Wir sind autistisch und das ist gut so.

Das Studium unterscheidet sich sehr von der Schule. Es wird von dir erwartet, dass du selbständiger lernst, und es gibt weniger Struktur und weniger Betreuung durch die Lehrkräfte. Es wird von dir erwartet, dass du deinen Stundenplan und deine Termine selbst verwalten kannst.

Studieren – was heißt das?

Zum Studieren gehört:

  • die Vorbereitung auf die Lehrveranstaltungen, indem du Vorlesungsunterlagen, Lehrbücher und andere empfohlene Materialien liest,
  • die Teilnahme an Lehrveranstaltungen,
  • mitschreiben, Notizen machen oder (wenn erlaubt) Vorlesungen aufnehmen,
  • selbständig in der Bibliothek oder im Internet nach weiteren Materialien recherchieren, um deine Aufgaben zu erledigen,
  • zugeteilte Aufgaben fristgerecht erledigen und einreichen.

Wenn du Hilfe brauchst, kannst du diese oft bekommen. Es gibt verschiedene Formen der Unterstützung sowie zahlreiche Beratungsstellen rund ums Studium. Es ist wichtig, dass du um Hilfe bittest oder Unterstützung beantragst, wenn du sie brauchst.

In Tabelle 2 (unten verlinkt) sind die wichtigsten Unterschiede zwischen der Schule und dem Studium aufgeführt. Markiere die Unterschiede, von denen du glaubst, dass du sie am leichtesten bewältigen kannst. Markiere in einer anderen Farbe die Unterschiede, die du als besonders schwierig empfindest.

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Tabelle 2:

Unterschiede zwischen Schule und Studium

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Studieren: Lernen und Lehrveranstaltungen

Illustration: Stundenplan im Studium erstellenIm Studium stellst du dir deinen Stundenplan oft selbst zusammen: Er hängt davon ab, welche und wie viele Lehrveranstaltungen du belegst.

Wie viel Zeit du an deiner Hochschule im Unterricht verbringst, hängt von deinen Lehrveranstaltungen ab. Wenn du zum Beispiel einen naturwissenschaftlichen Kurs belegst, musst du neben Vorlesungen und Tutorien vielleicht auch an praktischen Übungen teilnehmen. Es ist wichtig, dass du die Anwesenheitspflichten kennst.

Die Anwesenheitspflicht besteht nur, wenn du eine Lehrveranstaltung hast. An manchen Tagen hast du vielleicht gar keine Lehrveranstaltungen. Es wird aber erwartet, dass du auch außerhalb der Unterrichtszeiten viel arbeitest. Das kannst du auf dem Campus in der Bibliothek oder einem anderen Lernbereich tun oder zu Hause, wenn du das möchtest.

Manche Studierenden finden es einfacher, zu Hause zu arbeiten, weil sie dort ihren Lernbereich so einrichten können, wie es ihnen gefällt. Andere finden, dass das Lernen auf dem Campus hilft, eine gute Lernroutine mit weniger Ablenkungen zu entwickeln. Finde die Zeit und den Ort, die für dich am besten geeignet sind.

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Übung 5:

Mein idealer Lernbereich

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Vorlesungen

Illustration: VorlesungDie Teilnahme an den Vorlesungen ist nicht immer verpflichtend, aber es ist sehr empfehlenswert, dass du alle Vorlesungen besuchst, damit du den Kursinhalt lernen kannst. Wenn du Vorlesungen verpasst, kann es sehr schwierig sein, den Stoff nachzuholen.

Seminare, Tutorien, Übungen und Laborkurse

In der Regel meldest du dich in der ersten Semesterwoche zu den Seminaren, Tutorien, Übungen und Laborkursen an. Sie beginnen möglicherweise erst in der zweiten Woche des Semesters. Deine Dozent*in teilt dem Kurs mit, wann die ersten Tutorien oder Laborstunden stattfinden. Es ist wichtig, dass du an diesen Lehrveranstaltungen teilnimmst, wenn du dafür eingeschrieben bist.

Online-Systeme

Viele Hochschulen nutzen Online-Systeme, um Informationen auszutauschen und die Verwaltung der Studierenden zu erleichtern. Diese Online-Systeme brauchst du möglicherweise für verschiedene, sehr wichtige Dinge:

  • Anmelden zu Kursen und Prüfungen,
  • Kursnotizen und zusätzliches Lesematerial,
  • Vorlesungs- oder Unterrichtsmitschriften und Handouts,
  • Aufzeichnungen von Vorlesungen,
  • Details zu Prüfungsaufgaben,
  • Einreichungen von Aufgaben,
  • Diskussionsforen und Blogs in der Klasse,
  • E-Mail-Kommunikation,
  • Links zu Lesestoff in der Bibliothek,
  • Links zu verwandten Websites und Online-Artikeln.

Informiere dich über die Online-Ressourcen und -Systeme deiner Lehrveranstaltungen und darüber, wie du dich dort einloggen kannst. Wenn du Probleme beim Zugriff auf das Online-System oder die Ressourcen hast, wende dich an deine Tutor*in oder Dozent*in.

Bibliothek

Illustration: Student in der BibliothekDie Bibliothek wirst du im Laufe deines Studiums oft brauchen. In der Lage zu sein, in der Bibliothek relevante Literatur zu finden, ist oft wesentlich für deinen Studienerfolg.

Fast alle Bibliotheken haben inzwischen ein Online-System. Damit kannst du im Bibliothekskatalog suchen, Artikel und Zeitschriften lesen, Bücher bestellen und die Fälligkeit von ausgeliehenen Medien überprüfen.

Zu lernen, wie man die Bibliothek benutzt, kann für viele Studierende schwierig sein. Die meisten Bibliotheken bieten während der Orientierungswoche spezielle Führungen oder Einführungskurse an. Wenn du danach noch Schwierigkeiten hast, das Bibliothekssystem und die Abläufe zu verstehen, bitte eine Bibliothekar*in um Hilfe.

Noten

Lernen im Studium ist mehr als nur das Auswendiglernen und Wiedergeben von Informationen, das in der Schule oft gefragt war. An der Hochschule werden deine kritischen, analytischen Fähigkeiten durch Prüfungsaufgaben gefördert. Du wirst vielleicht aufgefordert, Beweise für und gegen ein Argument zu sammeln oder Theorien zu vergleichen und gegenüberzustellen.

Benotete Aufgaben können zum Beispiel sein:

  • Aufsätze oder Hausarbeiten,
  • Klausuren,
  • Einzel- oder Gruppenberichte,
  • Literaturabhandlungen,
  • Laborberichte,
  • Teilnahmen an Online-Diskussionsforen,
  • mündliche Prüfungen,
  • mündliche Einzel- oder Gruppenpräsentationen.

Jedes Fach oder jeder Kurs kann sehr unterschiedliche Formen der Bewertung haben. Dein Fach- oder Kursplan gibt dir einen Überblick über die Prüfungsaufgaben für das Semester.

Wissenschaftliche Disziplinen

Illustration: Methoden im StudiumJe nach Fach unterscheiden sich Fragestellungen, Theorien, Methoden und Paradigmen.

Denk mal an ein Thema wie Behinderung – wie man darüber forschen kann und was man darüber sagen kann, unterscheidet sich stark, je nachdem, welches Fach man studiert. Die Kulturwissenschaften haben eine andere Sichtweise darauf als die Naturwissenschaften, die Rechtswissenschaft eine andere als die Medizin, die Sozialwissenschaft eine andere als die Geschichtswissenschaft.

Die Sichtweise anderer Fächer ist nicht falsch, und sie zu kennen, kann deine Arbeit bereichern. Aber für Studienanfänger*innen kann es schwierig sein zu verstehen, warum manche Aussagen in einer Disziplin anerkannt sind und in einer anderen keine valide Aussage. Sie sind zwar faktisch korrekt, bringen dir aber meist keine Punkte in einer Klausur oder Hausarbeit, weil sie an der Fragestellung vorbeigehen.

Eine Methode ist oft eng mit einer wissenschaftlichen Disziplin verbunden, manchmal auch mit mehreren. In Chemie macht man einen Versuch, in Geschichtswissenschaft zum Beispiel eine kritische Auseinandersetzung mit Quellen.

Es ist wichtig, dass du die Fragestellungen, Theorien, Methoden und Paradigmen deines Faches kennst, verstehst und anzuwenden lernst.

Dafür gibt es Einführungsvorlesungen und -seminare. Zudem gibt es für jedes Fach einführende Literatur, die sich zu lesen sehr lohnt. Für einen ersten Überblick über ein Fach kannst du auch im Internet nach [Fach] Methoden etc. suchen.

Online-Diskussionsforen oder Blogs

Illustration: Studieren mit Online-KursenEinige Kurse haben Prüfungsaufgaben, die die Teilnahme an Online-Diskussionsforen erfordern. Du musst vielleicht Kommentare abgeben oder Fragen zu einem bestimmten Thema stellen und die Beiträge anderer Studierender kommentieren.

Vielleicht findest du diese Art der Bewertung eine gute Möglichkeit, mit anderen zu interagieren und zu kommunizieren.

Es ist wichtig, dass du dir über die Bewertungskriterien für diese Aufgabe im Klaren bist:

  • Wie viele Kommentare sind erforderlich?
  • Wie viele Wörter werden erwartet?
  • Wie oft müssen Beiträge verfasst werden?
  • Musst du Quellen nennen?

Manche Studierende im Autismus-Spektrum finden Online-Diskussionen aufgrund der erforderlichen sozialen Interaktionen schwierig. Wenn du diese Art von Prüfungsaufgaben autismusbedingt als zu schwierig oder stressig empfindest, wende dich an die Mitarbeitenden der Studienberatung. Vielleicht ist es möglich, alternative Prüfungsaufgaben zu arrangieren.

Gruppenprüfungen

In einigen Kursen gibt es Prüfungsaufgaben, bei denen du als Teil einer Gruppe Material vorbereiten und einreichen musst.

Gruppenprüfungen funktionieren gut, wenn:

  • die Aufgaben fair und gleichmäßig zwischen den Gruppenmitgliedern aufgeteilt werden,
  • jeder sich über seine Aufgaben im Klaren ist,
  • die Gruppe einen klaren Zeitplan für die Erledigung der Aufgaben festlegt,
  • sich alle Gruppenmitglieder über den Ablauf im Klaren sind,
  • die Gruppenmitglieder wissen, wie sie einander am besten kontaktieren können,
  • die Gruppe sich regelmäßig trifft, um die laufenden Arbeiten zu besprechen.

Illustration: Studierende bei GruppenarbeitEine gute Strategie für die Arbeit in einer Gruppe ist es, zwei Komponenten der Gruppenaufgabe zu identifizieren, die deinen Fähigkeiten und/oder Interessen entsprechen. Schlage der Gruppe vor, dass du die Verantwortung für einen oder beide dieser Bereiche übernimmst.

Manche Studierende im Autismus-Spektrum empfinden Gruppenprüfungen aufgrund der sozialen Interaktionen als schwierig und stressig. Wenn du feststellst, dass diese Strategien nicht funktionieren und die Gruppenprüfungen zu schwierig sind oder zu viel Stress verursachen, wende dich an die Beratung für behinderte Studierende oder direkt an deine Dozent*in. Eventuell ist es möglich, alternative Prüfungsaufgaben zu arrangieren.

Vollzeit- oder Teilzeitstudium

Manche Menschen sehen sich nicht in der Lage, ein Vollzeitstudium zu absolvieren. Sie können sich von den Kursanforderungen überfordert fühlen.

Es kann möglich sein, weniger Fächer für deinen Kurs zu belegen und trotzdem als Vollzeitstudent zu gelten.

Oder du kannst in Teilzeit studieren. Das kann in den ersten Semestern des Studiums von Vorteil sein, damit du dich an die Veränderungen gewöhnen kannst. In den folgenden Semestern kannst du dich immer noch für ein Vollzeitstudium einschreiben.

Wenn du bereits studierst und deine Kurse während des Semesters reduzieren möchtest, ist es wichtig, dass du so bald wie möglich mit der Studentenverwaltung über deine Einschreibung sprichst. Wenn du autismusbedingt dein Studienpensum reduzieren willst, sprich zuerst mit der Beratung für behinderte Studierende.

Dein Pensum ohne Absprache zu reduzieren, kann unangenehme akademische und finanzielle Folgen haben:

  • Die Hochschule kann dich exmatrikulieren, wenn du zu wenig bestandene Kurse hast.
  • Dein Bafög kann gestrichen werden.

Beides lässt sich durch rechtzeitige Kommunikation vermeiden.

Fragen & Antworten

Frage: Ich habe meine erste Aufgabe zurückbekommen und wurde schlecht benotet, weil ich die Frage nicht richtig beantwortet habe. Ich dachte, ich hätte alle relevanten Informationen angegeben. Wie lerne ich, was von einer Aufgabe erwartet wird?
Antwort: Um eine gute Note zu bekommen, musst du die gestellte Frage beantworten. Je nach Fach können die Erwartungen sehr unterschiedlich sein. Sprich mit deiner Tutor*in oder der Studienfachberatung darüber, wie du die Aufgabenstellung interpretieren und beantworten kannst.

Frage: Manchmal gehe ich in die Bibliothek und vertiefe mich in die Lektüre, so dass ich den Unterricht vergesse. Gibt es eine Möglichkeit, mich daran zu erinnern, wie spät es ist und dass ich einen Kurs habe?
Antwort: Eine Möglichkeit, dich an den Unterricht zu erinnern, ist, einen Kalenderalarm auf deinem Handy, Tablet oder Computer einzurichten. Trage alle deine Vorlesungen und Kurse in den Kalender ein und setze einen Alarm 10 oder 15 Minuten vor Unterrichtsbeginn. Auf diese Weise kannst du deine volle Aufmerksamkeit auf die Lektüre richten, und du wirst automatisch an deine Lehrveranstaltungen erinnert.

Wer kann helfen?

  • Studierendenberatung und Studierendenfachberatung
  • Beratung für behinderte Studierende
  • Tutor*in

Zuletzt bearbeitet am 10.05.2023.

Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus