Wir sind autistisch und das ist gut so.

Eine der größten Herausforderungen bei der Aufnahme eines Studiums kann sein, sich auf dem Campus zurechtzufinden. Nachdem du einige Jahre damit verbracht hast, den Grundriss, die ruhigen Räume und die Einrichtungen deiner Schule kennenzulernen, kann eine neue Umgebung eine große Herausforderung sein – vor allem, weil der Campus oft groß und trubelig ist.

Hier sind ein paar Tipps, damit du in den ersten Wochen nicht überfordert bist.

Erfahre mehr über die Lage des Campus

Was ist ein Campus?

Unter einem Campus versteht man das Gelände, auf dem sich eine Hochschule oder Universität und die dazugehörigen Gebäude befinden. Zu einem Hochschulcampus gehören in der Regel Bibliotheken, Hörsäle, Wohnheime, Studentenzentren oder Mensen und parkähnliche Anlagen.

Die Hochschulgelände können unterschiedlich groß und geformt sein. Manchmal befindet sich der ganze Campus auf einem zusammenhängenden Stück Land, manchmal sind die Gebäude über die ganze Stadt verteilt.

Dann kann es schwieriger sein, von einem Kurs zum anderen zu kommen oder einen Ort zu finden, um sich mit Mitstudierenden zu treffen.

Sobald du einen Studienplatz hast, solltest du dich auf der Website deiner Hochschule über den Lageplan informieren. Du kannst dir den Plan ausdrucken oder vor Ort an der Uni einen bekommen.

Suche nach wichtigen Orten

Markiere auf dem Plan bestimmte Bereiche, die du nutzen wirst, zum Beispiel die Bibliothek, dein Institut, die Hörsäle, die Mensa und die Cafeteria.

Lerne, wie du zur Uni kommst

Wenn du außerhalb des Campusgeländes wohnst, ist es wichtig, dass du weißt, wie du zu und von deiner Hochschule kommst. Informiere dich vor deinem Besuch über die Strecken und Fahrpläne öffentlicher Verkehrsmittel oder über geeignete (möglichst sichere) Strecken, um mit dem Rad zu fahren. Im Falle öffentlicher Verkehrsmittel achte auch darauf, wie lange sie fahren. Du willst ja nicht den letzten Bus nach einem langen Studientag verpassen.

Versuche nach Möglichkeit, einen alternativen Plan zu erstellen, für den Fall, dass du aufgrund von Bauarbeiten eine andere Route wählen musst oder dein Fahrrad kaputt ist und du auf die Öffentlichen umsteigen musst.

Fahr die Strecke möglichst ein paar Mal, bevor das Semester anfängt.

Achte auch darauf, wie es dir sensorisch dabei geht. Öffentliche Verkehrsmittel sind oft laut und stressig. Denk über geräuschdämmende Kopfhörer nach, auch wenn du denkst, dass du es aushalten kannst. Eine ständige (wenn auch aushaltbare) Reizüberlastung frisst viel Energie – und die brauchst du für andere Dinge.

Versuche, die Hochschule zu besuchen, bevor du anfängst

Die Hochschulen haben zwar Online-Ressourcen, die dir helfen, dich auf dem Campus zurechtzufinden, aber es ist besser, sich persönlich einen Eindruck von der Umgebung zu verschaffen.

Das ist besonders wichtig für Studierende mit Mobilitätsproblemen oder Orientierungsschwierigkeiten. Finde alle zugänglichen Eingänge, Toiletten, Aufzüge und Parkplätze. Besuche die Wohnheime, die für Menschen mit motorischen Beeinträchtigungen vorgesehen sind. Überlege, wie sich negative Auswirkungen von Wetter, Hügeln und anderen Gegebenheiten auf dem Campus vermeiden lassen.

Autistische Studierende sind durch Ungewissheiten oft gestresst. Im Studium wird viel Neues auf dich zukommen, deshalb ist es gut, dich zumindest mit deiner Umgebung vertraut zu machen, bevor das Semester beginnt.

Es gibt einige Orte, die du entweder regelmäßig nutzen wirst oder die gute Orientierungspunkte sind. Dazu gehören Bibliothek, Mensa, Cafeterias und dein Institut.

  • Finde heraus, wie du zu jedem dieser Orte gelangst.
  • Mach dich mit jedem dieser Orte vertraut.
  • Zieh in Betracht, Fotos von diesen Orten zu machen, wenn diese Strategie dir hilft.
  • Suche auch zum Beispiel die nächstgelegenen Toiletten, einen ruhigen Ort für eine kurze Auszeit o.ä.

Es ist eine gute Idee, sich im Sommer physisch auf dem Campus umzusehen. Denk daran: Je näher du an der Vorlesungszeit bist, desto mehr Leute sind wahrscheinlich da.

Überprüfe die Orte deiner Lehrveranstaltungen

Sobald du deine Lehrveranstaltungen kennst, solltest du dich mit dem Ort deiner Vorlesungen vertraut machen. Das Letzte, was du willst, ist, an deinem ersten Tag im falschen Hörsaal zu landen.

Mach dich vertraut damit, wie du von einer Lehrveranstaltung zur nächsten kommst (oder zur Mensa, Bibliothek o.ä.).

Wenn du deinen Stundenplan selbst zusammenstellst und die Lehrveranstaltungen an verschiedenen Orten sind, achte darauf, dass dir genug Zeit bleibt, um von einem Kurs zum nächsten zu kommen.

Bedenke dabei auch, dass an einigen Universitäten chronischer Platzmangel herrscht. Wer erst knapp vor Beginn der Vorlesung ankommt, bekommt möglicherweise keinen Platz mehr und muss auf der Treppe sitzen.

Leider kommt es vor, dass Lehrveranstaltungen manchmal in einem anderen Raum stattfinden als geplant (entweder nur einmal oder dauerhaft). Klassischerweise wird man darüber durch einen Zettel an der Hörsaaltür informiert, inzwischen auch manchmal per Online-System. Überlege dir, wie du mit dieser Situation umgehen kannst.

Suche ruhige Orte

Wenn du so bist wie ich und Lärm und Trubel dich sensorisch schnell überlasten, wirst du ruhige Orte brauchen.

In einer Situation, in der du gestresst und sensorisch überlastet bist, willst du nicht ewig durch die Uni rennen, um nach einem ruhigen Ort zu suchen.

Leider kann es schwierig sein, auf dem Campus ruhige Orte zu finden.

  • Die Mensa und Cafeterias sind oft laut, vor allem um die Mittagszeit und zwischen den Lehrveranstaltungen.
  • Manche Unis haben schöne Orte im Freien, aber bei Regen oder Kälte ist das keine gute Alternative.
  • Die Bibliothek ist ruhig, aber dort darf man nicht essen. Für die Mittagspause ist es also nicht geeignet.
  • Manchmal gibt es Sitzgelegenheiten oder Lern-Nischen in ruhigen Fluren der Uni-Gebäude.
  • Orte, die während der vorlesungsfreien Zeit sehr ruhig, können zur Vorlesungszeit das genaue Gegenteil davon sein. Ähnliches gilt für unterschiedliche Tageszeiten oder Wochentage.
  • Möglicherweise möchtest du geräuschdämmende Kopfhörer in Betracht ziehen. Wenn du mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Uni fährst, können sie sich allein dafür schon lohnen, und an der Uni kannst du sie aufsetzen, wenn du sie brauchst. Man unterschätzt, wie viel Energie ständige Reizüberlastung frisst.
  • Möglicherweise ist es gar nicht so sehr der Geräuschpegel selbst, der sich stresst, sondern der soziale Stress. Dann such dir entweder einen Ort, an dem du allein sein kannst (schwierig, ich weiß), oder einen Ort, an dem du dich mit anderen Menschen wohl fühlen kannst. Für manche Menschen ist der Fachschaftsraum oder ein kleines Fachschaftscafe ein geeigneter Ort.

Finde heraus, welche Angebote der Hochschule dir helfen können

Es muss dir nicht peinlich sein, dich an deine Hochschule zu wenden und um Hilfe zu bitten. Schließlich ist es in ihrem Interesse, dass sich die Studierenden nicht auf dem Campus verirren!

Bereits vor deinem Studium kannst du den Tag der Offenen Tür nutzen, um den Campus kennenzulernen. Möglicherweise erhältst du auch die Erlaubnis, vor Studienbeginn an einigen Vorlesungen teilzunehmen.

In der Regel helfen dir die Orientierungs- und Informationsveranstaltungen zu Beginn des Semsters dabei, herauszufinden, welche Orte auf dem Campus am besten geeignet sind. Manche Hochschulen bieten außerdem eine behindertengerechte Orientierung an, die auf die besonderen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen Rücksicht nimmt.

Sieh auf der Universitätswebsite, der Website deines Faches, und der Website deiner studentischen Fachschaft nach, wann die Orientierungsveranstaltungen stattfinden. Manchmal finden sie schon vor Semesterbeginn statt, manchmal in den ersten Semesterwochen.

Die Nutzung der Uni-Einrichtungen

Mach dich nicht nur mit den Gebäuden, sondern möglichst auch damit vertraut, wie du die Einrichtungen nutzen kannst:

  • Wo bekommst du deinen Studierendenausweis?
  • Wie funktioniert die Nutzung der Bibliothek? Wie du in der Bbliothek nach Büchern oder Artikeln recherchierst, erfährst du in der Orientierungsveranstaltung der Bibliothek. Aber auch andere Dinge möchtest du vielleicht vorher wissen: Was darfst du mit in die Bibliothek hineinnehmen, was lässt du im Schließfach? Funktioniert das Schließfach mit den Studierendenausweis, mit einem Code oder einem Schlüssel? Wie leihst du Bücher aus?
  • Wie kannst du den Computerraum nutzen?
  • Wie funktioniert die Nutzung der Mensa? (Heute ist es meist so, dass du deinen Studierendenausweis nutzen kannst, um in der Mensa zu bezahlen.) Bietet die Mensa Essen an, dass du essen willst und kannst (z.B. im Fall von Allergien)?
  • Wie funktioniert das Online-System und wo meldest du dich dafür an?
  • Welche weiteren Angebote bietet die Uni an, die für dich interessant sind, zum Beispiel Fachschaften, studentische Gruppen und Initiativen, Sprachkurse, oder Freizeitangebote wie Hochschulsport? Diese Angebote eignen sich gut, um andere Studierende mit den selben Interessen kennenzulernen. UNd im Sport gibt es nicht nur leistungsorientierte Gruppen, sondern auch gesundheitsorientierte Angebote wie Fitness und Rückengymnastik. Du wirst im Studium viel sitzen, und Bewegung ist ein guter Ausgleich.

Einige dieser Fragen werden während der Informationsveranstaltungen beantwortet, aber wenn du sie vorher wissen möchtest, kannst du sie vorher herausfinden.

Deine Unterkunft

Wenn du gerade von zu Hause ausgezogen bist, musst du dich auch mit deinem neuen Zuhause und der Umgebung vertraut machen – vom Supermarkt bis hin zur Suche einer neuen Hausärzt*in.

In deinem neuen Alltag wirst du viele neue Routinen etablieren müssen: Du musst Essen einkaufen und zubereiten, den Abwasch machen und die Küche aufräumen, Wäsche waschen, die Wohnung putzen und vieles mehr.

Dazu kommt Papierkram: Du musst dich am neuen Wohnort anmelden, für deine Wohnung Strom- und Internetverträge abschließen, Bafög beantragen und/oder dich für Stipendien bewerben (Studienfinanzierung) und vieles mehr.

Das Thema geht deutlich über diesen Artikel hinaus, aber plane Zeit für diese Dinge ein, und überlege dir, ob du Unterstützung dabei brauchst.

Erfahrungen autistischer Studierender

Bens Erfahrungen

»Sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden – vom Stundenplan über die Lage der Hörsäle bis hin zur Frage, wo man nachmittags essen gehen sollte – kann eine Weile dauern und anfangs sehr verwirrend sein. Als Person mit Autismus kann es besonders verwirrend sein.«

Joshuas Erfahrungen

»Es sei darauf hingewiesen, dass die Erstsemesterwoche noch einen weiteren äußerst nützlichen Zweck erfüllt: Sie bietet den Erstsemestern die Gelegenheit, sich vor Beginn der ersten Vorlesungswoche so gut wie möglich mit dem Hochschulcampus vertraut zu machen.

Nutze diese Zeit. Finde heraus, wo sich deine Hörsäle befinden, lerne einige der Wege kennen, die du von einem Gebäude zum anderen nehmen kannst, finde einige der Bibliotheken und Büros, die du im Laufe des Jahres möglicherweise in Anspruch nehmen musst, erkunde einige gute Imbisse, vor allem solche in der Nähe deiner Hörsäle für den Fall, dass du vor deiner nächsten Vorlesung nur wenig Zeit zum Essen hast … all diese Dinge solltest du bedenken, damit du nicht zu aufgeregt in die erste Vorlesungswoche gehst.

Ein bisschen Aufregung ist natürlich unvermeidlich, aber das liegt einfach daran, dass man einen neuen Lebensabschnitt beginnt.«

Katharzinas Erfahrungen

»Wenn man in der Uni von Vorlesung zu Vorlesung geht, kann es vorkommen, dass man an einem Tag um 9 Uhr eine Vorlesung hat und dann erst um 17 Uhr wieder eine Vorlesung.

Ich könnte zum Beispiel am Vormittag in einer der Bibliotheken lernen, dann um 12.30 Uhr zum Mittagessen in die Mensa gehen und danach noch einmal lernen, bevor ich mich um 15.30 Uhr mit einer Freundin treffe.

Das ist natürlich eine besonders große Lücke, aber ich will damit nur betonen, wie nützlich es sein kann, den ganzen Tag zu planen und nicht nur die Vorlesungen oder Labore (im Falle eines naturwissenschaftlichen Studiums).«

Zuletzt bearbeitet am 23.11.2023.

Linus Mueller
Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus