Wir sind autistisch und das ist gut so.

Der Autistic Pride Day

Jährlich am 18. Juni findet der Autistic Pride Day statt. Er wurde 2005 von der Gruppe »Aspies for Freedom« ins Leben gerufen – unter dem Motto »Akzeptanz statt Heilung«.

Der Autistic Pride Day steht seither für die Wertschätzung von Autismus und Neurodiversität.

Was heißt eigentlich »Pride«?

Der Begriff »Autistic Pride« ist angelehnt an »Gay Pride« oder »Queer Pride«. Beides das war nicht immer selbstverständlich und ist es auch heute noch nicht immer und überall. Es ist noch nicht allzu lange her, dass Homosexualität von der Weltgesundheitsorganisation als Krankheit klassifiziert wurde. Damals versuchten Mediziner, Schwule durch Hormontherapien zu »heilen«. Erst die Lesben- und Schwulenbewegung vermochte dieses Denken zu ändern. Heute sucht die Medizin nach einem Weg, Autismus zu »heilen«.

Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transgender und andere Queer-Menschen lehnten sich gegen die Pathologisierung und Kriminalisierung auf und kämpften für gleiche Rechte.

Natürlich ist Autismus etwas anderes als Homosexualität. Aber auch wir kämpfen um unsere Rechte: um Barrierefreiheit und Inklusion, um ein selbstbestimmtes Leben und darum, so akzeptiert zu werden, wie wir sind.

Der Begriff »Pride« wird auch von anderen marginalisierten Gruppen verwendet – zum Beispiel »Deaf Pride«, »Disability Pride« und »Mad Pride.

»Pride« bedeutet »ich finde es okay, so zu sein, wie ich bin. Ich finde es gut, schwul zu sein oder autistisch. Nicht besser als irgendjemand anderes, aber auch nicht schlechter. Wenn ich die Wahl hätte, würde ich nicht heterosexuell sein wollen oder neurologisch typisch.«

Therapien versuchen meistens, Menschen im Autismus-Spektrum beizubringen, sich so zu verhalten, als wären sie nicht autistisch. »Normal«. Ich habe nichts gegen Therapien, die Krankheiten heilen, und ich habe nichts dagegen, wenn Menschen anderen Menschen auf deren Wunsch hin helfen, besser in ihrem Leben zurechtzukommen oder selbstgesteckte Ziele zu erreichen. Aber ich habe etwas dagegen, Autismus als Krankheit (und damit eine Persönlichkeit als krank) zu bewerten oder Normalität als Wert und Ziel an sich zu sehen. Statt Therapien sollte es lieber selbstbestimmte Bildungsangebote und barrierefreie Räume geben: Eine Person im Autismus-Spektrum entscheidet, was sie lernen will und wenn erwünscht, hilft jemand dabei, das möglich zu machen.

Viele Menschen im Autismus-Spektrum wünschen sich keine »Heilung«, sondern Möglichkeiten, ihre Fähigkeiten und Sichtweisen gleichberechtigt und barrierefrei in die Gesellschaft einzubringen und so akzeptiert und respektiert zu werden, wie sie sind. Ich sehe es auch, dass das Leben etwas schwieriger ist, wenn man in einer NT-dominierten Gesellschaft autistisch ist. Aber wäre ich nicht ich, wäre ich nicht mehr ich.

Die in der Medizin vorherrschende Meinung ist, das jedes Gehirn gleich sein sollte. Ist ein Gehirn deutlich abweichend von der gesetzten Norm, wird es schnell als Störung klassifiziert. Warum eigentlich? Was wäre, wenn wir statt dessen sagen, es ist Teil neurologischer Vielfalt? Das Konzept von neurologischer Vielfalt basiert auf dem Respekt gegenüber allen Menschen ungeachtet ihrer Gehirnstrukturen. Gleichwertigkeit der Unterschiedlichkeit.

»Aber Menschen mit Autismus sind doch behindert…« Manche Menschen scheinen das für ein schlagendes Argument zu halten, um darüber bestimmen zu dürfen, wie Menschen im Autismus-Spektrum sich verhalten dürfen und wie nicht. Behinderung ist eine soziale und kulturelle Kategorie, die dazu dient, Menschen auszugrenzen. Nichts weiter. Behindert ist man erst in einem sozialen Kontext. Wenn wir diese Trennung zwischen behindert und nicht-behindert nicht machen würden, wären wir einfach Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen. Menschliche Vielfalt.

Happy Autistic Pride Day!

Hier ist noch ein weiterführender Artikel zu Autistic Pride.

Zuletzt bearbeitet am 29.01.2022.

Linus Mueller
Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus