Wir sind autistisch und das ist gut so.

Viele Menschen verlassen sich auf visuelle Tagespläne, um zu wissen, wann sie wo sein müssen. Dazu nutzen sie Stundenpläne, Kalender und Terminplaner auf dem Smartphone.

Für autistische Menschen ist es wichtig zu wissen, was als nächstes passieren wird. Meiner Erfahrung nach eignen sich visuelle Zeitpläne dafür sehr gut.

Solche visuellen Pläne werden innerhalb von TEACCH-Kontexten verwendet, sie können aber auch einzeln eingesetzt werden.

Was ist ein TEACCH-Tagesplan?

Teacch TagesplanEin TEACCH-Tagesplan verwendet Bilder oder Gegenstände, um Aktivitäten oder Aufgaben in der Reihenfolge abzubilden, in der sie gemacht werden sollen. Durch einen Blick auf den Plan weiß das Kind, wann es wo sein soll, und was von ihm erwartet wird.

Solche Pläne werden eingesetzt, um

  • dem Kind zu zeigen, was wann passiert,
  • den Ablauf vorhersehbar zu machen,
  • auf Veränderungen vorzubereiten,
  • Selbständigkeit zu fördern, und
  • Ängste zu reduzieren.

Warum visuell?

Viele Menschen im Autismus-Spektrum (nicht alle) profitieren von visueller Kommunikation: Viele sind visuelle Lerntypen und nehmen visuelle Informationen besser auf als mündliche Anweisungen.

Visuelle Kommunikation kann das Verständnis verbessern. Gesprochene Sprache ist flüchtig und inkonsistent. Man muss sie in dem Moment verstehen, in dem sie passiert. Aussagen zu visualisieren kann sie greifbar und beständig machen.

Funktionieren visuelle Tagespläne?

Ja. Mehrere Studien haben gezeigt, dass sie autistischen Schüler*innen helfen: Sie bleiben eher bei einer Aufgabe und der Übergang zur nächsten Aufgabe fällt ihnen leichter, wenn sie visuelle Pläne verwenden.

Eine Meta-Studie kam 2014 zum Ergebnis, dass die Wirksamkeit der Methode wissenschaftlich nachgewiesen ist.

Wie gestaltet man einen Tagesplan?

Die Pläne sollten individuell gestaltet werden und für die autistische Person leicht verständlich sein.

Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehören:

Wie viele Aktivitäten kommen auf den Plan?

  • nur die jetzige Aktivität
  • erst/dann (die jetzige und die nächste Aktivität
  • ein Teil des Tages
  • der ganze Tag

Dazu einige Überlegungen:

  • Wenn das Kind mit Reihenfolgen noch nichts anfangen kann, zeigt man anfangs nur die jetzige Aktivität.
  • Für manche Kinder ist es am besten, wenn sie drei bis vier Aktivitäten sehen, aber nicht den ganzen Tag (zu viele Informationen können überwältigend sein).
  • Für manche Kinder ist Ungewissheit ein großer Stressfaktor. Eltern und Lehrkräfte müssen einschätzen (ausprobieren), ob der Stress durch den Tagesplan sinkt oder sogar steigt.

Wie detailliert soll der Plan sein?

Sollen zum Beispiel kleinere Pausen eingetragen werden?

Wie visualisieren wir Aktivitäten?

  • Gegenstände, die für die Aktivität verwendet werden (z.B. ein Bleistift, ein Buch)
  • symbolische (Teil-)Gegenstände (zum Beispiel eine Verpackung)
  • Miniaturen echter Objekte
  • Fotos
  • Zeichnungen oder Symbole
  • Wörter
  • eine Kombination aus den obigen Formaten, zum Beispiel Symbole mit Wörtern

Welche Variante man wählt, hängt davon ab, ob das Kind zweidimensionale Abbildungen versteht. Kann es mit Bilderbüchern etwas anfangen? Kann es in der Schule passende Bilder zuordnen? Dann kann man Bilder verwenden. Wenn nicht, verwendet man Gegenstände.

Bei der Gestaltung sollte man bedenken, dass manche autistischen Menschen das Gesehene nicht verallgemeinern. Sie verstehen vielleicht nicht, dass eine Packung Bahlsen-Butterkekse jegliche Kekse symbolisieren soll.

Die autistische Person sollte in der Lage sein, den Tagesplan auch in den schwierigsten Momenten leicht zu verstehen.

Wie ordnen wir die Elemente im Tagesplan an?

  • von oben nach unten
  • von links nach rechts

Wo befindet sich der Tagesplan?

  • auf dem eigenen Schreibtisch des Schülers oder der Schülerin
  • an der Wand im Klassenzimmer (auf Augenhöhe)
  • tragbar (Soll das Kind ihn tragen? Oder ein Erwachsener?)

Praktische Umsetzung

  • Um das Material haltbarer zu machen, kann man es laminieren.
  • Wenn man die Elemente aufhängen möchte, kann man hinten Klettverschluss draufkleben, und die andere Seite des Klettverschlusses an der Wand oder Tafel.
  • An einer Tafel funktionieren auch Magnetkarten.

Die Interaktion mit dem Tagesplan

Wie teilen wir dem Kind mit, dass es auf dem Tagesplan nachsehen soll?

  • Man gibt dem Kind einen bestimmten Gegenstand oder ein Symbol, wenn es auf dem Plan nachsehen soll.
  • Das Objekt oder Symbol befindet sich am Ende einer Aufgabe.
  • Man fordert das Kind mündlich auf, auf dem Plan nachzusehen.

Woher weiß das Kind, dass eine Aufgabe abgeschlossen ist?

Damit der Tagesplan effektiv ist, sollte das Kind in irgendeiner Weise mit dem Tagesplan interagieren. Zum Beispiel nimmt es Symbole von Plan und legt sie in eine erledigt-Ablege, wenn eine Aktivität abgeschlossen ist. Oder es hakt die Punkte ab oder legt ein Symbol für erledigt darauf.

Wie gesagt: All diese Dinge sind individuell. Nicht alle Kinder brauchen dasselbe Maß an visueller Unterstützung. Eltern und Lehrkräfte müssen herausfinden, was am besten zum Kind und zur Situation passt.

Tagespläne für ältere Kinder

Für Kinder mit guten Sprachverständnis kann die visuelle Struktur deutlich abstrakter sein.

Manche Schulen verwenden zum Beispiel eine Farbcodierung, bei der jedes Fach eine andere Farbe hat. Diese Farbe wird auf dem Stundenplan verwendet, an der Tür zum Klassenzimmer und auf den Einbänden von Büchern und Heften.

Für ältere Kinder kann ein Terminplaner auf dem Smartphone hilfreich sein. Viele Menschen nutzen sie, und man fällt damit nicht als anders auf. Auf dem Smartphone kann man auch Countdowns und Benachrichtigungen nutzen.

Mitbestimmung

Der Tagesplan soll visuell abbilden, was während des Tages passieren wird. Der Tagesablauf sollte aber nicht stärker fremdbestimmt sein als der einer gleichaltrigen nicht-autistischen Person.

Die autistische Person kann und sollte in die Gestaltung des Stundenplans mit einbezogen werden.

Natürlich gibt es ungeliebte Dinge, die nicht verhandelbar sind (Schule, Zähneputzen…), aber in jedem Tagesablauf sollte es Raum für selbstbestimmte Zeit geben.

Manche Kinder tun sich mit unstrukturierter Zeit schwer. Der Tagesplan kann ihnen helfen, diese Zeit zu planen. Kinder lernen so, selbst Strukturen für sich zu schaffen.

Auf Veränderungen vorbereiten

Viele Menschen im Autismus-Spektrum tun sich mit Veränderungen schwer. Trotzdem gibt es ständig Veränderungen in unserem Leben. Manche sind unvermeidlich.

Die Frage ist also: Wie können wir mit Veränderungen umgehen?

Ein Tagesplan schafft eine feste Struktur. Berechtigterweise fragen sich viele Eltern und Lehrer*innen, ob sich das Kind mit nachträglichen Veränderungen nicht umso schwerer tut.

Ich denke, das hängt sehr vom Kind ab.

Ohne einen verständlichen Tagesplan schwebt das Kind in ständiger Ungewissheit, was als nächstes passieren wird.

Erfahrungsgemäß ist das für das Kind anstrengend und sorgt für Anspannung, Stress und Ausraster. In gestresstem Zustand sind Veränderungen noch schwerer zu ertragen.

Wir alle wissen gern, was der Tag bringen wird, Autist*innen noch mehr als nicht-autistische Menschen.

Der Tagesplan kann einen großen Teil dieser Unsicherheit nehmen.

Ein weiterer Vorteil des visuellen Tagesplans ist, dass du Veränderungen besser kommunizieren kannst: Zusammen mit dem Kind gehst du zum Tagesplan und erklärt ihm die Veränderung. Du nimmst zum Beispiel eine Aktivität heraus und setzt stattdessen eine andere ein. Daneben setzt du ein Symbol ein, das bedeutet hier hat sich etwas verändert. Dann nimmst du dir die Zeit, die geplanten Aktivitäten noch einmal der Reihenfolge nach durchzusprechen. Autist*innen brauchen mehr Zeit als Nicht-Autist*innen, um sich an eine Veränderung zu gewöhnen.

Es gibt keine Garantie dafür, dass das Kind das problemlos akzeptiert (ich würde das nicht erwarten). Aber das Kind lernt, dass Veränderungen im Tagesablauf angekündigt werden, und hat die Möglichkeit, sich auf den veränderten Ablauf einzustellen.

Manche Eltern haben gute Erfahrungen damit gemacht, die Flexibilität ihres Kindes mit Hilfe des Tagesplans zu fördern. Dazu verändern sie absichtlich nachträglich Kleinigkeiten am Plan (sie gehen dabei vor wie oben beschrieben). Wichtig ist, dass es Veränderungen sind, die dem Kind gefallen. Zum Beispiel überspringt man eine ungeliebte Aktivität oder fügt etwas hinzu, was das Kind besonders mag.

Wenn man aber feststellt, dass der Umgang mit Veränderungen durch den Tagesplan schwieriger wird, dann ist die Methode für das Kind wahrscheinlich nicht geeignet. Man kann eine vereinfachte Form der Strukturierung verwenden, bei der nur die Aktivität angezeigt wird, die das Kind gerade macht.

Sollte der Ablauf jeden Tag gleich sein?

Die meisten Menschen, nicht nur Autist*innen, mögen ihre morgendliche Routine. Wenn sie jeden Tag unterschiedlich wäre, würden wir das als eher anstrengend empfinden.

Auch in Kita und Schule gibt es ein Grundgerüst, das (fast) jeden Tag gleich ist. Gerade Kinder brauchen diese Verlässlichkeit – und autistische Kinder noch viel mehr.

Allerdings wird nicht jeder Tag gleich sein. Und wenn vier Schultage in der Woche den gleichen Ablauf haben, entsteht beim Kind die Erwartung, dass der fünfte auch so ist.

Die Kinder lernen den Ablauf dann auswendig, statt auf den Tagesplan zu sehen. Der Umgang mit Veränderungen wird dann schwieriger, weil sie unerwartet kommen.

Deshalb sollte im Plan immer Platz für Abwechslung sein.

Meistens ergibt sich das automatisch, weil nicht jedes Schulfach oder jede Aktivität an jedem Tag dran ist.

Dokumentation

Du kannst den Plan und das Verhalten des Kindes dokumentieren. Am einfachsten geht das, indem du den Tagesplan fotografierst und dir kurze Notizen zum Verhalten des Kindes machst.

Die Dokumentation vereinfacht die Suche nach dem Grund für ein bestimmtes Verhalten. Vielleicht ist dein Kind zeitweise unruhig und unkonzentriert ist oder es verhält sich anders als sonst. Mit der Dokumentation kannst du möglicherweise einen Zusammenhang mit bestimmten Aktivitäten herstellen.

Gerade bei Kindern, die nicht oder wenig sprechen, kann das hilfreich sein.

Fazit

– Ein visueller Tagesplan macht Abläufe verständlich und vorhersehbar. Das Kind kann sehen, was wann passiert.
– Der Tagesplan kann Ängste mindern und die Selbständigkeit fördern.
– Die visuelle Form ist für viele autistische Kinder besser verständlich.
– Der Tagesplan sollte individuell gestaltet werden.
– Der Tagesplan kann helfen, mit Veränderungen umzugehen.
– Durch eine Dokumentation kannst du herauszufinden, warum sich das Verhalten deines Kindes ändert.

Ich bin ein großer Fan visueller Hilfsmittel. (Wahrscheinlich, weil ich selbst auch ein visueller Typ bin.)

Und ich finde es nur fair, Kindern mitzuteilen, was sie an diesem Tag erwartet.

Ein Tagesplan ist einfach zu erstellen. Du brauchst dazu kein künstlerisches Talent. Probiere es einfach aus!



Bild von Tagesplan: Michelle Yoder, CC-by-nc-sa

Zuletzt bearbeitet am 01.05.2023.

Linus Mueller
Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus