Wir sind autistisch und das ist gut so.

Logopädie kann auch Kindern (und Erwachsenen) im Autismus-Spektrum helfen, Sprache besser zu verstehen und zu verwenden – und Unterstützte Kommunikation zu verwenden.

Logopädie hilft Menschen mit unterschiedlichsten Problemen, besser zu kommunizieren. Und auch für autistische Menschen kann sie ganz unterschiedlich aussehen.

Sprachtherapie kann von der Entwicklung der ersten intentionalen Kommunikation über Unterstützte Kommunikation und die Bildung von Wörtern und Sätzen bis hin zum Verstehen von Redensarten und dem Führen eines Gesprächs helfen.

In diesem Artikel sehe ich mir genauer an, wie Logopädie Kinder im Autismus-Spektrum unterstützen kann.

Was ist Logopädie?

Logopäd*innen oder Sprachtherapeut*innen behandeln ganz unterschiedliche Kommunikationsprobleme. Dazu gehören Sprach- und Sprechstörungen, kognitiv-kommunikative Störungen, Stimmstörungen und Schluckstörungen.

Logopädie kann zum Beispiel Kindern, die stottern oder lispeln, helfen, Wörter richtig auszusprechen.

Aber sie kann auch autistischen Kindern helfen,

  • mit Hilfe von Unterstützter Kommunikation zu kommunizieren,
  • ihr Sprachverständnis zu verbessern,
  • Lautsprache zu verwenden und zu verbessern, oder
  • Sprache in einem sozialen Kontext zu verstehen und zu verwenden.

Logopädie kann sehr unterschiedlich aussehen. Bei Kindern wird in der Regel eine spielerische Herangehensweise verwendet.

Wie Logopädie bei Autismus helfen kann

Logopädie kann eine wichtige Rolle dabei spielen, einem autistischen Kind zu helfen, zu kommunizieren zu lernen und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten.

Logopädie bei Autismus

Je nach Sprach- und Kommunikationsstand deines Kindes kann sich die Logopäd*in auf eine oder alle diese Fähigkeiten konzentrieren:

Intentionale Kommunikation

Kommunikation kann beabsichtigt (intentional) oder unbeabsichtigt (prä-intentional) sein. Für ein Kind kann es ein großer Schritt sein, zu verstehen, dass es mit seinem Verhalten (z. B. Gesten oder Worten) gezielt kommunizieren kann.

Unterstützte Kommunikation

Dazu kann die Kommunikation mit visuellen Hilfsmitteln wie Bildkarten oder entsprechenden Apps gehören, oder auch Gebärdensprache. Eine Logopäd*in kann beraten, welche Form Unterstützter Kommunikation geeignet ist, und kann dem Kind beim Lernen dieses Systems helfen.

Sprachverständnis

Manche Leute nehmen an, dass Autist*innen, die nicht sprechen, auch nichts verstehen. Andere nehmen an, dass sie alles verstehen, was gesagt wird. Wahrscheinlich können beide Annahmen können falsch sein – weil autistische Menschen sehr unterschiedlich sind.

Es ist deshalb sehr wichtig (und nicht einfach) zu Beginn der Sprachtherapie herauszufinden, wie viel das Kind wirklich versteht.

Lautsprache

Autistische Kinder haben oft besondere Probleme mit Lautsprache. Nicht jedes Kind wird Lautsprache entwickeln, auch nicht mit Logopädie – aber Logopädie kann prinzipiell dabei unterstützen.

Grammatik

Einigen Kindern im Autismus-Spektrum fällt es schwer, komplette Sätze mit richtiger Grammatik zu bilden. Sie beziehen sich vielleicht auf sich selbst in der dritten Person (»Emil will Saft«), oder verwenden falsche Zeitformen usw.

Manche Kinder im Autismus-Spektrum haben auch Probleme, Fragen zu stellen und zu beantworten. Die Logopäd*in kann deinem Kind beibringen, wie es eine Frage erkennt und angemessene Antworten gibt. Sie können deinem Kind auch helfen, seine eigenen Fragen zu formulieren und zu stellen und die Antworten zu verstehen.

Soziale Kommunikation

Sprache im sozialen Kontext ist komplexer als das bloße Verstehen und Aussprechen von Wörtern oder Sätzen, und autistische Menschen stellen das immer wieder fest (siehe auch: Asperger-Autismus und Kommunikation). Logopädie kann auch helfen, Redewendungen und Metaphern zu verstehen, oder einzuschätzen, wann etwas wie und zu wem gesagt werden sollte.

Prosodie

Der Begriff »Prosodie« bezieht sich auf Sprachrhythmus oder die Sprachmelodie, die im Gespräch auf und ab geht. Viele autistische Menschen haben eine flache Prosodie, was dazu führt, dass andere Menschen manchmal glauben, sie hätten keine Gefühle. Sprachtherapeut*innen können Menschen mit Autismus-Spektrum helfen, ihre Prosodie an die nicht-autistischer Menschen anzupassen.

Ob das sinnvoll ist, muss jede*r selbst abwägen – ich denke, dass es z. B. für Menschen in Sprechberufen Vorteile bringen kann. Es kann aber auch belastend sein, sich bei seiner Kommunikation auch noch darauf konzentrieren zu müssen (Stichwort Masking).

Sprachtherapie ist nicht nur für Kinder

Meistens sind es autistische Kinder, die Logopädie bekommen. Prinzipiell kann Logopädie aber auch für autistische Erwachsene sinnvoll sein, die ihre kommunikativen Fähigkeiten verbessern wollen.

Das gilt sowohl für Menschen, die keine oder sehr wenig Lautsprache haben, und aus irgendwelchen Gründen nie Zugang zu Unterstützter Kommunikation hatten, als auch für Menschen, die an sich sprachgewandt sind, aber mit den sozialen Aspekten von Sprache Schwierigkeiten haben.

Wie läuft Logopädie ab?

Logopädie beginnt immer mit einer ersten Beurteilung. So kann die Logopäd*in feststellen, wo die Stärken der Person liegen und wo sie Unterstützung braucht. Sie erfragt die Probleme, die die betreffende Person selbst und/oder die Eltern sehen, und die Ziele, an denen sie mit der Logopädie arbeiten wollen.

Dabei wird z. B. überprüft, wie das Sprachverständnis des Kindes ist, und auch welche Art es sich selbst (sprachlich und nicht-sprachlich) ausdrücken kann.

Daraus erstellt die Logopäd*in einen individuellen Behandlungsplan für die betreffende Person. Die Therapiesitzungen konzentrieren sich dann auf den Aufbau der Fähigkeiten, die zum Erreichen der Ziele erforderlich sind.

Logopädie bei Autismus: Logopädin übt mit Kind

Eine Sprach- und Sprechtherapie für Kinder im Autismus-Spektrum kann auf folgende Bereiche abzielen:

  • Motivation zur Kommunikation
  • intentionale Kommunikation
  • Gestik (z.B. auf etwas zeigen, um zu kommunizieren)
  • Nutzung von Systemen zur Unterstützten Kommunikation
  • Sprachverständnis
  • kommunikative Ausdrucksfähigkeit
  • Lautsprache
  • Pragmatik (Sprache im sozialen Kontext)
  • Konversationsfähigkeiten

Wenn Kinder Logopädie bekommen, wird die Logopäd*in die Eltern nach ihren spezifischen Anliegen oder Zielen für ihr Kind fragen und einen Weg finden, diese in der Therapie zu berücksichtigen.

Wenn dein Kind zum Beispiel nicht spricht und du Schwierigkeiten hast, zu verstehen, was es will, könnte dein Logopäde daran arbeiten, deinem Kind beizubringen, auf etwas zu zeigen, eine Gebärde zu machen oder mit Bildern zu kommunizieren.

Das gibt ihm eine Form der funktionalen Kommunikation und hilft sowohl deinem Kind als auch dir, Frustrationen abzubauen.

Logopädische Ansätze bei Autismus

Einfache Gesten

Wie in diesem Beispiel erwähnt, brauchen Kinder, die noch nicht sprechen können, eine Form der Kommunikation, um sich auszudrücken. Sie müssen mitteilen können, dass sie Hunger haben, Hilfe brauchen oder Schmerzen haben. Gesten sind für manche Kinder, die nicht sprechen, eine effektive Möglichkeit, ihre Gedanken mitzuteilen.

Ich spreche dabei noch nicht von Gebärdensprache, sondern z. B. davon, selbständig auf etwas zu zeigen. Manche autistischen Kinder müssen das Konzept des Zeigens explizit lernen.

Eine Logopädin oder ein Logopäde kann mit dem Kind daran arbeiten, auf einen gewünschten Gegenstand zu zeigen, z. B. auf ein Spielzeug oder einen Snack. Zeigen als Antwort auf Fragen wie »Was willst du essen?« oder »Wo tut es weh?« ist ebenfalls sehr hilfreich.

Manche Kinder ziehen es vor, die Hand des Erwachsenen zu dem Gegenstand zu führen, den sie sich wünschen, anstatt auf ihn zu zeigen.

Unterstützte Kommunikation (UK)

Unterstützte Kommunikation (UK) kann von Menschen genutzt werden, die nicht oder nur wenig sprechen oder sich Unterstützter Kommunikation einfach wohler fühlen.

Die Forschung zeigt, dass die Nutzung Unterstützter Kommunikation auch die Entwicklung der gesprochenen Sprache fördern kann. Unterstützte Kommunikation kann kurz- oder langfristig eingesetzt werden, je nach den Bedürfnissen der Person.

Jede Methode, die einer Person bei der Kommunikation hilft, gilt als Unterstützte Kommunikation. Darunter fällt zum Beispiel Gebärdensprache und die Kommunikation mittels Bildern, ob gedruckt oder auf einem Bildschirm.

Logopäd*innen helfen Kindern, den Umgang mit ihrem System der Unterstützten Kommunikation zu erlernen und bringen auch ihren Familien bei, wie man es benutzt. Die Gewöhnung an ein Gerät der Unterstützten Kommunikation kann einige Zeit dauern, aber die Unterstützte Kommunikation eröffnet eine ganz neue Welt der Kommunikationsmöglichkeiten.

Unterstützung der Lautsprache

Kindern, die bereits sprechen oder gerade anfangen zu sprechen, kann die Logopädie helfen:

  • die Anzahl der Wörter, die sie sagen können, zu erhöhen
  • in längeren Phrasen und Sätzen zu sprechen
  • Grammatikkenntnisse zu erlernen

Logopäd*in werden in der Regel versuchen, Aktivitäten finden, die dem Kind Spaß machen, um neue Fähigkeiten zu trainieren. Bei der Arbeit mit Kindern werden viele Spiele gespielt, die die sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten fördern.

Logopädie bei Autismus: Was ist wichtig?

Wenn man Logopädie bzw. Sprachtherapie bei Autismus nutzen will, sind folgende Dinge wichtig:

Kommunikation priorisieren

Wenn ein autistisches Kind (noch) nicht spricht, sollte man sich nicht zu sehr auf Lautsprache fokussieren. Unterstützte Kommunikation kann zum einen eine frühere Kommunikation ermöglichen als Lautsprache, und zum anderen kann die visuelle Unterstützung die Lautsprache fördern.

Authentische Kommunikation fördern

Einige autistische Menschen sind gut darin, komplexe Sätze und manchmal Teile von Gesprächen auswendig zu lernen. Sie können diese auch in Gesprächen passend anbringen.

Autistische Erwachsene, die dieses sogenannte »Scripting« verwenden, sehen es oft zwiespältig. Es kann zwar in bestimmten Situationen helfen, »sozial angemessen« zu reagieren, aber es kann sein, dass es kein authentischer Ausdruck des eigenen Empfindens ist. Manche Autist*innen haben das Gefühl, sich selbst zwischen all diesen sozial angemessenen Skripten zu verlieren.

Man sollte sich deshalb im Laufe der Logopädie immer wieder fragen:

Geht es gerade darum, dass mein Kind sich ausdrücken kann? Dass es seine Bedürfnisse und Wünsche äußern kann, seine Gedanken mit anderen Menschen teilen kann? Oder geht es darum, die Bedürfnisse anderer Menschen nach einem »normalen« Kind zu bedienen?

Es gibt sicherlich Situationen, in denen die Antwort nicht eindeutig entweder das eine oder das andere ist. Aber der Fokus sollte klar auf ersterem liegen.

Kommunikation ist für alle Menschen, ob autistisch oder nicht, essenziell wichtig. Und viele Menschen im Autismus-Spektrum brauchen Hilfe, um zu lernen, wirksam zu kommunizieren. Logopädie bei Autismus kann viele Dinge umfassen, die autistischen Kindern und auch Erwachsenen helfen können, effektiver zu kommunizieren.

Quellen und Studien

Zuletzt bearbeitet am 05.06.2023.

Linus Mueller
Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus