Wir sind autistisch und das ist gut so.

Der Autism Diagnostic Observation Schedule (ADOS) ist ein standardisiertes Instrument zur Diagnose von Autismus-Spektrum-Störungen.

Der ADOS ermöglicht es Diagnostiker*innen, eine »soziale Welt« zu schaffen, in der autistische Verhaltensweisen beobachtet werden können.

Die folgenden Bereiche werden mit dem ADOS bewertet:

  • Kommunikation (verbal und nonverbal)
  • Soziale Interaktion
  • Spiel und Gebrauch von Materialien
  • Eingeschränkte und sich wiederholende Verhaltensweisen und Interessen

Der Autism Diagnostic Observation Schedule wurde 1989 von Catherine Lord, Michael Rutter, Pamela C. DiLavore und Susan Risi entwickelt und ist seit 2001 über WPS (Western Psychological Services) im Handel erhältlich.

Seit 2012 gibt es die zweite Ausgabe (auch ADOS-2 genannt), auf die sich die Informationen in diesem Artikel beziehen.

Der ADOS-Test ist kein Selbsttest und kann nicht online durchgeführt werden.

ADOS (Autism Diagnostic Observation Schedule): Test zur Diagnose von Autismus-Spektrum-Sörungen

Für wen ist der ADOS geeignet?

Der ADOS kann zur Diagnostik von Personen auf verschiedenen Entwicklungsstufen und in verschiedenen Altersstufen verwendet werden, vom 12 Monate alten Kleinkind bis zum Erwachsenen, von Personen, die nicht sprechen, bis zu solchen, die fließend sprechen können.

Der ADOS kann Menschen über die gesamte Lebensspanne hinweg erfassen, weil er fünf Module (T, 1, 2, 3, 4) umfasst. Diagnostiker*innen wählen das passende Modul für eine Person auf der Grundlage ihrer sprachlichen Fähigkeiten und ihres Alters aus. Die Person bekommt Aufgaben nur aus diesem Modul.

Nicht geeignet ist der ADOS für

  • Babys unter 12 Monaten,
  • Jugendliche und Erwachsene, die nicht oder wenig sprechen, und
  • Personen mit signifikanten sensorischen oder motorischen Behinderungen (z. B. blind, gehörlos, querschnittsgelähmt, Zerebralparese). (Einige Module erfordern, dass sich die Persom im Raum bewegt.)

Die Module im ADOS-2

Es gibt fünf Module im ADOS:

  • Modul T (»Toddler«) ist neu in der zweiten Ausgabe des ADOS-Tests (ADOS-2) und wird bei Kleinkindern im Alter von 12 bis 30 Monaten eingesetzt.
  • Modul 1 wird bei Kindern eingesetzt, die wenig oder gar nicht in Sätzen sprechen.
  • Modul 2 wird eingesetzt, wenn die Person in Sätzen spricht, aber nicht fließend.
  • Modul 3 ist für Kinder/Jugendliche gedacht, die sich verbal flüssig ausdrücken können.
  • Modul 4 wird bei älteren Jugendlichen und Erwachsenen eingesetzt, die sich verbal flüssig ausdrücken können.
ADOS-Module im Überblick

Die Aufgaben unterscheiden sich je nach Modul:

Modul T (»Toddler«): Kleinkinder

Das Modul wird eingesetzt bei Kinder zwischen 12 und 30 Monaten, die noch nicht durchgehend in Sätzen sprechen. Es ist neu in der zweiten Ausgabe des ADOS-Tests.

Modul T besteht aus elf primären Aktivitäten und vier sekundären Aufgaben.

Bei so kleinen Kindern ist es schwierig, eine Diagnose zu stellen. Die klinischen Beobachtungen in diesem Modul werden als Grundlage für weitere Untersuchung genutzt.

Die diagnostische Bewertung basiert eher auf verschiedenen Bereichen, auf die man achten sollte, als auf irgendwelchen »Grenzwerten«.

Modul 1: Kinder ohne oder mit wenig Sprache

Diese Modul wird eingesetzt für Kinder, die

  • 31 Monate und älter sind und
  • nicht oder nicht durchgängig in Sätzen sprechen.

Dieses Modul besteht aus zehn Aktivitäten:

  • Freies Spiel
  • Reaktion auf Namen
  • Reaktion auf geteilte Aufmerksamkeit (joint attention)
  • Seifenblasenspiel
  • Erkennen, was in einer Handlungsabfolge mit Gegenständen als nächstes kommt
  • Soziales Lächeln
  • Erkennen, was in einer sozialen Handlungsabfolge als nächstes kommt
  • Funktionale und symbolische Nachahmung
  • Geburtstagsfeier
  • Imbiss

Modul 2: Kinder ohne fließende Sprache

Modul 2 wird eingesetzt bei Kindern, die in Sätzen sprechen, aber noch keine fließende verbale Sprache entwickelt haben.

Dieses Modul besteht aus vierzehn Aktivitäten:

  • Aufgabe, etwas zu bauen
  • Reaktion auf Namen
  • So-tun-als-ob-Spiel
  • Gemeinsames interaktives Spiel
  • Gespräch
  • Reaktion auf geteilte Aufmerksamkeit
  • Aufgabe, etwas vorzumachen
  • Beschreibung eines Bildes
  • Erzählen einer Geschichte aus einem Buch
  • Freies Spiel
  • Geburtstagsfeier
  • Imbiss
  • Erkennen, was in einer Handlungsabfolge mit Gegenständen als nächstes kommt
  • Seifenblasenspiel

Modul 3: Kindern und jüngere Teenager mit fließender Sprache

Modul 3 wird eingesetzt bei Kindern mit fließender Sprache und bei jüngeren Teenagern.

Dieses Modul besteht aus vierzehn Aktivitäten:

  • Aufgabe, etwas zu bauen
  • So-tun-als-ob-Spiel
  • Gemeinsames interaktives Spiel
  • Aufgabe, etwas vorzumachen
  • Beschreibung eines Bildes
  • Erzählen einer Geschichte aus einem Buch
  • Cartoons
  • Gespräch und berichten
  • Emotionen
  • Soziale Schwierigkeiten und Verärgerung
  • Pause
  • Freundschaften, Beziehungen und Ehe (Verständnis sozialer Beziehungen)
  • Einsamkeit
  • Eine Geschichte erfinden

Modul 4: Ältere Jugendliche und Erwachsene mit fließender Sprache

Dieses Modul besteht aus zehn bis fünfzehn Aktivitäten (die mit * gekennzeichneten sind optional):

  • Aufgabe, etwas zu bauen *
  • Erzählen einer Geschichte aus einem Buch
  • Beschreibung eines Bildes *
  • Gespräch und berichten
  • Aktuelle Arbeit oder Schule *
  • Soziale Schwierigkeiten und Ärgernisse
  • Emotionen
  • Aufgabe, etwas vorzumachen
  • Cartoons *
  • Pause
  • Tägliches Leben *
  • Freundschaften, Beziehungen und Ehe (Verständnis sozialer Beziehungen)
  • Einsamkeit
  • Pläne und Hoffnungen
  • Eine Geschichte erfinden

Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Modulen 3 und 4 besteht darin, dass sich Modul 4 in erster Linie auf Fragen und verbale Antworten stützt (im Gegensatz zu Aktionen während des Spiels).

Wie läuft ein ADOS-Test ab?

Die Durchführung des ADOS-Tests dauert 30-60 Minuten.

Das Protokoll besteht aus einer Reihe von strukturierten und halbstrukturierten Aufgaben, die eine soziale Interaktion zwischen der Diagnostiker*in und der zu diagnostizierenden Person beinhalten.

Wenn der ADOS zur Autismus-Diagnostik von Kindern verwendet wird, interagiert eine Diagnostiker*in direkt mit dem Kind bei sozialen und spielerischen Aktivitäten.

Manchmal sind auch zwei Fachkraft anwesend, eine, die sich mit dem Kind beschäftigt, und eine, die die Bewertung vornimmt.

Die Diagnostiker*in beobachtet zum Beispiel, ob das Kind auf seinen Namen reagiert und wie es sich im So-tun-als-ob-Spiel verhält, beobachtet die verbale und nonverbale Kommunikation und achtet auf bestimmte Merkmale, die auf Autismus hindeuten.

Bei Erwachsenen besteht der ADOS-Test im Wesentlichen aus einer Befragung und einigen Aufgaben, zum Beispiel sich eine Geschichte auszudenken.

Das beobachtete Verhalten oder die Antworten in der Befragung werden dann vorgegebenen Beobachtungskategorien zugeordnet und anschließend kombiniert, um quantitative Werte für die Analyse zu erhalten.

Aus Studien weiß man, welche Werten auf Autismus hindeuten und welche nicht.

In manchen Fällen bekommt man die Rückmeldung am selben Tag, in anderen Fällen wird ein Folgetermin anberaumt, um die Ergebnisse zu besprechen und Empfehlungen auszusprechen.

Der ADOS bietet Therapeut*innen die Möglichkeit, ein Profil der Stärken und Schwierigkeiten des Kindes zu erstellen, das für die Planung von Therapien und Förderung nützlich sein kann.

Bei der Diagnose von Kleinkindern oder Kindern wird vielleicht ein Elternteil gebeten, während der gesamten Durchführung im Raum anwesend zu sein.

Seine Rolle besteht in erster Linie darin, einfach da zu sein, damit das Kind entspannter ist. Die Diagnostiker*in kann den Elternteil auch bitten, an bestimmten Punkten während des ADOS mit dem Kind zu interagieren.

Bei Jugendlichen und Erwachsenen wird der ADOS in der Regel nur mit der Klient*in und der Diagnostiker*in im Raum durchgeführt.

Die Rolle des ADOS in der Autismus-Diagnostik

Der ADOS wird oft als der »Goldstandard« der Autismus-Diagnostik bezeichnet. Und in der Tat ist er genauer als Screening-Tests.

Trotzdem reicht der ADOS an sich nicht aus, um die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung zu stellen. Er wird nur als eine Informationsquelle in der Diagnostik verwendet.

Zur Bestätigung einer Autismus-Spektrum-Diagnose sind weitere psychologische Untersuchungen erforderlich. Dazu können weitere Befragungen und Beobachtungen, die Erhebung der Entwicklungsgeschichte, ein Gespräch mit den Eltern, Differenzialdiagnostik, und manchmal auch die Beobachtung in einer natürlichen Umgebung (z. B. zu Hause oder in der Schule).

Das Autism Diagnostic Interview-Revised (ADI-R) gilt als gute Ergänzung zum ADOS. Es handelt sich dabei um ein strukturiertes Interview, das mit den Eltern des Kindes durchgeführt wird und die gesamte Entwicklungsgeschichte der Person erfasst. Das ADI-R hat eine geringere Sensitivität, aber eine ähnliche Spezifität wie der ADOS.

ADOS ist nicht erforderlich, um eine Autismus-Diagnose zu stellen. Die Diagnosekriterien der Autismus-Spektrum-Störung sind im ICD-11 festgelegt, und psychologische und psychiatrische Fachkräft können individuell entscheiden, welche Methoden sie für geeignet halten, um festzustellen, ob die Kritereien erfüllt sind.

Die diagnostische Genauigkeit des ADOS

Der ADOS versucht Schwierigkeiten in der sozialen Kommunikation zu messen. Aber nicht nur autistische Menschen haben diese, sondern auch Menschen mit psychischen Störungen. Bei diesen kann der ADOS manchmal fälschlicherweise das Ergebnis anzeigen, dass sie autistisch wären.

Das wurde zum Beispiel bei Menschen mit Psychosen und Schizophrenie beobachtet. Fallberichte deuten darauf hin, dass solche falsch-positiven Ergebnisse auch bei Schizophrenie im Kindesalter auftreten können, die allerdings mit einer Häufigkeit von 1:40000 eine extrem selten ist.

Auch deshalb ist eine gute Differenzialdiagnostik unerlässlich.

Eine systematische Cochrane-Review von 2018 umfasste 12 Studien zur diagnostischen Genauigkeit des ADOS bei Vorschulkindern (Module 1 und 2). Die zusammenfassende Sensitivität lag bei 0,94 (95% CI 0,89 bis 0,97), wobei die Sensitivität in den einzelnen Studien zwischen 0,76 und 0,98 lag. Die zusammengefasste Spezifität lag bei 0,80 (95 % KI 0,68 bis 0,88), wobei die Spezifität in den einzelnen Studien zwischen 0,20 und 1,00 lag.

Die Studien wurden anhand des QUADAS-2-Rahmens auf Verzerrungen geprüft; von den 12 eingeschlossenen Studien wurden 8 als hochgradig verzerrungsgefährdet eingestuft, während für die übrigen vier Studien nicht genügend Informationen vorlagen, um das Verzerrungsrisiko angemessen bewerten zu können.

Die Autor*innen konnten keine Studien für den ADOS-2 finden; der Umfang der Überprüfung war auf Kinder im Vorschulalter (Durchschnittsalter unter 6 Jahren) beschränkt, wodurch Studien zu den Modulen 3 und 4 von der Meta-Analyse ausgeschlossen wurden.

Eine der eingeschlossenen Studien untersuchte die additive Sensitivität und Spezifität des ADOS in Kombination mit dem ADI-R; diese Studie ergab eine Verbesserung der Spezifität um 11 % (im Vergleich zum ADOS allein) auf Kosten einer Verringerung der Sensitivität um 14 %; aufgrund sich überschneidender Konfidenzintervalle konnte dieses Ergebnis jedoch nicht als statistisch signifikant angesehen werden.

Quellen und Studien

Zuletzt bearbeitet am 14.06.2023.

Linus Mueller
Linus Mueller, M.A.

Linus Mueller befasst sich seit 20 Jahren mit Autismus. Er hat hat sein Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einer Magisterarbeit über Autismus und Gender abgeschlossen und in mehreren Autismus-Organisationen gearbeitet, bevor er Autismus-Kultur gründete. Linus ist selbst autistisch und Vater eines fabelhaften Kindes. Mehr über Linus