Lisbeth Salander: Hackerin, Kämpferin – Autistin?
Lisbeth Salander ist 1,54 klein, bleich, mager und hat kurze schwarzgefärbte Haare. Sie ist 24, sieht aber eher aus wie 14. Ihre Nase und ihre Augenbrauen sind gepierct, auf ihrer linken Schulter ist ein Drachen eintätowiert, im Nacken trägt sie ein Wespen-Tattoo und auch um ihrem linken Oberarm und ums Handgelenk schlingen sich Tätowierungen. Sie trägt eine schwarze Lederjacke und ebenso schwarze Jeans und Stiefel. Lisbeth Salander ist neben dem Journalisten Mikael Blomkvist die Heldin von Stieg Larssons preisgekrönter Millenium-Trilogie.
Stieg Larssons Trilogie besteht aus den drei Bänden »Verblendung», »Verdammnis« und »Vergebung», alle sind inzwischen auch als Film erhältlich.
Lisbeth Salander ist ein ungewöhnlicher Krimi-Charakter. In einer E-Mail an seinen schwedischen Verleger erklärt Stieg Larsson, wie er Salander schuf:
Ich habe versucht, gegen den Strom zu schwimmen, verglichen mit den üblichen Krimis. Ich wollte Hauptcharaktere schaffen, die sich dramatisch von denen der üblichen Krimis unterscheiden. Mein Ausgangspunkt war, wie Pippi Langstrumpf als Erwachsene wäre. Würde man sie eine Soziopathin nennen, weil sie die Gesellschaft anders betrachtet und sie keine sozialen Kompetenzen hat? Sie wurde zu Lisbeth Salander, die viele maskuline Züge hat.
Kämpferin
Stieg Larssons Charakter Lisbeth Salander erlebte eine traumatische Kindheit. Als 12-jährige wird sie in die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Uppsala eingewiesen – wie es dazu kam, wird erst im Laufe der Geschichte klar. Als Erwachsene steht Salander unter Betreuung, was zu einem großen Problem wird, als sie plötzlich einen neuen Betreuer bekommt, der sie missbraucht. Doch Lisbeth Salander weiß sich zu wehren – ihrem Betreuer gegenüber ebenso wie den anderen »Männern, die Frauen hassen« (so der übersetzte Originaltitel des ersten Bandes). Lisbeth Salander weigert sich ein ums andere Mal, Opfer zu bleiben, immer wieder steht sie auf und kämpft bis zum letzten.
Lisbeth Salander ist Männern, die Frauen missbrauchen, extrem feindlich gesinnt und zeigt ein besonderes Interesse daran, solche Männer bloßzustellen und zu bestrafen. Das stimmt mit der persönlichen Sicht des Autors Stieg Larsson überein und ist eines der Themen, die sich durch die gesamte Trilogie ziehen.
Hackerin
Lisbeth Salander ist eine geniale Hackerin. Unter dem Pseudonym »Wasp« ist sie in einer internationalen Hacker-Community, der »Hacker Republic«, bekannt. Sie hackt sich in fremde Computer und nutzt diese Fähigkeiten auch, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen, denn sie führt Recherchen für die Sicherheitsfirma Milton Security durch.
Autistin?
Lisbeth Salander ist extrem introvertiert und ungesellig und hat fast kein soziales Umfeld. Ein Zitat aus ihrer medizinischen Akte liest sich so: »introvertiert, sozial gehemmt, Mangel an Empathie, egozentrisch, psychopathisches und anti-soziales Verhalten, Mangel an Kooperation und Lernvermögen«. Salander besitzt ein fotografisches Gedächtnis und ist hochintelligent, zeigt das aber nicht jedem. Sie hat klare moralische Vorstellungen und handelt diesen entsprechend, auch wenn sie eher unkonventionell und die Aktionen nicht immer legal sind. Ihre Feinde bekämpft sie aufs Äußerste, ihren Freunden gegenüber zeigt sie eine große Loyalität. Lisbeth Salander mag Sex und schläft mit Frauen und Männern, aber für Romantik und Beziehungen hat sie keinen Sinn. Trotzdem verletzt es sie, als sie Blomkvist mit einer anderen Frau sieht, nachdem sie miteinander geschlafen haben, und sie bricht jeglichen Kontakt zu ihm ab.
Stieg Larsson deutet in seinen Romanen hin und wieder an, dass Lisbeth Salander das Asperger-Syndrom haben könnte. Die Vermutung ist also nicht aus der Luft gegriffen, wenngleich Larsson keine Notwendigkeit sieht, seiner Protagonistin eine Diagnose zu verpassen.
Fazit
Stieg Larssons Millenium-Trilogie ist ein starkes Statement gegen Psychiatrisierung und für das Recht, anders zu sein, für starke Frauen und guten Journalismus.
Die Stieg-Larsson-Werke sind nicht nur hervorragende Krimis und gesellschaftskritische Unterhaltung, sie sind auch ein realistisches und engagiertes Portrait einer starken Frau mit autistischen Zügen. Ich kann sie jedem empfehlen, der Bücher oder Filme sucht, in denen autistische Charaktere vorkommen, der aber verschont bleiben will von Pathos und Sensationslust, die Werke über autistische Menschen oft unterschwellig durchziehen. Stieg Larssons Trilogie beschönigt nichts, sondern zeigt, wie Lisbeth Salander sich energisch und zielstrebig durchs Leben kämpft und sich im Laufe der Geschichte auch weiterentwickelt.
Die Stieg Larsson Trilogie ist revolutionär in der Hinsicht, dass einer der Hauptcharaktere autistisch ist, ohne das ständig auf Autismus herumgeritten wird. Nadia Shehadeh bezeichnet im Philibuster »die Schärfung des Blicks für Lebensweisen, die jenseits aller Normierungen der Wertvorstellungen unserer Gesellschaft liegen« als Vermächtnis des früh verstorbenen Stieg Larssons. Shehadeh weist auch darauf hin, dass Lisbeth Salander radikal mit traditionellen Geschlechterrollen bricht.
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Zuletzt bearbeitet am 01.02.2022.
Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus