Wir sind autistisch und das ist gut so.

Die Autismus-Diagnostik ist aufwendig und komplex. Hier beschreibe ich, wie eine Autismus-Diagnose gestellt wird – bei Kindern und bei Erwachsenen.

Die Diagnose von Autismus-Spektrum-Störungen ist ein komplizierter Prozess, weil es viele Faktoren zu untersuchen gibt.

Wenn ein Kind zum Beispiel länger als gewöhnlich braucht, um mit dem Sprechen anzufangen, könnte das ein Zeichen für Autismus sein. Es könnte aber auch eine Sprachentwicklungsstörung sein, was etwas anderes ist. Oder das Kind könnte ein Hörproblem haben, das es ihm erschwert, Sprachlaute zu imitieren.

Solche »Überlappungen« kommen auch bei anderen Problemen vor. Eine extreme Empfindlichkeit gegenüber Geräuschen und Gerüchen könnte auf Autismus hindeuten, aber auch auf eine sensorische Integrationsstörung zurückzuführen sein.

Und einige psychische Krankheiten können Verhaltensweisen verursachen, die nichts mit Autismus zu tun haben, aber ähnlich aussehen.

Diagnosekriterien

In der Zeit nach der Erstbeschreibung von Autismus orientierten Diagnostiker*innen sich an den Beschreibungen der Forscher. Aber die Vorstellungen darüber, wie Autismus sich äußert und wer nun autistisch war und wer nicht, gingen weit auseinander. Um einheitliche Standards zu schaffen, wurden Diagnosekriterien entwickelt. Hier findest du die aktuellen Autismus-Diagnosekriterien aus dem ICD-11 und dem DSM-5 (mit Beispielen).

Autismus-Diagnosekriterien im DSM-5

Die Diagnosekriterien sind stark abstrahiert. Sie nennen keine konkreten Merkmale wie »mit den Händen flattern», denn kein einzelnes Merkmal findet sich bei allen autistischen Menschen.

Statt dessen sprechen die Diagnosekriterien zum Beispiel von stereotypen Verhaltensweisen und Problemen in der sozialen Interaktion. Aber viele Menschen haben irgendwelche Probleme in sozialen Interaktionen. Ab wann ist das auffällig und wann deutet es auf Autismus hin?

Um die Diagnostik zu vereinfachen und weiter zu standardisieren, wurden auf Grundlage der Diagnosekriterien verschiedene Tests und Beobachtungsskalen entwickelt, die in der Autismus-Diagnostik verwendet werden.

Autismus-Diagnostik bei Kindern

Verdachtsdiagnose

Wenn Eltern Auffälligkeiten an ihrem Kind erkennen, die sie beunruhigen, ist die erste Ansprechperson meist die Kinderärztin. Kinderärzt*innen und Allgemeinärzt*innen sind aber nur in seltenen Fällen in der Lage, eine Autismus-Diagnose zu stellen. Was sie tun können, ist, das Kind zu einer Spezialist*in zu überweisen.

Leider kommt es vor, dass Eltern autistische Züge bei ihrem Kind vermuten, während Ärzt*innen entweder kein Problem sehen oder ein anderes (z.B. schlechte Erziehung). Die Auffälligkeiten autistischer Kinder sind oft nicht eindeutig und bei einem kurzem Arztbesuch kaum zu beurteilen.

Der Autismus Deutschland Regionalverband Nord-Ost hat für diesen Zweck die Checkliste Autismusdiagnostik für Kinder und Erwachsene entwickelt: Die Checkliste gibt Ärzt*innen eine rationelle Methode, eine fundierte Autismus-Verdachtsdiagnose zu stellen – zur weiteren Abklärung. Damit kann möglicherweise der Weg zu Diagnose und Unterstützung verkürzt werden.

Alternativ können auch andere Fragebögen verwendet werden, wie zum Beispiel der Q-CHAT für Kleinkinder (hier online).

Es ist aber in der Regel auch möglich, selbst einen Termin bei einer spezialisierten Stelle zu vereinbaren.

Wie läuft die Autismus-Diagnostik bei Kindern ab?

Die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung kann von Kinder- und Jugendpsychotherapeut*innen und Psychiater*innen gestellt werden. Diese sollten Erfahrung in der Autismus-Diagnostik haben. Leider muss man oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen.

Die Diagnostik ist relativ aufwändig. Sie umfasst auch ergänzende Untersuchungen, die nicht direkt zur diagnostischen Abklärung von Autismus dienen, sondern der Abklärung bzw. dem Ausschluss anderer Probleme.

Die Autismus-Diagnostik bei Kindern lässt sich in drei Bereiche einteilen:

  • autismus-spezifische Diagnostik
  • Intelligenz-und Entwicklungsdiagnostik
  • medizinische Diagnostik

Autismus-spezifische Diagnostik

Zur autismus-spezifischen Diagnostik können Screening-Tests gehören – diese stellen keine Diagnose, sondern lediglich eine Verdachtsdiagnose. (Aber auch andere Tests stellen allein keine Diagnose, sondern dienen lediglich als Hilfsmittel zur Diagnosefindung. Die Einschätzung des Diagnostikers ist auch bei diesen standardisierten Methoden der Autismus-Diagnostik sehr wichtig.)

Beispiele für Screening-Tests sind:

  • M-CHAT oder Q-CHAT (Modified/Quantified Checklist for Autism in Toddlers), dabei handelt es sich um Elternfragebogen speziell für Kleinkinder. Den Q-CHAT gibt es auch als Online-Test auf unserer Website.
  • FSK (Fragebogen zur sozialen Kommunikation), ein aus dem ADI-R abgeleiteter Elternfragebogen

Hier sind drei Beispielfragen aus dem FSK:

  • Deutete er/sie jemals spontan auf Gegenstände in seiner/ihrer Umgebung, nur um Ihnen etwas zu zeigen (nicht nur wenn er/sie etwas wollte)?
  • Lächelte sie/er im Alter von 4–5 Jahren zurück, wenn jemand sie/ihn anlächelte?
  • Gab es jemals Dinge, de er/sie in einer ganz besonderen Weise oder Abfolge machen zu müssen schien, oder gab es Rituale, die Sie für sie/ihn ausführen mussten?

Der Q-CHAT/M-Chat und der FSK dauern jeweils etwa 10-15 Minuten.

Außerdem werden in der autismus-spezifischen Diagnostik folgende standardisierte Methoden zur Untersuchung eingesetzt:

  • ADOS (Autism Diagnostic Observation Schedule; Diagnostisches Beobachtungsschema für Autismus)
  • ADI-R (Autism Diagnostic Interview – Revised; Diagnostisches Interview für Autismus – überarbeitete Version)

ADOS und ADI-R werden oft zusammen eingesetzt.

ADOS

Der ADOS ist eine standardisierte Beobachtungsskala, um autistische Besonderheiten in der Kommunikation, sozialen Interaktion und im Spielverhalten zu erkennen. Außerdem hilft der ADOS festzustellen, ob eine Person stereotype Verhaltensweisen oder eingeschränkte
Interessen hat. Dabei schafft der Diagnostiker gezielt soziale Situationen, in denen bestimmte Verhaltensweisen mit großer Wahrscheinlichkeit auftreten.

Der ADOS kann ab einem Entwicklungsalter von 18 Monaten eingesetzt werden. Er besteht aus vier verschiedenen Modulen, von denen je nach Alter und Sprachentwicklung ein geeignetes Modul ausgewählt wird.

In diesem Artikel gibt es weitere Informationen zum ADOS-Test.

ADOS und ADI-R

ADI-R

Das ADI-R ist eine ausführliche Befragung der Eltern oder eines Elternteils (oder einer anderen Hauptbezugsperson). Das Kind ist dabei nicht anwesend. Das ADI-R dauert in der Regel ein bis zwei Stunden.
Abgefragt werden dabei neben autismustypischen Verhaltensweisen (Kommunikation und Sprache, Soziale Entwicklung und Spielverhalten, Interessen und repetitives Verhalten) auch Hintergrundinformationen über Kind und Familie, die frühe Entwicklungsgeschichte, Spracherwerb und Hinweise auf andere Diagnosen.

Hier erfährst du mehr über den ADI-R-Test.

Kritik an Autismus-Tests

Der ADOS und ADI-R gelten als der Gold-Standard der Autismus-Diagnostik. Fehlerfrei sind sie aber nicht, wie eine Studie zeigte:

  • Manche Kinder mit großen Verhaltensproblemen oder mit geringen kognitiven Fähigkeiten landen im Test über dem Cut-Off-Point (d.h. der Test weist auf Autismus hin), obwohl sie eigentlich nicht im Autismus-Spektrum sind.
  • Kinder, die diese Probleme nicht haben, landen manchmal darunter, obwohl sie im Autismus-Spektrum sind.

Der Grund dafür? Wenn ein Kind dich schlägt, anschreit, zu schüchtern ist, um mit dir zu reden, oder herumrennt und die Möbel umwirft, dann beeinträchtigt das deine Fähigkeit, erfolgreiche soziale Interaktionen mit dem Kind zu haben.

Diese weniger erfolgreichen sozialen Interaktionen spiegeln sich in den Testergebnissen wider. Das ist unabhängig davon, ob ein Elternteil die Interaktionen bewertet, wie es beim ADI-R der Fall ist, oder eine Diagnostiker*in, die das Kind beobachtet, wie beim ADOS.

Kinder mit geringen kognitiven Fähigkeiten haben oft autistische Züge und Verhaltensmerkmale, wie zum Beispiel Schwierigkeiten mit der sozialen Kommunikation oder repetitives Verhalten.

Die Schwierigkeit bei der Diagnose besteht darin zu unterscheiden, ob das Kind autistisch ist und möglicherweise geringe kognitive Fähigkeiten hat oder ob die autistischen Verhaltensweisen durch die geringen kognitiven Fähigkeiten begründet sind.

Ein solches Kind kann zum Beispiel repetitive Verhaltensweisen haben, weil es in seiner Entwicklung noch nicht auf der Stufe angelangt ist, wo man »So-tun-als-ob«-Spielen erwarten kann – nicht, weil es autistisch ist.

Es liegt an der Diagnostiker*in, diese Dinge in die Gesamtbewertung mit einzubeziehen. Die Punktzahlen beim ADOS und ADI-R sind deshalb Anhaltspunkte für eine Autismus-Diagnose, aber noch keine Diagnose.

Die Erkenntnisse dieser Studie werfen auch die Frage auf, ob die Tests autistische Mädchen und Frauen und andere hochfunktionale, gut angepasste autistische Menschen zuverlässig erkennen – möglicherweise sind sie eher bemüht, alles richtig zu machen, und rutschen so durchs Raster.

Intelligenz-und Entwicklungsdiagnostik

Um das Intelligenzniveau des Kindes festzustellen, kann ein IQ-Test durchgeführt werden. Meistens werden dazu der WPPSI-III, der HAWIK-IV oder der K-ABC eingesetzt, weil sie die Erfassung kognitiver Teilleistungstörungen ermöglichen. Für nonverbale Menschen kann der SON-R-Test verwendet werden.

Nicht immer ist ein IQ-Test im Rahmen der Autismus-Diagnostik sinnvoll. Er kann manchmal sinnvoll sein, um einschätzen zu können, ob die sozialen Schwierigkeiten des Kindes intelligenzbedingt sind, oder ob sie unter dem Niveau liegen, dass man beim jeweiligen IQ erwarten würde.

Doch die Intelligenzdiagnostik ist nicht ohne Tücken.

Für den IQ-Test muss genug Zeit und Ruhe vorhanden sein; die zu testende Person sollte nicht gestresst, verängstigt oder aufgewühlt sein. Jeder IQ-Test setzt voraus, dass die zu testende Person versteht, dass sie die Aufgaben lösen soll und bereit ist, das zu tun. Besonders bei Kindern kann der gemessene IQ stark davon abhängen, ob sie gerade Lust und Interesse haben, die Aufgaben zu lösen oder nicht. Das Ergebnis sollte daher immer nur als Mindestwert angesehen werden: Man kann bei einem Intelligenztest schlechter abschneiden als es den tatsächlichen Fähigkeiten entspricht, aber nicht besser.

Wichtig ist auch zu wissen, dass manche IQ-Tests, darunter der HAWIK, die Intelligenz autistischer Menschen unterschätzen. Um den IQ realistisch einzuschätzen, sollte ergänzend oder stattdessen der Raven-Matrizen-Test gemacht werden.

Auch für die allgemeine Entwicklungsdiagnostik gibt es standardisierte Untersuchungen, zum Beispiel Beobachtungsskalen. Damit lässt sich feststellen, ob und in welchen Bereichen Entwicklungsverzögerungen vorliegen. Oft wird auch ein gesonderter Sprachentwicklungs-Test gemacht.

Medizinische Diagnostik

Dazu können zum Beispiel ein EEG, MRT, eine körperliche Untersuchung, eine genetische Untersuchung oder ein Hörtest, unter Umständen auch ein Sehtest gehören. Keine dieser Untersuchungen dient dazu festzustellen, ob ein Kind autistisch ist oder nicht, sie dienen lediglich der Differentialdiagnostik.

Differentialdiagnose und Komorbiditäten

Im Rahmen der Autismus-Diagnose ist es wichtig, andere Diagnosen auszuschließen; das nennt man Differentialdiagnose.

Auffällige Verhaltensweisen sind manchmal schwer zuzuordnen. Wenn ein Kind zum Beispiel (noch) nicht spricht, steht oft der Verdacht auf Autismus im Raum, aber es könnte auch sein, dass das Kind nicht gut hört und deshalb nicht spricht, dass es eine spezifische Sprachentwicklungsstörung hat, mutistisch ist, oder einfach etwas später dran mit dem Sprechen.

In jedem Fall wäre es das Ziel, dem Kind sinnvolle Kommunikation zu ermöglichen. Für die Wahl der Herangehensweise ist es aber entscheidend zu erkennen, was das Problem ist. Plakativ gesagt wird ein schwerhöriges Kind nicht von einer Autismus-Therapie profitieren und ein autistisches Kind keinen Nutzen von einem Cochlea-Implantat haben.

Eben deshalb ist die korrekte Diagnose so wichtig.

Zu den wichtigsten Differenzialdiagnosen, die in der Autismus-Diagnostik bei Kindern zu berücksichtigen sind, gehören ADHS, Intelligenzminderung, Verhaltensstörungen (zum Beispiel Bindungsstörung), Soziale Phobie, Depression, Sprachentwicklungsstörungen, Hör- und Sehstörungen, Tics, Zwangsstörungen, Rett-Syndrom und Fragiles X-Syndrom.

Manchmal führt die differentialdiagnostische Abklärung auch dazu, dass zusätzlich zu Autismus-Diagnose noch weitere Diagnosen gestellt werden – sogenannte Komorbiditäten.

Ausführliche Informationen zur Autismus-Diagnostik gibt es auch in der Stellungnahme zu Standards der Autismus-Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen der Projektgruppe Diagnostik des Netzwerkes Autismus Niedersachsen.

Eine Anmerkung noch: Die Autismus-Diagnostik kann unterschiedlich ablaufen, im Einzelfall auch ganz anders als hier beschrieben.

Autismus-Diagnose bei Erwachsenen

Autismus bei Erwachsenen zu diagnostizieren, ist nicht einfach. Wir sprechen hier von Personen, die zwanzig, vierzig, oder sechzig Jahre lang niemand als autistisch erkannt hat. Während dieser Zeit haben die meisten gelernt, ihre Schwierigkeiten und Auffälligkeiten zu einem gewissen Grad zu verstecken.

Außerdem ist vielen Menschen nicht bewusst, wie viele Ursachen es geben kann für Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen. Persönlichkeitsstörungen oder soziale Ängste kommen zunächst genauso als Ursachen in Frage wie Autismus.

Auch hier können Screening-Tests eine erste Einschätzung geben. Sie werden manchmal verwendet, um abzuschätzen, ob eine Überweisung an eine spezialisierte Autismus-Sprechstunde sinnvoll ist.

Wie läuft die Autismus-Diagnostik bei Erwachsenen ab?

Während in der Diagnostik von Kindern spielerische Elemente einen größeren Raum einnehmen, besteht die Diagnostik von Erwachsenen hauptsächlich aus Fragebögen und Interviews.

Viele Diagnostiker*innen wollen gern auch mit einem Elternteil reden. Das ist nicht zwingend notwendig, und manchmal auch gar nicht möglich, aber es kann die Diagnose einfacher machen.

Für die Autismus-Diagnose spielt es eine wesentliche Rolle, ob die Besonderheiten schon seit der frühen Kindheit bestanden oder nicht. Gerade das ist bei Erwachsenen oft schwierig einzuschätzen: Die Erinnerungen an diese Zeit sind oft verblasst, ungenau, selektiv und sehr subjektiv.

Autistische Erwachsene können oft auch nicht gut abschätzen, wie ihr damaliges Verhalten auf ihre Umwelt wirkte.

Das kann auch für das Erwachsenenalter gelten: Manche Menschen im Autismus-Spektrum können ihr Verhalten und ihre Wirkung auf andere nicht gut einschätzen; die Eltern oder andere Bezugspersonen geben der Diagnostiker*in eine Außenperspektive.

Das kann allerdings ein Problem sein, wenn Eltern (aus Prinzip oder Überzeugung) darauf bestehen, dass ihr Nachwuchs normal ist und es schon immer war – in der älteren Generation gab und gibt es viele Vorbehalte gegenüber jeglichen psychischen Auffälligkeiten.

Wenn man denkt, dass es besser ist, die Eltern aus der Autismus-Diagnostik herauszuhalten, ist es in Ordnung, das zu tun.

Mögliche Bestandteile der Autismus-Diagnostik bei Erwachsenen:

  • Unterschiedliche Fragebögen zum Ausfüllen
  • Befragung zu autismustypischen Eigenheiten und Schwierigkeiten
  • Befragung der Eltern oder anderer Bezugspersonen
  • Standardisierte Interviews zur Autismus-Diagnostik bei Erwachsenen, zum Beispiel ADOS Modul 4 (siehe oben) oder AAA (Adult Asperger Assessment)
  • Psychiatrische und neurologische Untersuchung
  • Intelligenztest

Nicht alle diese Untersuchungen werden notwendigerweise durchgeführt. Einige Ärzt*innen führen zum Beispiel standardmäßig einen Intelligenztest durch, andere nicht. Man sollte sich davon nicht verunsichern lassen.

Gerade bei Erwachsenen kann die Diagnostik sehr unterschiedlich ablaufen.

Oft wird die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung nicht gestellt, weil die Diagnostiker*in das Verhalten als nicht auffällig genug und die Probleme als nicht gravierend genug einschätzt.

Es gibt aber auch Diagnostiker*innen, die nach einer dreiviertel Stunde Gespräch die Diagnose Asperger-Syndrom stellen – und zwar praktisch jedem, der zur diesbezüglichen Abklärung in ihre Sprechstunde kommt.

Auf diese Weise kommt es auch zu falsch-positiven Autismus-Diagnosen, und auch das kann Menschen schaden: Ihre zugrundeliegenden Probleme werden nicht behandelt, und sie bekommen nicht die Art von Unterstützung, die sie eigentlich bräuchten.

Differentialdiagnose und Komorbiditäten

Wie bereits erwähnt, können Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen viele Ursachen haben. Im Rahmen der Autismus-Diagnostik muss daher ausgeschlossen werden, dass die Besonderheiten im Verhalten zum Beispiel durch soziale Ängste begründet sind. Den Ausschluss anderer Diagnosen nennt man Differentialdiagnose.

Wichtige Differentialdiagnosen im Erwachsenenalter sind:

  • Persönlichkeitsstörungen
  • Angststörungen (einschließlich Zwangsstörungen)
  • AD(H)S

Manchmal treffen mehrere Diagnosen zu. Ärzt*innen sprechen dann von Komorbiditäten. Die vielen Schwierigkeiten, vor denen autistische Menschen im einer nicht-autistischen Welt stehen, können zum Beispiel zu einer Depression führen.

Wenn sowohl Autismus als auch eine Depression diagnostiziert werden, muss die Depression behandelt werden, und zwar unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Person autistisch ist. Zusätzlich sollte Unterstützung bei den autismus-spezifischen Problemen angeboten werden.

Häufige Komorbiditäten im Erwachsenenalter sind:

  • Depression
  • Angststörungen
  • ADS/ADHS

Im Anschluss an die Diagnostik sollten Möglichkeiten der Unterstützung erörtert werden.

Quellen und Studien

Zuletzt bearbeitet am 02.06.2023.

Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus