Wir sind autistisch und das ist gut so.

Ein Praktikum kann eine wertvolle Gelegenheit sein, um erste Arbeitserfahrungen zu sammeln und sich in der Arbeitswelt zurechtzufinden. Gleichzeitig kann es besonders für autistische Menschen eine große Herausforderung sein.

Hier geht es darum, wie Autisten das beste aus einem Praktikum machen können, mit Stress und typischen Problemen umgehen können, und welche Unterstützung verfügbar ist.

Wie finde ich eine passende Praktikumsstelle?

Eine passende Praktikumsstelle zu finden ist nicht einfach. Je nach Situation können folgende Strategien hilfreich sein:

  • die üblichen Praktikum-Stellenanzeigen
  • »Blindbewerbungen«, d. h. du bewirbst dich um ein Praktikum, ohne dass das Unternehmen diese Stelle ausgeschrieben hat
  • Familie und Bekannte fragen, ob sie eine Stelle vermitteln können
  • bei den Autismusbeauftragten der Berufsberatung für Menschen mit Behinderung der Agentur für Arbeit nachfragen, welche Unterstützung verfügbar ist
  • im Karrierezentrum der Universität oder der Fachhochschule fragen, welche Unterstützung verfügbar ist
  • Unternehmen recherchieren, die offen für Diversität und Inklusion sind
  • Praktikumsstellen bei sozialen Organisationen finden (bzw. auch hier auf gut Glück bewerben)

Idealerweise überlegst du genau, was man in der Praktikumsstelle erreichen möchtest, und informierst dich über über die Anforderungen der Praktikumsstelle, um sicherzustellen, dass diese deinen Fähigkeiten und Interessen entspricht.

Es kann aber schwierig sein, aus der Praktikumsausschreibung genau herauszulesen, was

Wie offen soll man im Bewerbungsprozess über Autismus sprechen?

Ob man im Bewerbungsprozess über Autismus sprechen sollte, darauf gibt es keine einfache Antwort, weil es von den individuellen Umständen abhängt. Einige autistische Praktikant*innen entscheiden sich dafür, im Bewerbungsprozess mitzuteilen, dass sie autistisch sind, während andere diese Information für sich behalten.

Autismus ist definitiv mit einem Stigma behaftet. Außerdem weiß dein Gegenüber wahrscheinlich nicht viel über Autismus und ist sich unsicher, was das für dich und dein Praktikum bedeutet. Viele Leute scheuen Unsicherheiten und stellen in diesem Fall lieber eine andere Person ein.

In manchen Fällen kann es jedoch hilfreich sein, die Diagnose während des Bewerbungsprozesses zu erwähnen, um sicherzustellen, dass Arbeitsumgebung oder -abläufe angemessen angepasst werden können.

Falls du sagst, dass du autistisch bist, solltest du auf jeden Fall mitteilen, wie sich Autismus auf dich und deine Arbeit auswirkt. Eine andere Möglichkeit ist es, bestimmte Bedürfnisse zu nennen, ohne jedoch Autismus zu erwähnen (»Ich arbeite am besten, wenn …«).

Die Entscheidung, ob du deine Diagnose offenbarst oder nicht, ist eine persönliche Entscheidung und niemand kann sie dir abnehmen. Jede autistische Person muss für sich selbst entscheiden, was für sie am besten ist.

Das Arbeitsumfeld und die Arbeitsaufgaben

Eine große Herausforderung für autistische Praktikant*innen kann das Arbeitsumfeld sein. Du weißt selbst am besten, was für dich ein Problem ist – Lärm und Unruhe im Großraumbüro, grelles Licht, die Unvorhersehbarkeit, ständige Unterbrechungen und/oder anderes.

Vielleicht bist du dir auch noch nicht sicher, womit du umgehen kannst und womit nicht. Das herauszufinden, ist eine wertvolle Praktikumserfahrung. Im Idealfall gelingt es dir, an diesem oder an zukünftigen Arbeitsplätzen für deine Bedürfnisse einzutreten und eine Anpassung der Arbeitsbedingungen zu erreichen.

Unterstützung durch Kolleg*innen und Vorgesetzte

Eine offene Kommunikation mit Kolleg*innen und Vorgesetzten kann dazu beitragen, ein unterstützendes Arbeitsumfeld zu schaffen. Durch eine offene Kommunikation können Missverständnisse und Konflikte vermieden werden.

Es kann hilfreich sein, eine Mentor*in im Arbeitsumfeld zu haben, die die dich unterstützt und ihnen bei der Bewältigung von Herausforderungen zur Seite steht. Eine solche Person kann auch dazu beitragen, dein Vertrauen in deine Fähigkeiten zu stärken und dir Tipps geben, was du verbessern kannst.

Denke daran, dass von Praktikant*innen nicht erwartet wird, dass sie perfekt sind und alles schon wissen und können. Das Praktikum ist eine Möglichkeit für dich, etwas zu lernen – nutze es als solche.

Arbeitszeiten und Pausen

Für einige autistische Praktikant*innen kann es schwierig sein, eine reguläre Arbeitszeit einzuhalten. Wenn das auf dich zutrifft, solltest du versuchen, eine flexible Arbeitszeit zu vereinbaren. Flexible Arbeitszeiten können auch dazu beitragen, Stress und Überforderung zu vermeiden.

Es ist für alle Menschen wichtig, regelmäßige Pausen einzulegen, um ihre Konzentration und Motivation aufrechtzuerhalten und eine Überlastung zu vermeiden. Autistische Personen haben oft Schwierigkeiten, Wege zu finden, sich während der Pause zu entspannen:

Einen Kaffee mit dem Kollegen, in der Mittagspause mit den anderen in der Kantine essen oder einen kleinen Stadtbummel machen – für die meisten von uns ist das anstrengend.

Finde einen Weg, dich in Pausen zu entspannen, egal ob du durch einen nahegelegenen Park spazierst oder auf deinem Smartphone Roblox spielst.

Kommunikation und Sozialkompetenz im Praktikum

Kommunikation am Arbeitsplatz

Auch die Kommunikation mit Kolleg*innen und Vorgesetzten kann eine Herausforderung darstellen. Anweisungen können unklar oder ungenau sein, oder indirekt gegeben werden, und es kann schwierig sein zu verstehen, was man machen soll.

Es kann sinnvoll sein,

  • die Anweisung in selbst formulierten Worten zu wiederholen, um sicherzugehen, dass man verstanden hat, was erwartet wird,
  • bei Unklarheiten nachzufragen,
  • um Präzisierung zu fragen (z. B. welchen Zeitrahmen die Arbeit in Anspruch nehmen soll, oder ob man die Software XY dafür verwenden soll),
  • über die Kommunikationsschwierigkeiten sprechen, also beschreiben, womit man Schwierigkeiten hat und welche Art der Kommunikation helfen würde.

Vielen autistischen Menschen hilft es, eine schriftliche To-Do-Liste zu haben. Wenn umfangreiche Anweisungen mündlich gegeben werden, kann es deshalb nützlich sein, sich Notizen zu machen.

Soziale Regeln am Arbeitsplatz

Am Arbeitsplatz gibt es oft ungeschriebene soziale Regeln, die für eine erfolgreiche Zusammenarbeit wichtig sind. Für autistische Praktikant*innen kann es schwierig sein, die sozialen Regeln und Dynamiken am Arbeitsplatz zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.

Es kann daher hilfreich sein, sich im Vorfeld mit den sozialen Regeln vertraut zu machen, um Missverständnisse oder Konflikte zu vermeiden.

Wenn dann (oder auch während dem Praktikum) Fragen aufkommen, frage entweder eine Person deines Vertrauens auf der Arbeit, oder zum Beispiel jemanden aus deiner Familie, der in einem ähnlichen Umfeld arbeitet. Bedenke, dass sich die sozialen Erwartungen unterscheiden können, je nachdem, ob du im Büro eines Traditionsunternehmens oder eines hippen Startups sitzst, oder ob du im Handwerk oder im Krankenhaus arbeitest.

Generell ist es völlig in Ordnung, als Praktikant*in Fragen zu stellen: »Ist es hier üblich, dass …«, »Wie läuft es hier ab, wenn …«.

Wenn du ehrlich sagst, dass du mit dem sozialen Verständnis Schwierigkeiten hast, machst du zwar ein bisschen verletzlich, aber die anderen können besser verstehen, warum du manchmal »merkwürdig« bist: »Mir fällt es schwer, intuitiv zu erkennen, ob … Deshalb weiß ich nicht, wie ich mich dann verhalten soll / trete ich manchmal in Fettnäpfchen.«

Verständnis der sozialen Dynamiken am Arbeitsplatz

Es ist auch wichtig, die sozialen Dynamiken am Arbeitsplatz zu verstehen. Hierzu gehört zum Beispiel das Verständnis der Hierarchie oder der Gruppendynamik. Autistische Menschen haben oft Schwierigkeiten, soziale Signale zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren.

Auch hier kann eine offene Kommunikation mit Kolleg*innen und Vorgesetzten dazu beitragen, die sozialen Dynamiken zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren.

Kommunikationsfähigkeiten und Sozialkompetenz verbessern

Um am Arbeitsplatz mit anderen zusammenarbeiten zu können, sind bestimmte soziale Kompetenzen sehr hilfreich. Autistische Menschen haben in der Regel Schwierigkeiten damit, mit Kolleg*innen und Kund*innen zu interagieren.

Es ist sehr sinnvoll, sich einen Arbeitsplatz zu suchen, an dem sich die Notwendigkeit für Interaktion in Grenzen hält oder auf Bereiche beschränkt, die man meistern kann. Das ist aber gar nicht so einfach – praktisch alle Berufe erfordern ein gewisses Maß an sozialer Interaktion.

Ich finde es oft hilfreich, als Grundlage ein paar Bücher oder Websites zum Thema zu lesen. Manchmal bietet die Agentur für Arbeit auch Workshops dazu an. Die Verbesserung dieser Soft Skills für die Arbeit ist auch etwas, das Autist*innen im Rahmen einer Therapie angehen können.

Natürlich wird all das nicht dazu führen, dass du plötzlich auf die selbe Art wie nicht-autistische Menschen kommunizierst. Es bedeutet auch nicht, dass du keine Anpassungen mehr auf Arbeit benötigst. Aber es kann helfen, im Arbeitsleben erfolgreich zu sein.

Stressmanagement im Praktikum

Ein Praktikum kann eine stressige Zeit sein, besonders für Praktikant*innen im Autismus-Spektrum. Es ist deshalb wichtig, dass du geeignete Strategien zur Bewältigung von Stress zu entwickelst und dafür sorgst, dass es dir gut geht.

Es ist normal, im Praktikum Stress zu empfinden, aber es ist wichtig, darauf zu achten, dass der Stress nicht übermäßig wird. Es kann hilfreich sein, im Vorfeld zu überlegen, welche Aufgaben besonders stressig sein könnten und wie man damit umgehen kann. Auch das Setzen von realistischen Zielen und das Einhalten von Pausen können dazu beitragen, den Stress zu reduzieren.

Es ist wichtig, dass du weißt, was genau dich persönlich stresst und Strategien zur Stressbewältigung entwickelst. Jeder Mensch empfindet Stress aus unterschiedlichen Gründen und entspannt sich anders; es gibt hier keine allgemeingültige Lösung.

Es kann aber helfen, sich selbst besser kennenzulernen und herauszufinden, welche Methoden zur Stressbewältigung am besten funktionieren. Einige Beispiele sind Entspannungsübungen, Sport, Spaziergänge in der Natur, Gespräche mit Freunden oder Therapie.

Fazit: Erfolgreich durchs Praktikum

Zusammenfassend kann man sagen, dass eine gezielte Vorbereitung dazu beitragen kann, das Praktikum erfolgreich zu meistern und wertvolle Erfahrungen zu sammeln. Neben der Kommunikation mit Kolleg*innen und dem Verständnis der sozialen Regeln und Dynamiken am Arbeitsplatz können sensorische Unterschiede Probleme machen, und der Stress kann groß sein.

Überlege dir im Vorfeld, wie du mit diesem Problemen umgehen willst. Wesentlich ist es, dir aus der Menge an Informationen zu diesem Thema die Strategien herauszusuchen, die dir helfen.

Zuletzt bearbeitet am 10.05.2023.

Linus Mueller
Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus