfnisse einzugehen. Zum Beispiel werden sie dich vielleicht nicht direkt auffordern, Kommentare abzugeben oder Fragen zu beantworten. Eine Garantie dafür gibt es nicht – vielleicht sind sie auch der Ansicht, dass du da durch musst. - Manchmal können einzelne Studierende Diskussionen in kleinen Klassen dominieren. Es ist für keinen Studierende*n angemessen, die Diskussionen zu dominieren, weil alle Studierenden die Möglichkeit zur Teilnahme benötigen.
- Es ist wichtig sicherzustellen, dass deine Beiträge zu Unterrichtsdiskussionen relevant sind. Deshalb sollten deine Antworten oder Fragen sich im Allgemeinen auf Informationen aus den Vorlesungen, Lehrbüchern oder der empfohlenen Lektüre stützen.
- Falls du dir Sorgen machst, in Gruppen zu viel zu reden, kann es ebenfalls sinnvoll sein, deiner Tutor*in oder Dozent*in zu sagen, dass du autistisch bist und dass es dir schwerfällt zu wissen, wann du zu viel redest. Du kannst sie bitten, dir anzuzeigen, wann es Zeit ist, mit dem Reden aufzuhören. Möglicherweise kannst du auch mit ihnen eine Formel ausarbeiten, wie viel Reden angemessen ist, zum Beispiel eine bestimmte Anzahl von Fragen pro Unterrichtseinheit oder ein Zeitlimit für Antworten.
- Vermeide die Beantwortung von Fragen, die du nicht vollständig verstehst.
- Abhängig von der Struktur der Lehrveranstaltung kann es währenddessen oder danach Zeit geben, Fragen zu stellen. Du kannst dir deine Fragen notieren, damit du sie nicht vergisst.
- Du kannst deinen Lehrenden auch Fragen per E-Mail senden. Schreibe die E-Mails höflich, kurz und prägnant. Normalerweise haben die Tutor*innen Zeit für die Beratung der Studierenden. Du kannst um einen Termin bitten, um sich mit deiner Tutor*in zu treffen, wenn es Unklarheiten zum Kursmaterial, zu Hausarbeiten oder der Prüfungsvorbereitung gibt. Es ist ratsam, spezifische Fragen für das Treffen vorzubereiten.
Juliane ist eine intelligente und zufriedene Studentin, die von ihrem Fachgebiet Agrarwissenschaften fasziniert ist. Juliane stellte fest, dass einige ihrer Mitstudierenden nicht die gleichen Dinge zu wissen schienen, die sie bereits wusste, und dass der Kurs Zeit mit Dingen verbringen musste, die Juliane zuvor gelernt hatte.
Juliane wollte ihren Dozent*innen auch viele Fragen stellen, als ihre Gedanken vom Thema zu verwandten Themen und wieder zurück sprangen. Juliane merkte, dass einige Leute frustriert waren, weil sie viele Fragen stellte, und die Dozentin sagte ihr oft, dass sie warten musste, bis sie als Gruppe in Kürze dazu kamen. Juliane wurde auch frustriert und war sich nicht sicher, ob dies das richtige Studium für sie war.
Die Dozentin sprach mit dem gesamten Kurs und alle stimmten zu, am Ende jeder Sitzung 15 Minuten für die Beantwortung der eingereichten Fragen vorzusehen. Auch während der Sitzung können die Studierenden noch Fragen stellen. Wenn diese jedoch nicht direkt mit dem jeweiligen Inhalt zusammenhängen, werden sie auf einem Whiteboard notiert, damit sie in der Fragezeit beantwortet werden können. Die Dozentin hat die endgültige Entscheidung darüber, was behandelt wird. Für zusätzliche Fragen müssen die Schüler Termine vereinbaren, um außerhalb der normalen Unterrichtszeit mit ihr zu sprechen.
Juliane hat jetzt einen Rahmen, wie und wann Fragen zu stellen sind, und hat gelernt, darauf zu vertrauen, dass sie beantwortet werden. Die Dozentin ist in der Lage, die erforderlichen Inhalte durchzuarbeiten, und die Frustration aller ist zurückgegangen.
Kommunikation mit anderen Studierenden
Viele Studierende im Autismus-Spektrum sagen, dass soziale Situationen mit anderen Studierenden ihnen den größten Stress verursachen. Es kann schwierig sein, die nonverbalen Hinweise, Anspielungen und sozialen Regeln zu verstehen, die mit dieser Kommunikation meist einhergehen.
Eine erfolgreiche Kommunikation mit deinen Mitstudierenden kann dein Studium jedoch viel angenehmer und einfacher machen. Viele Studierende diskutieren die Kurse und die Aufgaben und geben einander hilfreiche Tipps. Daher kannst du hilfreiche Unterstützung und Ratschläge zu deinem Studium erhalten. Durch diese Kontakte können auch Freundschaften entstehen.
Studierende aus deinen Kursen kennenlernen
Es kann schwierig sein, ein Gespräch mit jemandem anzufangen, den man nicht kennt. Ein Vorteil von Studierenden ist, dass der Kurs etwas ist, das jeder im Kurs gemeinsam hat. Daher kann das eine einfache Möglichkeit sein, ein Gespräch zu beginnen. Du kannst beispielsweise einen Studenten, der im Kurs neben dir sitzt, fragen, ob er mit der nächsten Aufgabe begonnen hat.
Du kannst dir eine Liste möglicher Fragen erstellst, die du anderen Studierenden in deinem Kurs stellen kannst. Verwende einige davon, um ein Gespräch zu beginnen. Hör dir ihre Antworten an, da diese Informationen für weitere Fragen und Diskussionen liefern können.
Es kann sinnvoll sein, die Interaktionen anderer beobachten, um einige wichtige Kommunikationsregeln zu erkennen. Dazu gehören: die übliche Menge an Augenkontakt, die physische Entfernung zu anderen, angemessene Begrüßungen und das Verhältnis von Sprechen und Zuhören.
Wichtig ist, dass du selbst entscheidest, wie sehr oder wie wenig du dich anpassen willst. Du solltest nie deine eigenen Bedürfnisse aus den Augen verlieren. Überlege dir, wie viele (und welche) sozialen Kontakte du haben willst und kannst. Plane Erholungszeiten ein.
Veranstaltungen der Hochschulen
Einige Hochschulen haben Clubs oder andere regelmäßige Veranstaltungen, denen Studierende beitreten können. Dazu gehören auch Hochschulsport und Veranstaltungen des AStAs.
Der Vorteil davon ist, dass es Studierende mit gemeinsamen Interessen zusammenbringt. Es ist eine einfache Möglichkeit, andere kennenzulernen und sich regelmäßig mit ihnen zu treffen.
Treffpunkte finden
Die Cafeteria ist bei vielen Studierenden ein beliebter Treffpunkt. Oft ist sie deshalb auch sehr laut, trubelig und chaotisch.
Für viele autistische Studierende ist das ablenkend und anstrengend.
Wenn du andere Studierende treffen möchtest, kannst du einen ruhigeren Ort vorschlagen oder ihr trefft euch in der Cafeteria, wenn dort weniger los ist. (Die geschäftigsten Zeiten in der Cafeteria sind meistens zwischen 12 und 14 Uhr und nach Ende der Lehrveranstaltungen.)
Es kann schwierig sein, einen ruhigen Ort an der Uni zu finden, an dem es gleichzeitig erlaubt ist, sich mit anderen zu unterhalten oder etwas zu essen. Es kann sinnvoll sein, sich Zeit zu nehmen, gezielt nach solchen Orten zu suchen.
Hannes ist ein Student, der Augenkontakt vermeidet, weil er ihn zu intensiv findet und Angst davon bekommt. Ein Kommilitone sagte ihm, dass es ihn desinteressiert und nicht vertrauenswürdig erscheinen ließ. Hannes übte dann, eher auf den Nasenrücken als auf die Augen zu schauen. Dadurch reagierten die anderen positiver auf ihn, und er konnte den unangenehmen Augenkontakt trotzdem vermeiden.
Du musst selbst herausfinden, was für dich funktioniert und was dir guttut. Überlege dir, in welchen Situationen sich Anpassung lohnt und in welchen sie es nicht wert ist.
Erfahrungen autistischer Studierender
Seans Erfahrungen
»In Gesprächen ist mein ›Radar‹ nur begrenzt in der Lage, all die subtilen Botschaften zu erfassen, die wir alle aussenden, und mein Verständnis kann zu wörtlich sein, was zu Verwirrung führt. Ich vermute, dass diese ›Wörtlichkeit‹ der Grund ist, warum mir das Programmieren so viel Spaß macht.
Ein weiteres Problem ist meine persönliche Schüchternheit, besonders bei neuen Leuten, so dass es Monate dauern kann, bis ich mich traue, den Namen von jemandem zu sagen oder bei Gruppenarbeit auch nur einen Vorschlag zu machen.
Bei der Gruppenarbeit kommt hinzu, dass ich Stabilität und Sicherheit brauche. Wenn ich das nicht habe, gerate ich in der Regel in einen Prozess, der von hohem Stress über Müdigkeit bis hin zu Resignation und Rückzug aus der Teilnahme reicht. Bei Gruppenarbeit kann dies dadurch verursacht werden, dass die Gruppe führungslos ist, Selbstzweifel hat oder die Aufgabe sehr unklar ist.«
Fragen und Antworten
Frage: »Ich habe meiner Dozentin einige Fragen zur Kursarbeit per E-Mail geschickt. In ihrer Antwort wies sie mich an, bestimmte Kapitel im Lehrbuch zu lesen. Ich war frustriert, als ich diese gelesen hatte und immer noch etwas von dem Material nicht verstand. Ich habe ihr erneut eine E-Mail mit weiteren Fragen geschickt, aber sie wiederholte, dass ich das Lehrbuch lesen sollte. Sollte ich ihr noch einmal eine E-Mail senden, um zu sagen, dass ich das Lehrbuch gelesen habe und mit ihrem Rat frustriert bin?«
Antwort: Du solltest deiner Dozentin erneut eine E-Mail senden und erklären, dass du die entsprechenden Kapitel im Lehrbuch gelesen hast, aber noch einige Fragen hast, und um einen Termin bitten, um sie zu sehen. Es ist am besten, eine Folge von E-Mails ohne wirkliches Ergebnis zu vermeiden.
Frage: »Ich spreche gerne mit einem anderen Studenten in meinem Laborkurs. Ich dachte, wir verstehen uns gut, aber manchmal, wenn ich ihn im Korridor begegne, hält er nicht für ein Gespräch an. Ich bin mir nicht sicher, ob er mit mir befreundet sein will.«
Antwort: Du musst nicht denken, dass jemand dich nicht mag, weil er nicht immer zu einem Gespräch anhält. Vielleicht muss er zum Unterricht und hat keine Zeit zum Reden. Trotzdem kann er ein Freund oder ein guter Bekannter sein. Begrüße ihn einfach im Korridor und heb dir eure längeren Gespräche für einen Zeitpunkt auf, an dem ihr mehr Zeit habt.
Zuletzt bearbeitet am 23.11.2023.
Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus