Wir sind autistisch und das ist gut so.

Die Veröffentlichung der Studie von O. Ivar Lovaas von 1987 war ein Wendepunkt: seit dem wird Applied Behaviour Analysis als Autismus-Behandlung mit Aufmerksamkeit von wissenschaftlicher und juristischer Seite überschwemmt. Befürworter*innen wie Gegner*innen von Dr. Lovaas, ob von Prinzipien oder von Opportunismus geleitet, waren stets laut, zahlreich, erfolgreich und mit Referenzen gut ausgestattet.

Doch wenn es zur ethischen Prüfung kommt, wenn es darum geht, Menschen im Autismus-Spektrum rudimentäre ethische Berücksichtigung zuzubilligen, haben alle Seiten und Fraktionen – sowohl für wie auch gegen ABA – jedes Mal durch und durch versagt.

In der Untersuchung dieses Versagens werden diverse Aspekte ethischer Standards der Autismus-ABA-Industrie erforscht und verglichen. Es zeigt sich ein System, das auf das Wesen, das Ziel, die Gründe und die Motive dieser unethischen Behandlung von Autist*innen schließen lässt.

Zugleich offenbart sich ein Diskurs. Er schwingt in der vergangenen und der gegenwärtigen unethischen Behandlung anderer atypischer Menschen mit. Und da sich ethische Probleme nicht plötzlich von selbst auflösen, sondern sich anhäufen und eskalieren, wird das Geflecht von System und Diskurs in Gang gesetzt.

Daraus ergeben sich spezifische ethische Herausforderungen und Heilmittel-Empfehlungen für Behaviourist*innen jeder Art, die sich das Ziel gesetzt haben, autistisches Verhalten und somit autistische Menschen auszulöschen.

Teil 1: Ethik von Autismus trennen

Einführung: Behaviourist*innen und ihre Ethik

Nicht jede*r hält heutzutage viel von Behaviourismus, aber so lange die Zielscheibe der Verhaltensmodifikation autistisch ist, ist sein Ansehen beeindruckend.

Von den eigentlichen Verhaltensanalytiker*innen abgesehen setzt sich die Anhängerschaft von Autismus-ABA aus Therapeut*innen, Erzieher*innen und Lehrer*innen, Eltern, Großeltern, Freunden der Familie, Leistungsträgern, Autismus-Verbänden, Berufs- und Interessengruppen, Professor*innen, Anwält*innen, Richter*innen und Journalist*innen, Politiker*innen, Bürokrat*innen und der Menschenrechtskommission von Québec zusammen.

Das eigene unethische Verhalten hat keine*r von ihnen bemerkt. Stattdessen nehmen sie als selbstverständlich an, dass jegliche ethische Bedenken in Bezug auf ABA bereits abgehandelt und beseitigt wurden.

Aversiva zum Beispiel. Als die systematische Verletzung autistischer Kinder in ABA-Programmen ethische Besorgnis erregte, die so weit reichte, dass Gesetze verabschiedet wurden, wurde ABA nicht-aversiv – Problem gelöst. Berechtigte Sorgen wegen anhaltender Körperstrafen von Autist*innen in anderen Behandlungsprogrammen ließen sich nicht mehr als Munition gegen ABA verwenden.

Dann war da noch die behavioristische Zwickmühle, ob eine kontrollierte Studie von Autismus-ABA ethisch vertretbar wäre, da ja die Kontrollgruppe dieser vermeintlich-effektiven Behandlung beraubt wäre. ABA macht keinen Schritt ohne ihren einmaligen Dunst aus Adjektiven wissenschaftlich nachgewiesen und medizinisch notwendig.

Eltern und Forscher*innen gleichermaßen fanden es schwer, dieser Himmelsschrift zu widerstehen. Folglich wurden solche Standards wie Randomisierung und Matching aus dem Lager der Guten Wissenschaft in das Lager der Schlechten Ethik verbannt – Problem gelöst.

Objektiven Beobachter*innen könnte auffallen, wie kreisförmig und zweckdienlich diese Logik ist.

Rhetorik der Autismus-Behandlung

Ein anderes Thema rückte in den Blickpunkt der Behaviorist*innen: 1999 plädierte eine Mutter von zwei autistischen Jungs vor der US-amerikanischen Bioethik-Kommission, dass es Autist*innen schade, wenn man ethische Standards aus dem Bereich der Einwilligung nach erfolgter Aufklärung in der Autismus-Forschung anwenden würde.

Über ihre emotionale Aussage gab es einen positiven Bericht im Newsletter der Association for Science in Autism Treatment (ASAT), die sich mit ihrer Unterstützung der Autismus-ABA-Industrie hervorgetan hat. Auf deren Website und im Newsletter wirft ASAT mit ihren strengen wissenschaftlichen Standards um sich, und sie sind Bestandteil ihrer Mission.

Mit der Autorität ihres mächtigen Beirats verkündete ASAT, dass gute Wissenschaft und gute Ethik mit Autismus nicht vereinbar sind. Ferner, dass Ethik für Autismus-Forschung verheerend wäre, und die Hoffnung der Eltern von Autist*innen allerorten erlöschen würde.

Später hat Dr. Catherine Maurice eine Reihe ethischer Fragen bezüglich Autismus-ABA und Heilung von Autismus angepackt, die ein Online-Magazin mit Leadership im Titel gestellt hat. Ihre Strategie war, in jeder Frage das Wort Autismus mit dem Wort Krebs zu ersetzen. Sie besiegelte ihre Argumentation durch Umbenennung von ABA in Chemotherapie, und wer ist schon gegen Chemotherapie?

Dieses Stück Rhetorik erschien dann im Newsletter von ASAT. Als ich ASAT gebeten habe, mir die wissenschaftliche Basis der Gleichsetzung von Autismus mit Krebs zu erklären, antworteten sie mit Schweigen, nicht mit Wissenschaft.

Das Verhalten der Verhaltensanalytiker*innen, Krebs zu bemühen, schaltet und waltet auch in juristischen Schlachten, die aus schieren Kosten resultieren, die die Aufrechterhaltung der Autismus-ABA-Industrie verursacht. Im Fall Auton, dem juristischen ABA-Epos von Kanada, hallte das Autismus-gleich-Krebs-Statement der Madame Justice Marion Allan wider, wurde zurückgeworfen in den Autismus-gleich-Krebs-Variationen der Kläger*innen und ist zu Stapelware der Medien geworden.

Sobald ein*e Richer*in oder Dr. Maurice oder jede*r Behaviorist*in ‘Krebs’ kreischt, eilt jede ethische Berücksichtigung autistischer Menschen gehorsam zum nächsten Ausgang.

Falsche Gleichungen und falsche Gegensätze

Ein falscher Gegensatz ist eine Verdrehung von Realität mittels wenn-dann oder entweder-oder Konstruktion. Falsch darin ist, dass gegensätzliche Einheiten eine unlogische Schlussfolgerung erzeugen, auch falsch ist, dass die Existenz anderer Möglichkeiten verneint wird. Falsche Gegensätze (wenn autistische Kinder ethisch behandelt werden müssen, sind sie verloren) und falsche Gleichungen (Autismus ist gleich Krebs) drängten empirische Beweise beiseite und stellten sich ins Zentrum der rechtlichen, wissenschaftlichen und populären Werbung der Autismus-ABA-Industrie.

Hier sind noch einige: Autismus gleicht einer Tragödie, einem Leiden und Untergang. Entweder sind autistische Kinder durch intensive Frühförderung erfolgreich behandelt oder sie sind zu einem Leben voller Isolation in einer Anstalt verdammt. Autismus ist nicht vereinbar mit Erfolg, Intelligenz, physischer und psychischer Integrität, Würde, Selbstbestimmung und Bildung: entweder bist du autistisch oder du hast Zugang zu diesen Möglichkeiten. Entweder bekommen Autist*innen ABA und werden Nichtautist*innen ähneln, oder sie sind dem Untergang geweiht. Autismus gleicht einer Atombombe, einem Schlaganfall, Diabetes, einer tödlichen Krankheit, einem von Schmerz infolge eines schrecklichen Unfalls geplagt sein und wieder, immer wieder, Krebs. Wenn du gegen ABA bist, dann bist du für ein Leben im Heim. Wenn ABA kritisiert wird, dann werden Kinder vernichtet. Autismus ist unvereinbar mit dem Menschsein: entweder bist du Autist*in oder du bist ein Mensch. Wenn einem autistischen Menschen ABA vorenthalten wird, dann wird er damit enden, dass ihn vier große Wärter*innen in einem Wohnheim zu Boden werfen und sich auf ihn setzen.

Alle diese sich überlappenden Ansichten sind von behavioristisch gesinnten Eltern, Richter*innen, Organisationen, Anwält*innen und Expert*innen in Dokumenten und im direkten Gespräch geäußert worden. Hier ist noch eine: im Auton-Fall sagte ein Zeuge und behavioristischer Experte aus, Autismus gleiche AIDS. Diese Gleichung erscheint in der Entscheidung der Richterin Allan, in der sich die Parade vollkommen nicht-autistischer Zeugenschaft, die sich durch ihren Gerichtssaal zog, ebenso genau widerspiegelt wie die Prioritäten beteiligter Anwält*innen und Parteien.

Eine solche Aussage:

Erwachsene Kläger*innen (und Familien autistischer Kinder hinter dem Vorhang dieser Gerichtsverhandlung) sind bemerkenswerte Individuen. Als Eltern autistischer Kinder haben sie emotionale und finanzielle Härten und Trauer erduldet, die den meisten Menschen unbekannt sind. Sie haben ungeheure Energie aufgewendet, um sich selbst und andere – inklusive Ärzt*innen – über das Wesen der autistischen Störung und die Wirksamkeit der intensiven Frühförderung zu bilden.

ist konsistent mit der Entscheidung der Richterin Allan in ihrer Gesamtheit und drückt automatische und allumfassende Befangenheit aus, die bezüglich Autismus immer noch, wie einst bezüglich Rassismus, gesellschaftlicher Standard genannt werden kann.

Der Anwalt der Auton-Eltern, Chris Hinkson, steuerte bei der von der Regierung eingelegten Berufung des Eltern-Sieges folgendes bei:

Die Unfähigkeit zu kommunizieren ist ein Kennzeichen von Autismus. Diese Kinder, unbehandelt gelassen, werden dazu verdammt sein, ihr Leben in sich gekehrt in einer Anstalt zu fristen.

Dieses Mosaik falscher Gleichungen und Gegensätze, das genau so von jeder*m Richter*in des Auton-Prozesses hätte ausgesprochen werden können, obsiegte wieder mit Leichtigkeit. Jede ethische Erwägung für Autist*innen hat das Feld längst geräumt. Und während Ethik verbannt wurde, wie es auch zu anderen Zeiten, an anderen Orten, in anderen Verhandlungen, Disziplinen und Kämpfen geschah, waren die ABA-Gegner*innen in andere Angelegenheiten vertieft.

Der Störfaktor des unethischen Widerspruchs

Abgesehen von den Einwänden gegen Aversiva waren die Gegner*innen von Autismus-ABA scheinbar oft zu beschäftigt, um sich der Ethik zuzuwenden. Wozu sie sich alles geäußert haben, würde ein Telefonbuch füllen: Bedrohung der internen und externen Validität, Randomisierung, unterschiedliches Geschlechterverhältnis (inadäquate Chi-Quadrat-Analyse), befangene Auswahl, statistische Regression, Messung der Ergebnisse, das Problem des residualen (übrig bleibenden) Autismus und seiner Feststellung, das Problem der Replikation, die ewige wieviele-Stunden-pro-Woche-Frage etc. – und das nur für die Studie von Dr. Lovaas von 1987 und ihre Verlaufskontrolle von 1993.

Die wissenschaftliche ABA-Kritik, die Nichtbehaviorist*innen generieren, ist zumeist ununterscheidbar, wie Dr. Lovaas sagen würde, von der Kritik der Behaviorist*innen. Beide waren zeitweise gefärbt mit erfolglos getarnter Ehrfurcht vor der Größe der Leistungen von Dr. Lovaas. Nach 1987 dauerte es nicht lange, dass Entwicklungstheorien und Behandlungen von Autismus behavioristische Sprösslinge und Praktiken ausbildeten.

Idealistische Proteste der Nichtbehaviorist*innen, dass discrete trial autistische Kinder in Roboter oder dressierte Robben verwandelt, waren leichte Angriffsziele fürs Gespött der Autismus-ABA-Industrie. Gemäßigtere Einwände gegen ABA, die von Holdouts gegen die Behaviorist*innen-Flut kamen, wurden ruiniert von Interessengruppen, beruflichen Eifersüchteleien und Werbung für wissenschaftlich suspekte Lieblingstheorien und alternative Behandlungsmethoden.

In einer Situation, in der Missachtung der Ethik eklatant und nachhaltig ist, wird auch das beharrliche Umgehen dieser Nichtberücksichtigung selbst unethisch – ob nun aus Eigeninteresse oder um einander inkompetente Beschuldigungen entgegenzuschleudern oder um alle möglichen Streitpunkte immer wieder längst und im Detail zu sezieren.

Die Arbeit von Dr. Frank Gresham veranschaulicht den unethischen Widerspruch. Als jemand, der Autismus-ABA entlarvt, ist er weiterhin bekannt und sehr gefragt, aber ich fand, seine Aussage im Auton-Fall widersprach diesem Ruf. Als ich um Klarstellung bat, bestätigte Dr. Gresham, dass er, in eigenen Worten, der größte ABA-Anhänger überhaupt ist. Er hat sich nur mit Dr. Lovaas in die Haare gekriegt, wer von ihnen der bessere Wissenschaftler ist. Diese Rivalität drehte sich schon immer um Bedürfnisse, Charakter und Ambitionen der beiden Gegner und hat nichts mit Autist*innen zu tun, geschweige denn mit Ethik.

Auch Dr. Gresham fand die Idee absurd, Autist*innen in Entscheidungen bezüglich ihrer Rechte, Erforschung oder Behandlung einzubeziehen oder zu konsultieren: das ist so, als würde man geistig Zurückgebliebene konsultieren, sagte er. Wenn überhaupt jemand mit dieser Position nicht einverstanden ist oder war, was sich in der Realität schon immer manifestierte und weiterhin in vollem Umfang manifestiert, haben sie ihren Widerspruch für sich behalten.

Dr. Gresham hat die Bedürfnisse der Autismus-ABA-Industrie bestens bedient, ebenso viele Andere, die diese Fiktion aufrechterhalten, dass ABA rigoros angefochten wurde und die Prüfung mit nur wenigen Kratzern an ihrer Oberfläche bestanden hat. Unethischer Widerspruch ist nicht die ganze Geschichte, aber er war ein wesentlicher Störfaktor, der eine akkurate ethische Begutachtung von ABA verhinderte.

Teil 2: Geschichte, Wissenschaft, Philosophie, Religion

Das andere Projekt der UCLA zur frühen Verhaltensmodifikation

In den 1970-er Jahren veröffentlichten UCLA-Forscher*innen durch Expert*innen geprüfte Artikel über die ersten Erfolge ihres Programms zur Transformation inadäquaten und unangemessenen Verhaltens bei kleinen Kindern.

Diese Verhaltensintervention galt aus mehreren Gründen als unerlässlich: das gestörte Verhalten der Kinder verursachte emotionale Qualen bei ihren Eltern; dieses Verhalten war störend und galt in der Gesellschaft und bei den Gleichaltrigen als inakzeptabel; dieses Verhalten verdrängte angemessenes Funktionieren dieser Kinder, und man sagte von ihnen, dass sie litten; eine Intervention bei frühest möglichen Anzeichen des abweichenden Verhaltens war notwendig, denn die Prognose für die Adoleszenz und das Erwachsenenalter war bekanntermaßen schlecht, und eine Behandlung zu einem späteren Zeitpunkt erwiesenermaßen vergeblich.

Dieses Projekt wurde wie viele anderen Projekte dieser Zeit großzügig gefördert von dem National Institute of Mental Health (NIMH). Der Projektleiter, d.h. die Person, deren Name die Förderung eingebracht hat, war Dr. Lovaas. Diese umfassende und intensive Verhaltensintervention nutzte die Prinzipien der operanten Konditionierung, um maladaptive Verhaltensweisen, die bestraft wurden, durch erwünschtes Verhalten, das belohnt wurde, zu ersetzen. Die wirkungsvollste Bestrafung war, wie man fand, Kinder zu hauen oder zu schlagen.

Der Erfolgsbericht von dieser Intervention war unqualifiziert. Leute sahen Videos von einem der Kinder vor und nach der Behandlung und beschrieben ihn als zwei verschiedene Jungs; er sah nun aus und handelte wie jeder andere Junge. Das Ziel, Kinder zu kreieren, die von ihren Gleichaltrigen ununterscheidbar waren, war offensichtlich erreicht. Die Berichte von diesen Erfolgen generierten eine Kontroverse, die von Dr. Lovaas und anderen beteiligten Forscher*innen verlangte, dass sie ihr Projekt und seine Resultate verteidigten.

Dr. Rekers und seine Prinzipien

Das oben beschriebene UCLA-Projekt war das Feminine Boy Project. Das unmittelbare Ziel war, bei kleinen Jungen, die hinsichtlich der Geschlechterrolle deviantes Verhalten zeigten, feminine Verhaltensweisen (z.B. mütterlich hegende Züge und spielen mit Mädchen) durch maskuline (z.B. mit einer Spielzeug-Maschinenpistole zu spielen und sich mit Jungen zu prügeln) auszutauschen. Sein Arbeitspferd war Dr. Lovaas’ Student und junger Forscher George A. Rekers. Eins seiner langfristigen Ziele war Verhinderung der Homosexualität.

Die Rolle der gesellschaftlichen Intoleranz bei der Auswahl der zu verändernden Verhaltensweisen wurde in einer der Rekers/Lovaas-Studien erwähnt. Die Autoren meinten, es sei realistischer, die Opfer von Intoleranz zu verändern als intolerantes Verhalten der Gesellschaft. Diese Position ist als kurzsichtig bekannt und lässt sich schlecht extrapolieren, wie zahlreiche Vertreter*innen anderer Meinungen bemerkten.

Die beträchtliche Kritikflut, die dieses Projekt hervorrief, wurde tatsächlich von ethisch begründeten Einwänden dominiert – einschließlich Donald M. Baer, einen späten ABA-Pionier und Verteidiger der Arbeit von Dr. Lovaas im Autismus-Bereich. Jede*r bemerkte, dass ein Projekt, in dem das Wesen seiner Klienten ohne ihre Einwilligung durch Verhaltensmodifikation verändert werden soll, ethisch hinterfragt werden muss.

Zahlreiche Kritik betraf die Auswahl guter – männlicher und schlechter – weiblicher Verhaltensweisen in dem Feminine Boy Project (FBP). Es wurde argumentiert, dass die Beteiligung von Interessenvertretungen wie Transsexuellen, Homosexuellen, Transvestiten und Feminist*innen in Entscheidungsprozessen des Projekts unentbehrlich ist. Angesprochen wurde die Verarmung der Gesellschaft durch das Ausradieren der Verhaltensvielfalt und somit des Beitrags, den betreffende Menschen möglicherweise geleistet hätten. Stark angezweifelt wurde die Annahme, dass Nicht-Heterosexuelle als Jugendliche und Erwachsene funktionsgestört und unglücklich seien.

Die Kritiker*innen tangierten kaum das Thema der Aversiva und die Haarspaltereien bezüglich der Daten; stattdessen hoben sie die Frage hervor, vor wem die Therapeuten verantwortlich sind. Wem dienen sie: dem Klienten, den Eltern des Klienten, der Gesellschaft und ihren Werten oder sich selbst und ihren eigenen Werten?

Dr. Rekers, Dr. Lovaas und einige andere entgegneten mit ihrer eigenen Ethik: Wenn Eltern und Fachkräfte entschieden haben, dass ein Junge eine Geschlechtsidentitätsstörung hat, darf ein Therapeut die Behandlung des Kindes aus ethischer Sicht nicht verweigern.

Dr. Rekers mit zwei anderen Kolleg*innen fügte in einer anderen Verteidigung hinzu: Wenn ein Elternteil ein Kind zum Psychologen bringt und bittet, die Möglichkeit einer homosexuellen Entwicklung zu verhindern, ist es nicht ein ethisch und professionell angemessenes Ziel für den Psychologen?

In der Verteidigung seiner Arbeit mit Dr. Lovaas verwies Dr. Rekers rational darauf, dass homosexuelles Verhalten (in Kalifornien, zu der Zeit) illegal ist, und dass er die gleichen christlichen Werte wie die Eltern betreffender Kinder teilt.

Dies und ein großer Umfang ähnlicher Arbeit von Dr. Rekers offenbart seine Prinzipien nicht als wissenschaftlich sondern als fundamentalistisch. Er protestierte dagegen, dass Homosexualität aus dem DSM gestrichen wird, und plädierte dafür, dass sie dort wieder aufgenommen werden soll. Er reagierte mit Ungläubigkeit und Empörung darauf, dass Menschen mit einer homosexuellen Pathologie in Bezug auf ihre Klassifikation und Behandlung irgendwas mitzureden hätten.

Zwei Erfolgsfälle des FBP, von denen Rekers/Lovaas in ihren Fallstudien berichteten, stellten sich in der Verlaufskontrolle als bisexuell heraus. Einer dieser Erfolge unternahm mit 18 Jahren einen Selbstmordversuch – nach seinem ersten homosexuellen Kontakt.

Als ich Dr. Gresham von FBP erzählte, stellte er fest, dass ein solches Projekt die ethische Prüfung nach seinen Maßstäben nicht bestehen würde.

Eine Zeitlang lief das FBP am UCLA gleichzeitig mit dem, was später als Young Autism Project bekannt wurde. Während Dr. Lovaas sich von FBP, dessen NIMH-Förderung 1976 auslief, klugerweise distanzierte, machte ihn das zweite Projekt zur Legende.

Das Problem besteht also nicht darin, dass scheinbar erfolgreiche Verhaltensmodifikationen und die Mitarbeiter*innen, die wie Dr. Lovaas diese entwickeln und durchführen, ethischen Herausforderungen gegenüber immun sind. Wie Auton gezeigt hat, besteht das Problem darin, dass die Dr. Rekers-artige Intoleranz gegenüber Autist*innen eine ausnahmslose Norm ist: sie ist ein gesellschaftlicher Standard, sie ist de rigueur, sie ähnelt – siehe Dr. Maurice Let Me Hear Your Voice[1] – einer Religion.

Zurück zu den Aversiva

Das provokante Zeugnis dieser Intoleranz gegenüber Autist*innen ist in behaviouristischen Sichtweisen von Autismus verwurzelt; wie sich diese Intoleranz manifestieren kann, ging zufällig aus einer Studie hervor, die einem ganz anderen Zweck dienen sollte.

1991 publizierte ein Forscher*innen-Team aus Rudgers, darunter bekannte Behaviorist*innen Sandra Harris und Jan Handlemann, eine Studie über die Folgen von Aversiva in Autismus-Programmen. Die Studie hieß Tut Bestrafung weh? Die Auswirkung der Aversiva auf das Klinikpersonal.

Sie verglichen moralische und berufliche Befriedigung von über 100 Mitarbeiter*innen, unterteilt in diejenigen, die nur milde Aversiva einsetzen durften, und jene, die starke Aversiva an ihren autistischen Klient*innen einsetzen durften. Die starken Aversiva waren (und beschränkten sich nicht darauf, wie man annehmen kann): schlagen, kneifen, Elektroschock, giftiger Geruch, übelriechende Flüssigkeit und Haare ziehen.

Das Fixieren wurde aus dieser Studie rausgelassen, da niemand von den Beteiligten entscheiden konnte, ob das Fixieren von Autist*innen ein mildes oder ein starkes Aversivum darstellt. Klar, Autist*innen haben sie nicht gefragt. Auch hat niemand bemerkt, dass Autist*innen in Fixierungen verletzt und getötet wurden – das könnte vielleicht für die Kategorie der starken Aversiva sprechen.

Jedenfalls hat sich die Besorgnis der Forscher*innen, dass Klinikmitarbeiter*innen darunter leiden, wenn sie routinemäßig starke Aversiva an Autist*innen anwenden, als grundlos erwiesen. Sie fanden heraus, dass diejenigen, die starke Aversiva anwenden, am glücklichsten waren und von weniger arbeitsbedingtem Stress und größerer persönlicher Erfüllung berichteten. Tatsächlich je länger sie dabei waren, umso erfüllter berichteten sie zu sein.

Das Forschungsdesign erlaubte nicht die Beantwortung der Frage warum, aber die Autor*innen haben eine behavioristische Annahme geäußert, dass starke Aversiva, an Autist*innen angewendet, die befriedigendsten Resultate produzieren.

Aus der Sicht der Mitarbeiter*innen.

Und die Autor*innen kommen zu dem Schluss: Wenn Mitarbeiter*innen befugt sind, eine große Auswahl an Interventionen einschließlich starker Aversiva einzusetzen, kann es den Arbeitsstress reduzieren und ihr Gefühl persönlicher Effektivität stärken.

Zwar sollen Aversiva in Autismus-ABA kein Thema mehr sein, aber kann man sie ehrlich beiseitelegen? Die gewissenhafte Studie der Rutgers’ Forscher*innen beweist, dass die Intoleranz, die in den falschen Gegensätzen und falschen Gleichungen der Behaviorist*innen lauert, und die emotionalen Darstellungen wie die von Dr. Maurice bis ins Mark der Autismus-ABA-Industrie und ihrer wissenschaftlichen Grundlagen reichen.

Wissenschaftlich begründete Behauptungen oder Glaubenssätze?

Autist*innen können nicht kommunizieren. Autist*innen sind unfähig, von ihrer normalen Umgebung zu lernen. Autistische Verhaltensweisen und Interessen sind nutzlos und falsch. Dies sind einige behavioristische Behauptungen, die im Kern von Autismus-ABA stecken. Während diese Behandlung entwickelt wurde, nahm man an, dass Intelligenz und Autismus, d.h. autistisches Verhalten, selten koexistieren.

Seitdem gab es radikale Veränderungen in den Diagnosekriterien für Autismus und in der Epidemiologie, die sich zu dem Kern behavioristischer Behauptungen über Autist*innen subversiv verhalten. Eine entsprechende Anpassung der Dogmen der Autismus-ABA-Industrie hat nicht stattgefunden; die Dogmen, denen ihre wissenschaftliche Grundlage abhanden gekommen war, bleiben starrsinnig wie Glaubenssätze bestehen.

Wie ich der Verhaltensanalytikerin Gina Green naiverweise aufzeigte, gibt es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass autistisches Verhalten mit Intelligenz, Lernen und Erfolg nicht vereinbar ist. Sie entgegnete, es gebe keinen Beweis, dass sie vereinbar sind. Unbehandelte intelligente Autist*innen sind schlicht Anekdoten, was ihrer Meinung nach bedeutet, dass sie nicht existieren.

Alle Autist*innen, denen ABA vorenthalten wurde, sind per Definition unintelligent, bildungsunfähig und erfolglos, bis solche Behaviorist*innen wie Dr. Green nach ihren eigenen Kriterien beschließen, etwas anderes zu glauben.

Diese Sorte Wissenschaft durchdringt die finanzielle Nötigung und Kosten-Nutzen-Analyse, die die Autismus-ABA-Industrie allgegenwärtig praktiziert. In der populärsten Version stützen Dr. Green und Kolleg*innen ihre Analyse auf die Darlegung der oben genannten Glaubenssätze: Alle Autist*innen, denen ABA vorenthalten wurde, sind eine finanzielle Last für die Gesellschaft; alle Autist*innen, denen ABA vorenthalten wurde, sind eine lebenslange Bürde; alle Autist*innen, denen ABA vorenthalten wurde, leisten nicht den geringsten Beitrag zur Gesellschaft.

Ähnliche Glaubenssätze wurden anderen Gruppen oktroyiert. In der Provinz, in der ich lebe, hätte ich vor 1940 nicht wählen dürfen und vor 1980 durfte ich nicht die Post austragen. Und zwar weil ich – ebenso wie Dr. Green – weiblich bin. Frauen aus Québec wurden nicht um 1940 und 1980 einer Verhaltensmodifikation unterzogen, um intelligent genug zum Wählen zu werden oder ausreichend stark und robust zu werden, um Post auszutragen. Tatsache ist, dass wir uns gar nicht verändert haben. Wir haben nicht irgendetwas bewiesen, was wir nicht schon seit Jahrhunderten bewiesen haben.

Doch plötzlich wurden an uns Qualitäten entdeckt, die wir zuvor nicht hatten.

Nicht zu bemerken, dass Menschen mit Abweichungen Fähigkeiten besitzen und wertvoll sind, weil sie nicht so sind wie diese selbst ernannten Vorbilder des Fähig- und Wertvollseins, ist eine Verweigerung basaler Menschenrechte. Das gilt ebenfalls für das Beharren darauf, dass Menschen mit Abweichungen beweisen sollen – und zwar nach Kriterien derer ohne Abweichungen, d.h. nach Kriterien derjenigen, die diese Abweichungen von vorn herein abwerten –, dass sie fähig und wertvoll sind, dass man sie nicht abwerten und ausrotten sollte.

Ich habe Dr. Green, die ein Standbein der ASAT und des Behaviour Analyst Certification Board[2] ist, naiv vorgeschlagen, dass sie den Eltern verdeutlichen, dass ihr autistisches Kind nicht schwieriger, sondern einfach nur anders ist als ein nicht-autistisches Kind. Sie hat vehement gekontert, dass anders zu sein das Allerschlimmste ist.

Die volle Wucht der Wissenschaft und der Geschichte zusammen beweisen das Gegenteil, und die Verachtung menschlicher Vielfalt wird normalerweise als ein Menschenrechtsproblem gesehen. Das ahndet man üblicherweise mit sozialem, wenn nicht mit rechtlichem Tadel. Anders als wer? Dr. Greens unwissenschaftlicher Glaube wäre nirgends sonst auf Akzeptanz und Respekt gestoßen als im Kontext der Autismus-ABA-Industrie.

Grenzenlose Generalisierung von Intoleranz

Ein weit verbreitetes Resultat der Glaubenssätze der Autismus-ABA-Industrie ist die Zerlegung autistischer Menschen in Serien bizarrer und unangemessener Verhaltensweisen. Ähnlich entmenschlichende Strategien bildeten das Rückgrat der Menschenrechtsverletzungen im Lauf der Geschichte.

Im Autismus-Bereich generalisiert sich diese behavioristische Strategie mühelos und unbehelligt quer durch alle greifbaren Umgebungen und Bevölkerungsgruppen: die Wissenschaftler*innen, die Eltern, die Gerichte, die Journalist*innen, die nächste Generation.

Ein neuer New Yorker Artikel zeigt auf, wie es gemacht wird. Er beschreibt eindringlich die juristischen und logistischen Kämpfe einer Familie, um für ihre zwei autistischen Kinder ABA zu bekommen. Eine rein behavioristische Sicht auf Autismus, früh verinnerlicht sowohl von den Eltern als auch von dem Journalisten, durchdringt diesen Artikel.

Dr. Lovaas’ Arbeit im Autismus-Bereich wird mit unkritischer Verehrung geschildert. Die Eltern sind scharf gezeichnet durch die Beschreibung ihres Martyriums und Leidens, ihre Verzweiflung und Entschlossenheit. Ihre kleine nicht-autistische Tochter ist sofort als Mensch mit Charakter, Bedürfnissen und Rechten erkennbar. Die beiden autistischen Kinder befolgen entweder ihr ABA-Programm oder sie werden als selbstvergessene, gefühllose, monströse Ansammlungen sinnloser und abstoßender Verhaltensweisen wahrgenommen, beschrieben und behandelt. Weder der Journalist noch die Eltern und auch nicht die Verhaltensexpert*innen bieten irgendeine Alternative.

In diesem Umfeld hat die nicht-autistische Tochter eine Krise. Sie hat Angst, sie könnte sich mit Autismus anstecken. Im Handumdrehen bringt man sie zum Psychiater, der seine Fachkenntnis bemüht und ihr versichert, dass Autismus nicht ansteckend ist. Im Endeffekt versichert er ihr, dass sie niemals, unter keinen Umständen so sein wird wie ihr autistischer Bruder und ihre autistische Schwester. Sie schreibt daraufhin diesem Psychiater einen Brief, in dem sie ihn bekniet sich zu beeilen und Autismus zu heilen, bevor die Sonne untergeht, womit sie demonstriert, dass nicht Autismus sich durch Ansteckung überträgt, sondern die Intoleranz.

Dagegen gibt es keine Immunität. Die Menschenrechtskommission von Québec wurde 2001 infiziert und ist es immer noch. Sie beschloss zu intervenieren und die Sammelklage der Eltern zu unterstützen, die behaupteten, dass Autist*innen ohne ABA ein Verhängnis sind.

Extreme behavioristische Ansichten dieser Eltern, im Einklang mit denen von Dr. Green, haben eine genaue Prüfung der Streitpunkte mit Leichtigkeit zurückgeschlagen und haben der Kommission offensichtlich vorgegaukelt, dass Autist*innen, die fähig sind zu denken und frei zu sprechen, nicht existieren.

In ihrer rechtlichen und öffentlichen Position betrachtet diese Menschenrechtskommission Autist*innen als katastrophale Ansammlungen von Defekten – und nicht als Menschen im Besitz von Menschenrechten.

Der Spürsinn und der lustige Zufall

Die Elite der Autismus-ABA-Industrie hat beschlossen, dass Autismus gar nicht existiert. Das ist, wie Dr. Lovaas und seine UCLA Kolleg*innen in ihrem Clarifying Comments Paper von 2000 erklären, eine irreführende Hypothese, die verworfen werden muss.

Was der Verhaltensanalytiker James Mulick einen lustigen Zufall nennt, ist, dass Kanner bei einigen Jungen, die bei ihm in Behandlung waren, Symptome beobachtete und irrigerweise zu dem Schluss kam, dass diese Verhaltensweisen auf einer Grundidee beruhen oder mit einem zentralen Unterschied zusammenhängen. 60 Jahre später hat sich die Idee oder der Unterschied, eine effektive Behandlung oder ein plausibler Grund dafür noch immer nicht materialisiert. Die Schlussfolgerung ist, dass Kanner sich leider geirrt hat (sie sagen nicht, ob sich Asperger gleichermaßen und gleichzeitig geirrt hat), und dass man unangemessenes Verhalten als solches effektiver behandeln kann denn als Teil einer Entität – Autismus –, die nichts anderes ist als ein soziales Konstrukt. Es gibt keine autistischen Menschen – ihre Existenz ist eine unglückliche, sehr verbreitete, kollektive Täuschung. Vielmehr gibt es da Organismen, die inadäquates Verhalten absondern. Sobald das einmal verstanden wurde, kann die Forschung, befreit von falschen Ansichten und unproduktiven Restriktionen, fortschreiten, und bessere Verhaltenstherapien für betroffene Absonderer sind garantiert.

Ignorieren wir mal die kreative Ethik, die es erforderte, dass Dr. Mulick zum Beispiel öffentlich und vor Gericht die wissenschaftlich nachgewiesene Behandlung für eine Diagnose promotet, von der er als nachweisender Wissenschaftler behauptet, dass sie ein wissenschaftlicher Fauxpas sei; schieben wir mal kurz den ethischen Ausfall der fortschreitenden Abtrennung des Verhaltens von den Sich-Verhaltenden beiseite; vergessen wir für einen Moment den ethischen Sumpf des Bestimmens, wer diese vergällten Absonderer sein sollen und wie sie sich zu verhalten haben – was würde mit Nicht-Autist*innen passieren, wenn man sie so behandeln würde?

Ein Junge hat einen abnormen Blick, keinen Blickkontakt, keinen Zeige-Gestus, reagiert nicht auf vertraute Personen, hat rigide Rituale, zu denen Aufstellen und Manipulieren von Objekten gehört, und reagiert unangemessen auf kleine Veränderungen. ABA scheint angezeigt, eher es zu spät ist.

Ich habe einen Fallbericht von einem autistischen Kind gesehen, das ein Jahr in einem ABA-Programm gedrillt wurde, auf etwas zu zeigen, und diese Behandlung weitgehend scheiterte. Der Junge, den ich beschreibe, würde ebenfalls scheitern, Jahr für Jahr, weil er genauso wie der Autist keine Verwendung für Zeige-Gesten, angemessenen Blick oder Blickkontakt hat. Er ist blind. Wissenschaftler*innen, die einen zentralen Unterschied oder ein organisierendes Prinzip, die das Verhalten des Jungen steuern, leugnen, würden keine Bewunderung ernten.

In den frühen 90-ern bekamen drei Kinder mit autistischen Verhaltensweisen die volle ABA-Behandlung von den Besten – einschließlich Dr. Lovaas. Er, Tristram Smith und Morten Klevstrand berichteten 1995 von den Ergebnissen: Die Behandlung war ein totales Desaster.

Das eine Mädchen, das irgendwelche Fortschritte in einem Bereich zeigte, regredierte gleichzeitig in anderen so drastisch, dass die Autor*innen zu verzweifeln schienen.

Kinder, die mit einem niedrigen IQ starteten, waren am Ende nach Tausenden von Stunden intensiver Verhaltensintervention untestbar. Weder wurden sie geheilt noch waren sie ununterscheidbar von ihren zu normalen ernannten Gleichaltrigen.

Einige Jahre zuvor schrieb Dr. Lovaas zurückblickend auf seine Tätigkeit im Autismus-Bereich von den wichtigen Elementen seiner Arbeit. Ein wesentlicher Aspekt war Spürsinn. Bezüglich Autismus führte er im Endeffekt zur spürsinnigen Entdeckung, dass eine intensive erbarmungslose Verhaltensintervention, angewendet an sehr jungen Autist*innen, zu beispiellosem – für jede Art von Kindern – Anstieg gemessener Intelligenz führte. Die Annahmen der Behaviorist*innen über Autismus vorausgesetzt, meinte man, dass diese Intelligenz von Dr. Lovaas kam und nicht von den Autist*innen selbst.

Diese drei Kinder blieben jedoch unbeeindruckt. Sie blieben sich selbst. Sie wurden als autistisch diagnostiziert, die erforderlichen Verhaltensweisen waren offensichtlich am richtigen Platz. Das stellte sich als Fehler heraus: sie hatten das Rett-Syndrom, aber die Behaviorist*innen spürten ihre Chance und machten trotzdem weiter. Sie scherten sich nicht um radikale Unterschiede zwischen dem Rett-Syndrom und Autismus hinsichtlich der Genetik, Anatomie, Entwicklung und Kognition – das Verhalten war autistisch, und autistisches Verhalten war, wie sie wussten, behandelbar.

Mir fiel auf, dass während Dr. Lovaas und Kolleg*innen einen Progress durch natürlichen Lauf der Entwicklung bei Autismus niemals anerkannten, taten sie es in dieser Studie in Bezug auf das Rett-Syndrom. Wie auch immer, der Spürsinn hat nie wieder zugeschlagen. Dr. Lovaas und seine Kolleg*innen haben diese drei Mädchen weder durchschnittlich intelligent gemacht noch haben sie sie dazu gebracht, sich normal zu verhalten.

Die Mädchen mit dem Rett-Syndrom erlebten die tiefgreifende ethische Armut, die üblicherweise für Autist*innen reserviert ist. Abgesehen von dem umfassenden Scheitern ihrer beschwerlichen Behandlung ist es ihnen nicht gelungen, Dr. Lovaas, Dr. Mulick und ihren Nachfolger*innen beizubringen, dass die Autismus-Diagnose respektiert werden muss.

Das Unvermögen der Forscher*innen, ob Behaviorist*innen oder sonstigen, Autismus genau zu definieren, lässt sich nicht plausibel darauf schieben, dass Autismus nicht existiert. Die Evidenz legt stattdessen nahe, dass diese wissenschaftliche Armut mit der ethischen Armut verwandt ist. Die Evidenz legt nahe, dass Autismus weiterhin eine unbekannte Größe bleibt, denn Autist*innen kommen in Forschung und Gesellschaft als Menschen im Besitz von Menschenrechten nicht vor.

Verdienen Autist*innen Ethik?

Es ist Zeit, die Frage zu beantworten, ob Autist*innen in der Autismus-ABA-Industrie und generell in Wissenschaft und Gesellschaft eine ethische Berücksichtigung zusteht. Das sind eigentlich zwei Fragen. Die erste entspringt der ASAT-Position: Ist Ethik schlecht für Autist*innen?

Behaviorist*innen nennen sich häufig Empiriker*innen, um auf ihre Vorliebe für und ihr Festhalten an empirischen Beweisen aufmerksam zu machen. Bei diesen Standards ist die ASAT-Position nicht zu verteidigen. Man kann nicht wissen, was passieren würde, wenn man Autist*innen ethisch behandeln und ihnen die Möglichkeit der Einwilligung geben würde, weil das in der ABA-Forschung und Behandlung, die ASAT promotet, bisher nicht vorgekommen ist.

Die Autismus-ABA-Industrie hat sich noch nie mit den gravierenden ethischen Problemen auseinandergesetzt, die immer entstehen, wenn gewaltige Verhaltenstherapien Klient*innen aufgezwungen werden, die nicht einwilligen können. Bis das passiert, bleibt es gleichermaßen berechtigt einzuwenden, dass ethische Standards nicht nur die Folgen für Autist*innen, sondern auch den Zustand der Wissenschaft verbessern würden.

Die zweite Frage ist, ob Autist*innen Menschen mit Menschenrechten sind. Es gibt alle möglichen Rechte, doch die Menschenrechte sind von allen Menschen beanspruchbar und für alle Menschen essentiell. Auf den ersten Blick lässt sich diese Frage mit Fakten nicht erörtern. Ich bin unbehandelt und als autistisch diagnostiziert. Wie beweise ich, dass ich ein Mensch bin? Und sollte ich das überhaupt beweisen müssen?

Auf den zweiten Blick stützt sich die Antwort darauf, was mit Menschen passiert, denen man Menschenrechte verweigert. Historisch gesehen war es mühselig, teuer und letztendlich nutzlos, Personen zu erforschen und Therapien für die zu entwickeln, die keine Menschenrechte haben. Die Wissenschaft hat zudem eine belastete Vergangenheit mit dem Hervorzaubern von Experimenten, Beweisen und Daten, um zu beweisen, dass herrschende Vorurteile berechtigt sind. Wir haben nicht viel über Frauen erfahren, bis Frauen Menschen mit Menschenrechten geworden sind.

Stattdessen erfuhren wir etwas über die Forscher*innen und die Gesellschaften, die sie bedienten. Vergangene Bemühungen, zahlreiche Defekte der Weiblichkeit zu behandeln, sehen heute grotesk und verachtenswürdig aus. Dasselbe gilt für die Erforschung und Behandlung verschiedener Rassen, Fähigkeiten und Orientierungen, bevor sie als Wesenszüge von Menschen mit Menschenrechten anerkannt wurden.

Nachdem all die auffallend nicht-empirischen falschen Gleichungen, falschen Gegensätze und Glaubenssätze der Behaviorist*innen beiseite gedrängt wurden, sagt die wirkliche Evidenz voraus, dass egal wie gewissenhaft die Wissenschaftler*innen in jeder anderen Hinsicht auch sein mögen, wenn den Menschen, die sie erforschen und behandeln, Menschenrechte verweigert werden, kann diese Forschung und Behandlung weder als ethisch noch als wissenschaftlich angesehen werden. Ferner ist die Auswertung der wissenschaftlichen Validität oder des Erfolges der Ergebnisse dieser Art von Wissenschaft unmöglich.

Teil 3: Eine kurze Liste besonderer ethischer Herausforderungen

Zurück zu Aversiva oder die Ethik von 47%

Ohne die Dr. Lovaas’ berühmten 47% wäre Autismus-ABA kaum eine Industrie geworden. Von den Einwänden gegen diese Zahl, die in den Medien und in Gerichten, von Forscher*innen, von Autismus-Verbänden und von Interessengruppen wie ein Evangelium verkündet wurde, war keiner effektiv und keiner betraf Ethik.

47% repräsentiert die besten Ergebnisse der Studie von Dr. Lovaas aus dem Jahr 1987 – die neun von 19 autistischen Kindern im Vorschulalter aus seiner Experimentalgruppe, die für zwei und mehr Jahre 40 Wochenstunden ABA durchgemacht haben. Am Ende der Therapie wurde berichtet, dass sie geheilt wurden und ununterscheidbar von durchschnittlichen Gleichaltrigen geworden waren. Sie behielten dieses Ergebnis während der Testreihe der Verlaufskontrolle von 1993 bei. Von den 40 Kindern in zwei verschiedenen Kontrollgruppen, von denen die erste Gruppe 10 Wochenstunden ABA bekam und die zweite aus bestehenden Fällen in der Community rekrutiert wurde, war 1987 nur ein Kind nach den Testergebnissen geheilt.

Dieses Forschungsdesign machte Dr. Lovaas in der Auseinandersetzung um die Placebo-Variablen angreifbar, denn es war unmöglich herauszufinden, welcher Teil des Experimentes – wenn überhaupt einer – der wirksame war.

Um Abhilfe zu schaffen, führte er eine Studie-in-einer-Studie durch, um zu bestätigen, dass eine Komponente der Behandlung der Wirkstoff war. Die ausgewählte Komponente, die in der Hauptstudie nur bei der Experimentalgruppe zum Einsatz kam, wurde in der internen Studie bei vier Kindern der Experimentalgruppe und vier aus der Kontrollgruppe manipuliert. Ohne diese Komponente waren die Verbesserungen im Verhaltens laut Beschreibung von Dr. Lovaas klein, instabil und unzureichend. Die Einführung dieser Komponente führte zu plötzlichen und stabilen erwünschten Veränderungen bei Versuchspersonen der Experimental- und der Kontrollgruppe unabhängig von der Umgebung.

Diese Komponente war die Anwendung eines Aversiva-Kontingents.

In ihrer ethischen Armut, gepaart mit unredlicher Forschung, hat die Autismus-ABA-Industrie die Bedeutung der Aversiva beim Erzielen der berühmten 47% heruntergespielt und sogar bestritten. Die Wichtigkeit und Wirksamkeit der Aversiva wird eigentlich in der Studie von Dr. Lovaas aus dem Jahr 1987 hervorgehoben – der einzige wissenschaftlich nachgewiesene Wirkstoff, der abgesehen von o.g. Intra-Subjekt-Replikationsdesign[3] bei Kontrollpersonen nicht angewendet wurde. Dessen ungeachtet werden die Fakten aus der Dr. Lovaas’ Studie weiterhin bestritten und die Missachtung der Folgen dieses Leugnens ebenfalls.

Zum Beispiel Glen Sallows, ein ehemaliger Student von Dr. Lovaas, der das Tochterunnternehmen (Wisconsin Early Autism Project) eines YAP[4]-Replikations-Standorts leitet, bestätigt in seinen Schriften die Ansicht, dass Aversiva für Dr. Lovaas’ Ergebnisse von 1987 bedeutungslos waren. Dr. Sallows vertritt somit – wie viele andere – die Position, dass während Dr. Lovaas’ Wissenschaft in jeder anderen Hinsicht exzellent ist, sein Forschungsdesign und die Schlussfolgerungen bezüglich Aversiva vollkommen falsch sind.

Und wenn Dr. Sallows und die vielen anderen ihre Ethik ernst nehmen, müssen sie zugeben, dass Dr. Lovaas all diese Kids umsonst und unnötigerweise verletzte, da er beschloss, Aversiva zu nutzen und ihre Nutzung hervorzuheben, anstatt die gleichermaßen wirksame und verfügbare Option – die Behandlung ohne Aversiva – zu prüfen.

Die Position von Dr. Lovaas selbst bleibt die gleiche wie in seiner Studie von 1987. Dass Aversiva neuerdings rechtswidrig sind (in vielen Gesetzgebungen einschließlich Kalifornien) und aus ABA konsequent zurückgenommen wurden, ist laut Aufsatz Clarifying Comments (2000) der Grund dafür, dass seine Ergebnisse von 1987 nicht repliziert worden sind.

Diese Position hat es in die Entscheidung der Richterin Allan im Auton-Fall geschafft, wobei die Richterin weder ihre wissenschaftlichen noch ihre ethischen Konsequenzen beachtete. Als ich 2003 mit Dr. Lovaas sprach, gab er offen zu, dass es deutlich schwieriger wäre, die Ergebnisse ohne Aversiva zu erzielen.

Dr. Smith stimmte zu, als ich die spektakulären Ergebnisse von Dr. Lovaas – im Gegensatz zu viel bescheideneren Resultaten von Dr. Smith – der Anwendung der Aversiva zuschrieb, statt einem anderen, für diese Wissenschaftler*innen offenbar bedeutenderen, Faktor wie Randomisierung.

Wer für Autismus-ABA wirbt, hat einige Wahloptionen, wie man mit Dr. Lovaas’ Ergebnissen umgeht. Erstens, sie können diese 47% mit dem Vorbehalt nutzen, dass dieses Ergebnis unter Verwendung der Aversiva zustande kam, und es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass es ein Resultat der Aversiva ist und ohne sie laut Forschungsleiter und Forschungsdesign kaum zu erreichen ist.

Das scheint eine faire und ethisch neutrale Position zu sein, aber das ist sie nicht. Die Aufmerksamkeit wird auf die Wirksamkeit der Aversiva gelenkt, die in Kanada und in anderen Gesetzgebungen immer noch legal sind.

Das macht ihre Anwendung aus pragmatischer Sicht attraktiv und deshalb verlockend für Eltern, Fachkräfte und Regierungen, die optimale Verhaltens- und finanzielle Resultate erzielen wollen. Eltern oder Regierungen, die knapp bei Kasse sind, könnten darauf verweisen, dass bei dem Intra-Subjekt-Replikationsdesign mit Aversiva angeblich ähnliche Resultate (plötzliche und stabile Besserung) erreicht werden sowohl bei Testpersonen mit 40 Wochenstunden wie auch bei Kontrollpersonen mit 10 Wochenstunden.

Vor dem Hintergrund, dass Nicht-Autist*innen laut Rutgers’ Studie ohnehin geneigt sind, bei der Anwendung von Aversiva an Autist*innen Befriedigung zu empfinden, ist die Annahme einer Position, die Aversiva noch attraktiver macht, ethisch nicht vertretbar.

Die zweite Option ist, weiterhin Lovaas’ 47% zu nutzen, ohne über Aversiva Rechenschaft abzulegen.

Behaviorist*innen, die sich für diesem Weg entscheiden, werden wie Dr. Sallows auf das ethische Problem stoßen, dass willkürliches und systematisches Verletzen von Kindern, die es per Definition nicht einwilligen können, die Ultima ratio ist. Ein Kind im Operationssaal aufzuschneiden, ist zum Beispiel nur erlaubt, wenn es keine Alternativen gibt.

Wenn Dr. Lovaas’ 47 % minus Aversiva gilt, dann haben sich Dr. Lovaas und alle anderen, die in Entscheidungen bezüglich dieser Studie beteiligt waren, unethisch verhalten. Sie beschlossen, Kinder zu verletzen, während andere Optionen verfügbar waren und ungeprüft geblieben sind.

Ferner ist die Bedeutung der Aversiva in der Studie von Dr. Lovaas gut dokumentiert. Sowohl die Doktorarbeit wie auch das Paper, präsentiert auf der Tagung der Association for Behaviour Analysis, werden von Dr. Lovaas als Beschreibung der erfolgreichen Anwendung von Aversiva in seinem Intra-Subjekt-Replikationsdesign zitiert.

So zu tun, als wären Aversiva unbedeutend und irrelevant, ist in diesem Kontext unehrlich, unwissenschaftlich und unethisch.

Es bleibt die dritte Option, die vollkommen ethisch ist. Behaviorist*innen, die für Autismus-ABA werben, könnten es tun, ohne sich auf Dr. Lovaas’ beunruhigende Studie und ihre 47 %-ige Erfolgsrate zu berufen.

Andere Gruppenstudien, allesamt mit schwächeren Designs und/oder Resultaten, sowie handverlesene Fallstudien könnten daraufhin geprüft werden, ob sie genügen, um aus ABA einen juristischen und wissenschaftlichen Fall zu machen, und nicht wie es derzeit allgemein gemacht wird in Verbindung mit und in Abhängigkeit von Dr. Lovaas’ Studie.

Gerichtsprozesse wie Auton, Medienberichte wie der im New Yorker, in der New York Times, im Globe and Mail und Auseinandersetzungen der Interessengruppen wie FEAT-Gruppen, ASAT und Autismus-Verbände, deren Dreh- und Angelpunkt Dr. Lovaas mit seinen beispiellosen und nicht nachgemachten Resultaten ist, würde es nicht länger geben.

Behaviorist*innen in all ihrer Vielfalt haben sich vorwiegend für die zweite Option entschieden. Diese Option ist wissenschaftlich und ethisch unhaltbar. Mit dieser Wahl verletzen sie die Regeln, die sie verkörpern wollen. Diese Sorte Verhalten, das über die Zeiten und unabhängig von Umgebung aufrecht erhalten wird, kann man nur als inadäquat, unangemessen und unverzeihlich bezeichnen.

Bestimmen, wie Autist*innen sich verhalten sollen

Gegen ABA zu argumentieren, ist schwer. Ihre behavioristischen Prinzipien werden bei allen möglichen Kindern angewendet, um ihnen basale Fertigkeiten beizubringen. Als eine intensive Intervention gilt ABA einstimmig als eine mächtige Therapie. Im Fall von Autismus hat sie den besonderen Vorteil, dass sie von dem erwachsenen Umfeld des autistischen Kindes ein konsistentes – statt emotionales und willkürliches – Verhalten gegenüber dem Kind abverlangt. Und sicherlich gibt es Evidenzen, dass autistische Kinder mit der Zeit und Anstrengung auf diese Weise Fertigkeiten erlernen können.

Wo ABA einer genauen Überprüfung bedarf, ist, wenn ihre Macht dazu benutzt wird, kauzige Verhaltensweisen zu beseitigen, die für Autist*innen nützlich und wichtig sein können (wie schaukeln, flattern und analytisches statt soziales oder fantasievolles Spielen), und typische, den Erwartungen entsprechende, Verhaltensweisen aufzuzwingen, die für Autist*innen stressig, schmerzhaft oder sinnlos sein können (wie z.B. auf etwas Zeigen, geteilte Aufmerksamkeit, angemessener Blick und Blickkontakt).

Wenn eine mächtige Verhaltenstherapie an Klient*innen angewendet wird, die nicht einwilligen können, sollte die ethische Frage gestellt werden, welches Verhalten zu behandeln ist. Stattdessen verkündet Autismus-ABA das Ziel: ein geheiltes und von durchschnittlichen Gleichaltrigen ununterscheidbares Kind.

Gesellschaften und Wissenschaftler*innen haben in der Vergangenheit schwerwiegende Fehler begangen beim bestimmen, welche Art von Menschen akzeptabel ist, und welche Verhaltensweisen hartnäckig behandelt werden sollen. Menschen mit Abweichungen wurden geächtet, dann zu ihrem eigenen Wohl in obligatorische Behandlungen gezwungen: Linkshänder*innen, Homosexuelle und viele andere.

Gesellschaftliche und wissenschaftliche Annahmen darüber, was Freiheit und Integrität für behinderte Menschen ausmacht, waren häufig falsch. Es gibt keinen Grund zu glauben, dass unsere Gesellschaft und ihre Wissenschaftler*innen gegen diese Fehler ausnahmsweise immun sind.

Was Autismus angeht, weiß niemand, was den zentralen Unterschied oder das Defizit ausmacht. Kein*e Forscher*in kann behaupten zu wissen, welches Verhalten in Bezug auf diesen unbekannten zentralen Unterschied adaptiv oder maladaptiv ist.

Kein*e Forscher*in weiß oder hat es je erforscht, in welchem Ausmaß unangemessene autistische Verhaltensweisen mit außerordentlichen autistischen Fähigkeiten verwickelt sind und zu diesen beitragen. Kein*e Forscher*in weiß oder hat sich darum geschert, die Unterschiede zu erforschen zwischen (mit ABA) behandelten und geheilten Autist*innen und (mit ABA oder sonstigem) unbehandelten diagnostizierten Autist*innen, die nicht geheilt sind und deren Leben, obwohl sie durchaus auffällig sind, Bildung, Erfolg, Intelligenz und Selbstbestimmung umfasst.

Behaviorist*innen wie Dr. Green bestehen darauf, dass so etwas wie diese zweite Sorte Autist*innen nicht existiert.

Diese ethischen und menschenrechtlichen Aspekte von Autismus-ABA wurden nicht angesprochen, und Autist*innen wurden aus allen Kommissionen, Ausschüssen, Ämtern etc. ausgeschlossen, die mit Entwicklung, Leitung und Begutachtung von ABA-Forschungs- und -Behandlungsprogrammen betraut sind. Behaviorist*innen haben die Freiheit, ihrer Annahme weiterzufolgen, dass autistische Verhaltensweisen – z.B. die Art, wie wir uns bewegen oder wie wir spielen – aufgrund ihrer Abweichung von nicht-autistischen Verhaltensweisen sinnlos und wertlos sind.

ASATs Informationsbibliothek berichtet beifällig von ausgefeilten Verhaltensinterventionen, die dazu gedacht sind, autistisches Verhalten zu beseitigen. Zum Beispiel wird das ganze ABA-Repertoire eingesetzt, um Autist*innen daran zu hindern, mit den Händen zu flattern, wenn sie allein sind.

Ich gebe zu, dass autistisches Verhalten hartnäckig fortbesteht, wenn Autist*innen unbeaufsichtigt sind. Als ich Dr. Sallows sagte, dass ich mit den Händen flatterte, musste ich ihn umgehend beruhigen, dass ich es nicht in der Öffentlichkeit tat. Dann wies ich darauf hin, dass allen möglichen Menschen, so lange sie nicht autistisch sind, gestattet ist, sich in der Öffentlichkeit ihren Besonderheiten entsprechend zu benehmen. Aber es ist nicht erlaubt, mit einem Gewehr durch die Straßen zu rennen, erwiderte Dr. Sallows. Doch, das ist es, wenn man Polizei ist, sagte ich, und fügte hinzu, dass zum Beispiel blinde Menschen mit weißen Stöcken herum wedeln oder Hunde ins Restaurant mitnehmen dürfen. Aber die sind blind, antwortete Dr. Sallows.

Verhaltensanalytiker*innen haben die Einwilligung der Eltern immer für ausreichend gehalten, um ein autistisches Kind in ein Programm aufzunehmen, das nicht dazu dient, das Kind zu bilden, sondern dieses Kind in eine andere Sorte Kind zu verwandeln.

In ihrer Kritik zur Arbeit von Dr. Lovaas mit femininen Jungen bemerkten Dr. Baer und seine Kolleg*innen, dass die Einwilligung der Eltern nicht immer ausreicht, um ein Kind oder die Gesellschaft zu schützen: ein Prozess einer ethischen Überprüfung wurde als notwendig erachtet, um Interessen abzuwägen und Schaden zu reduzieren. Interessenkonflikte, die entstehen, wenn Eltern in eine Modifikation ihrer Kinder einwilligen, um sie ihren Wünschen anzupassen, wurden in anderen Bereichen anerkannt.

Eltern, die auf einer Operation für ein Kind mit Down-Syndrom bestehen, um ihr Bedürfnis nach einem Kind mit einem unauffälligen und Stigma-freien Erscheinungsbild zu befriedigen, würden auf ethische Einwände stoßen. Diese Einwände würden exponentiell wachsen, wenn Eltern en masse fordern würden, dass die Kosten solcher Maßnahmen von der Öffentlichkeit getragen werden sollen.

Eltern von Kindern mit uneindeutigem Geschlecht haben üblicherweise für diese Säuglinge das Geschlecht willkürlich ausgewählt und ihnen ihre Wahl durch Operationen aufgezwungen. Inzwischen ist das nicht immer der Fall. Die Tendenz, dass diese Kinder die Entscheidung der Eltern und der Chirurgen in der Adoleszenz rückgängig machen, ist offensichtlich geworden. Das Bedürfnis der Eltern nach einem unauffälligen Kind gilt heute als zweitrangig hinter dem Bedürfnis des Kindes nach Integrität und Selbstbestimmung. Ob man sich für ein Geschlecht entscheidet und wenn ja, für welches, sind Entscheidungen, die aus heutiger Sicht dem Kind zustehen.

Als Antwort auf die Bedenken, die in vergangenen Jahrzehnten hinsichtlich ABA geäußert wurden, fabrizierte und veröffentlichte 1988 eine Gruppe der Verhaltensanalytiker*innen einschließlich Dr. Lovaas ein einflussreiches Positionspapier mit dem Titel The Right to Effective Behavioural Treatment[5].

Autorisierte Vertretungen gelten als qualifiziert, Entscheidungen über Behandlungsziele und -methoden ohne Zustimmung von Klient*innen zu fällen. Es gibt Situationen, in denen die Autor*innen eine Beurteilung durch Kolleg*innen und Menschenrechtskommissionen für notwendig erachten.

Das ist gegeben, wenn Vorenthaltung oder Durchführung der Behandlung potentielle Risiken beinhaltet. Das Wort Risiko ist nicht definiert und erstreckt sich nicht notwendigerweise auf die Behauptung der Autismus-ABA-Industrie, dass Autist*innen ohne ABA ein Verhängnis sind. In jedem Fall hat unter Verhaltensanalytiker*innen noch keine Begutachtung der Kolleg*innen dazu geführt, dass Rechte von Autist*innen respektiert wurden, und die von Autor*innen vorgeschlagene Menschenrechtskommission (Verbraucher*innen, Anwält*innen und andere interessierte Bürger*innen) ist beauftragt, gesellschaftlicher Maßstäbe anzulegen.

Gesellschaftliche Maßstäbe, entwickelt von und für eine nicht-autistische Gesellschaft, führten zu unserer Herabwürdigung und Ablehnung als Konsument*innen, Anwält*innen und Bürger*innen. Das ist die selbe Intoleranz, die unter Behaviorist*innen, in ihrem Umfeld und in der behavioristischen Sichtweise von Autismus floriert.

Ethische Beurteilung und Beaufsichtigung hätte in der Entwicklung und Anwendung von Autismus-ABA stattfinden sollen. Dass sie nicht stattfand und immer noch nicht stattfindet, ist ein weiterer Beleg dafür, dass unbeaufsichtigte Behaviorist*innen anfällig für Intoleranz gegenüber Autist*innen sind.

Würde die Autismus-ABA-Industrie Wissenschaft und Menschenrechte ernst nehmen, hätte es einen Prozess der ethischen Beurteilung gegeben, in dem man Autist*innen aufsucht, einlädt und beteiligt. Ein ununterscheidbares Kind als Ziel wäre verworfen und ersetzt durch eine objektive Untersuchung aller Verhaltensweisen. Man würde herausfinden, dass autistisches Verhalten vereinbar mit Bildung, Intelligenz und Leistung ist, und dass diese Verhaltensweisen, wie anders sie auch sein mögen, gewürdigt werden.

Die Gesellschaft würde die Botschaft erhalten, dass es in Ordnung ist, autistisch zu sein, und dass es für einen autistischen Menschen in Ordnung ist, anders als ein durchschnittlicher Mensch zu sein.

Autistische Intelligenz versus nicht-autistische Intelligenz

Es gibt Autist*innen mit einem IQ von 47 und Autist*innen mit einem IQ von 150. Teilt man diese Punktezahlen in ihre Teilkomponenten auf, erscheint ein einzigartiges und charakteristisches Intelligenzprofil von Autismus (Asperger-Syndrom hat ein eigenes Profil) quer durch alle Intelligenzgrade. Es ist falsch, wenn man sagt, dass sich autistische Menschen von nicht-autistischen im Grad der Intelligenz unterscheiden, außer dass die Bandbreite bei Autist*innen außerordentlich ist. Korrekt wäre zu sagen, dass bei Autist*innen die Art der Intelligenz eine andere ist.

Die Leistungsspitzen, die in autistischer Intelligenz offensichtlich sind, finden bei nicht-Autist*innen keinen Äquivalent, weder in der Form noch in der Art der Leistung. Dann setzten Autist*innen diese Spitzen in Bruchstücke von Fähigkeiten und manchmal in Savant-Begabungen um. Alles, was für Autist*innen nötig zu sein scheint, ist die richtige Sorte und Menge von Material, um damit zu arbeiten. Diese Art Weiterentwicklung hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit nicht-autistischen Lernstilen, und die Resultate, die Sachkenntnis umfassen und überbieten, sind überhaupt nicht vergleichbar mit Sachkenntnis, die nicht-autistische Menschen, egal wie begabt, durch Lernen und Praxis erwerben.

Die Schichtung autistischer IQs zeigt, dass die Leistungsspitzen mit den Werten der Basislinie, dort wo sie keine Spitzen hat, folgendermaßen verbunden sind: je höher die Basislinie, desto höher die Spitzen. Keine Ursachen und Folgen können aus diesem Befund hergeleitet werden, aber wenn ich schlussfolgere, dass Profile, die am autistischsten sind, mit dem höchsten Niveau der Allgemeinen Intelligenz übereinstimmen, gibt es keine Evidenz, die mir widersprechen könnte. Meistens haben sich die Forscher*innen von Erforschung der autistischen Intelligenz ferngehalten und für das oben Ausgeführte wenig Interesse gezeigt (abgesehen von Neugier für Savants).

Intelligenz ist das größte Problem in Autismus, sagte mir Dr. Mulick in Bezug auf behavioristische Prioritäten, aber er und seine Kolleg*innen haben es wie alle anderen vermieden, sich mit autistischer Intelligenz herumzuschlagen. So kennt niemand das Wesen der mentalen Retardierung bei Autismus. Forscher*innen haben zu diesem Thema nichts zu sagen und sie können auch nicht sagen, ob mentale Retardierung bei Autist*innen ein Fakt oder ein Artefakt ist. Das hat niemanden daran gehindert, Autist*innen nach einem Intelligenzgrad, von dem niemand irgendetwas weiß, zu klassifizieren und zu unterteilen.

Behaviorist*innen brauchen nichts über Intelligenz oder über Autist*innen zu wissen, um sich an die Arbeit zu machen. Alles, was sie wissen müssen, sind Prinzipien des Behaviorismus und wie sich ein Organismus, in diesem Fall eine Person, verhalten soll. Ein glücklicher Zufall mag kommen oder auch nicht. Dr. Lovaas folgerte aus seiner Arbeit, dass Autist*innen unter sehr speziellen Bedingungen fähig sind, wie andere Organismen zu lernen, d.h. nach den Prinzipien der operanten Konditionierung.

Aber 1994 beschreibt er in einem Interview zwei kleine autistische Jungs (einen mit einem IQ unter 50), die lernen und Aufgaben erfüllen weit über dem Niveau, das ihrem Alter entspricht, obwohl das ihnen kaum oder gar nicht beigebracht wurde.

Da hätten drängende Fragen über autistische Intelligenz aufkommen müssen, welcher Art sie ist und wie sie gemessen und gefördert werden kann.

Doch stattdessen wiederholt er immer, dass ABA ein langsamer, arbeitsaufwändiger, mühseliger Prozess ist, bei dem jeder Schritt durch harte Arbeit verdient werden muss und der Progress schrittweise erfolgt. Er wiederholt immer wieder, dass ein Kind alles durch expliziten Drill lernen muss, und leugnet, dass Lernen passiert oder dass Kenntnisse auch anders erworben werden.

Dr. Lovaas hatte Recht mit dem offenkundigen Widerspruch. Autist*innen können, was Nicht-Autist*innen nicht können, wir machen das regelmäßig und wir tun es durch implizites Lernen, das er ganz gut beschrieben hat für jemanden, der nicht daran glaubt. Er hat auch Recht damit, dass Autist*innen explizit lernen können, aber wir sind dafür so schlecht ausgestattet, dass die Prozedur genau so mühsam ist wie er beschreibt.

Explizites Lernen, das wir peinlich genau erwerben, haftet rigide an und, wie Dr. Lovaas bemerkte, überträgt sich nicht auf andere Verhaltensweisen und Umgebungen. Muss ein*e Autist*in explizit lernen, dann muss jedes Verhalten in jedem Setting eingeübt werden. Dagegen protestieren Autist*innen. Unsere Leistungsspitzen und Splitter und Savant-Neigungen verraten uns als implizit Lernende, und es ist nicht verwunderlich, dass wir bestochen – oder noch effizienter: geschlagen – werden müssen, um etwas zu tun, was wir am wenigsten können.

Dieser entsetzliche Krawall der ersten ABA-Wochen lässt sich nicht damit plausibel erklären, dass Autist*innen aus ihren mutmaßlichen privaten Welten heraus gezerrt werden. All dieses Weinen und Schreien und Weglaufen ist viel offensichtlicher Lärm und Aufruhr eines Kindes, das gezwungen wird, eigene Stärken aufzugeben.

Das bleibt eine Hypothese, bis es autistischer Intelligenz gelingt, einer Erforschung würdig zu werden, aber da ist noch dieses Problem mit den Autist*innen, die laut Dr. Green nicht existieren. Nicht mal ein*e Behaviorist*in zeigte Interesse zu erforschen, wie im Alter von zwei-drei Jahren korrekt diagnostizierte Autist*innen ohne Behandlung Sprache entwickeln, wenn auch spät, und normale oder überdurchschnittliche gemessene Intelligenz, obwohl sie das übliche Spektrum autistischer Verhaltensweisen haben.

Wenn es diesen Entwicklungsverlauf, den, wie vorherzusehen war, Dr. Lovaas fälschlicherweise spontane Heilung nannte, nicht gäbe, gäbe es keine high-functioning Autist*innen. Wir sind im Alter von vier Jahren nicht zu unterscheiden von Autist*innen, deren Entwicklung nicht zu typischer Sprache und normaler gemessenen Intelligenz führt. Intelligenz zu messen bei Kindern, die nicht sprechen, ist eine ungenaue Wissenschaft, und es ist unmöglich, bei einer frühen Diagnose Autist*innen zu unterscheiden, die ohne Hilfe hochfunktional werden, von solchen, die es nicht werden.

Autist*innen, die ihre Diagnosen beibehalten, lernen mit Sicherheit irgendwie, ohne 40 Wochenstunden explizit gedrillt zu werden. Wir lernen andere Sachen in einer anderen Art aus anderen Gründen und mit anderen Ergebnissen, und all das ergänzt sich auffallenderweise mit nicht-autistischem Lernen und Leistung. Hier ist nicht der Ort, um auszuarbeiten, wie die Verhaltensweisen, die wir beharrlich behalten, und die, bei denen wir immer wieder daran scheitern, sie zu erlangen, mit dieser Kette von Unterschieden zusammenhängen.

Hier ist der Ort, um festzustellen, dass es unethisch und unwissenschaftlich ist, unbehandelte Autist*innen a priori für unintelligent und lernunfähig zu halten, nur weil unsere Intelligenz und unsere Art zu lernen nicht typisch sind. Die Annahme, Autist*innen hätten in ABA-Programmen nichts zu verlieren und alles zu gewinnen, stimmt mit der Evidenz nicht überein und würde eine ethische Prüfung nicht überstehen.

Die Hektik zu immer früheren Diagnosen und Interventionen, begründet durch Plastizität eines jungen Gehirns, die ausgenutzt werden kann, um jede Spur von Autismus aus dem Kind und letztendlich aus der Gesellschaft zu tilgen, verstößt gegen die Prinzipien der Wissenschaft und des ethischen Verhaltens.

Bestes Ergebnis, schlimmstes Ergebnis

Eltern rekrutierten Anwält*innen und Verhaltensanalytiker*innen und gingen in hellen Scharen an die Medien, ins Internet, in Schulbehörden, Konferenzen, Regierungen, Menschenrechtskommissionen und Gerichte. Sie waren gründlich. Überall insistieren sie, dass Autist*innen – mit unserer falschen und nutzlosen Kommunikation, unseren falschen und nutzlosen Kenntnissen, unseren falschen Stärken und falschen Schwächen, unseren falschen und nutzlosen Bewegungen und Spielen und mit unserer falschen und nutzlosen Intelligenz – ein Verhängnis sind, und nicht nur einfach ein Verhängnis, sondern ein kostspieliges, exorbitantes Verhängnis zum großen Schaden für die Öffentlichkeit.

Die einzige Hoffnung, sagen sie, die einzige Flucht aus diesem schweren Schicksal ist ABA. Mit ABA wird der*die Autist*in lernen wie Nicht-Autist*innen zu lernen, dann zu funktionieren, zu spielen, sich zu bewegen, zu kommunizieren und zu denken, wie wir denken sollten, wie Nicht-Autist*innen denken. Das nennt man das beste Ergebnis, und das Sehnen danach hat eine ganze Industrie erzeugt.

Die Litanei der autistischen Unrichtigkeit und Nutzlosigkeit ist keine Übertreibung behavioristischer Sichtweisen, sondern einfach eine Zusammenstellung von mir. Eltern und die Industrie stellen ihre Anforderungen und sind beim massiven Verbreiten von Diffamierungen autistischer Menschen auf keine Opposition gestoßen.

Das war eine erfolgreiche Strategie, ihren finanziellen und sonstigen Bedarf zu decken. Um weiter zu wachsen, zu gedeihen und von der Öffentlichkeit bezahlt zu werden, hat die Autismus-ABA-Industrie das nicht-autistische Entsetzen und Grauen vor Autismus und Autist*innen erst verstärkt, dann ausgebeutet. Eltern und ihre Industrie vermarkteten Autist*innen als wertlose Kräfte persönlicher, sozialer und finanzieller Verwüstung. Sie bedienten sich der Effekthascherei sowie der emotionalen und finanziellen Erpressung und sie wurden gepriesen und umsorgt. Die Industrie – zu der auf ABA-Fälle spezialisierte Anwält*innen und der Dr. Sallows-Konzern mit 800-Angestellten gehören – wuchs und prosperierte.

Auton ist eine offizielle, beständige und fortdauernde behavioristische Kompilation der autistischen Unrichtigkeit und Nutzlosigkeit. Die einzigen Sichtweisen auf Autismus, die hier repräsentiert werden, sind die behavioristischen Kläger*innen, die sagen, dass wir ohne ABA ein Verhängnis sind, und die Regierung, die sagt, dass wir in jedem Fall ein Verhängnis sind. Auton kann man als eine Versammlung der Autismus-ABA-Industrie und der Eltern betrachten, des Angebots und der Nachfrage, samt einflussreicher Komplizenschaft des unethischen Widerspruchs.

In diesem Kontext ist das vollkommene Fehlen von Autist*innen einfach nur akkurat. Wir wurden auf dem ganzen Weg zum Obersten Gerichtshof geächtet, und es ist noch nicht vorbei.

Beim Obersten Gerichtshof im Auton-Fall wird wieder die Information verbreitet, dass nur ein*e von 64 Autist*innen ohne Behandlung irgendeine Besserung zeigt, und fast alle von uns in Heimen verwelken. Sowohl in dem Beschluss der Richterin Allan wie auch mit Nachdruck im Berufungsbeschluss werden diese Fakten mit vielen anderen Verurteilungen auf das gesamte autistische Spektrum übertragen. Ich habe die eine*r-von-64-Studie gelesen, die bezieht sich auf Patient*innen in den 50-er Jahren, die als psychotisch beschrieben wurden, und wird jetzt auf unredliche Weise benutzt. Unredlich ist keine ausreichende Beschreibung für einen neuen Bericht in den Auton-Anträgen vor dem Obersten Gerichtshof, in dem ein behavioristischer Experte schwört, dass musikalisches Talent bei Autist*innen, die nicht Konformität und Gehorsam durch ABA gelernt haben, verschwendet sei.

Bei der Autismus-ABA-Industrie wie auch in Auton werden Fähigkeiten und Wert autistischer Menschen auf vielfältige Weise geleugnet. Unsere Möglichkeiten und das Potenzial von Autist*innen werden ebenso geleugnet, und diese Glaubenssätze werden als Wissenschaft verkleidet und als Wahrheit verkauft. Sie sind keine Wissenschaft. Sie sind Menschenrechtsverletzungen, und Tag für Tag leiden Autist*innen unter ihren Folgen.

Meine vierte Herausforderung an die Autismus-ABA-Industrie lautet: Ich fordere Behaviorist*innen auf, einzusehen, dass Menschenrechtsverletzungen nicht nur ihre Opfer schädigen und vernichten. Sie schädigen auch diejenigen, die sie begehen. Menschenrechtsverletzungen kompromittieren eure Arbeit, trüben eure Wissenschaft und unterminieren eure Glaubwürdigkeit. Sie säen Zweifel in euren Erfolgen und stellen eure Menschlichkeit in Frage. Ihr habt beschlossen, uns unsere Rechte zu verweigern und unseren Wert zu negieren, damit ihr bekommt, was ihr wollt – und das führt zu dem schlimmsten Ergebnis für jede*n.

Fazit: Das Recht auf effektive Ethik

Behaviorist*innen sind bei weitem nicht die einzigen Nicht-Autist*innen, die Autist*innen verunglimpfen und ausgrenzen mit dem Ziel, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Autismus-ABA wurde nur halbherzig hinterfragt von Wissenschaftler*innen, die andere Autismus-Theorien und -Behandlungen promoten. Der Grund ist, dass sie keine ethischen Herausforderungen mit einer wirkungsvollen Kritik gegen Autismus-ABA anbringen können, wo sie selbst solchen Herausforderungen nicht gewachsen sind.

Kognitionswissenschaftler*innen, die teure Technologien zur Verifikation von Autismus-Klischees einsetzen oder mental retardierte Autist*innen über Bord werfen, weil sie unbequem für ihre Theorien sind, würden kaum die Behaviorist*innen so unter die Lupe nehmen, wie sie sich selbst nicht unter die Lupe nehmen wollen. Sicherlich haben die sich überlappenden Impfgegner-, Schwermetallvergiftung-, Defeat Autism Now Fraktionen mit ihrer Rhetorik die Übergriffe der Behaviorist*innen übertroffen.

Doch die Behaviorist*innen haben mehr Verantwortung als andere Wissenschaftler*innen oder sonstige Personen, die im Autismus-Bereich arbeiten. Sie benutzten die Wörter wissenschaftlich nachgewiesen und medizinisch notwendig und haben sie der Öffentlichkeit mit Erfolg aufgedrängt. Diese Wörter sind nicht einfach Adjektive, die man benutzt, um eine Dienstleistung zu verkaufen. Sie haben juristische und öffentliche Konsequenzen, die alle zu spüren bekommen haben und bekommen werden.

Die Begriffe wissenschaftlich nachgewiesen und medizinisch notwendig führen zu der Annahme, dass über wissenschaftliche und medizinische Ethik Rechenschaft abgelegt wurde. Doch im Fall von Autismus werden diese Termini für eine Behandlung verwendet, die auf Ethik nicht überprüft und nicht angefochten wurde.

Die Ethik der Autismus-ABA-Industrie anzufechten, erfordert, dass Autist*innen als Menschen in Besitz von Menschenrechten gesehen werden. Wir leben nicht in einer Gesellschaft, die das anerkennt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der Autist*innen nur dann Rechte haben, falls und wenn wir Nicht-Autist*innen gleichen.

Das ist ähnlich wie schwarz zu sein in einer Gesellschaft, in der Schwarze Rechte haben, so lange sie weiß werden.

Meine Parlamentsabgeordnete sagte mir neulich, dass Leute beiläufig und automatisch annehmen, dass sie lieber weiß wäre, und fälschlicherweise glauben, das wäre eine Verbesserung – also ist meine Analogie vielleicht keine falsche Gleichung. Dass sozialer Erfolg von Autist*innen ungeachtet unserer Fähigkeiten dürftig bleibt, stimmt mit dem der Menschen überein, die keine Rechte haben und einer ethischen Berücksichtigung nicht wert sind. Eine Behandlung, die aus schwarzen Menschen weiße machen soll, und damit begründet wird, dass Weißsein statistisch gesehen viel besser ist, ist in dieser Gesellschaft undenkbar, geschweige denn auf Kosten der Steuerzahlenden finanzierbar.

Im Gegenteil, wir erkennen an, dass der beste und der günstigste Weg, mit Menschen umzugehen, denen aufgrund ihres Andersseins Rechte vorenthalten wurden, die Wiederherstellung dieser Rechte ist. Nur wenn Menschen, die anders sind, gesetzliche Rechte und Menschenrechte haben, kann man sie ethisch erforschen und ihnen ethisch helfen.

Bis das in Bezug auf Autismus passiert, können Behaviorist*innen nicht beurteilen, was eine Heilung von Autismus bedeutet und wie sie sich manifestieren könnte. Sie können auf keinen Fall wissen, ob eine Heilung von Autismus ein gutes oder ein schreckliches Ergebnis ist. Ihre Kriterien sind befangene Nebenprodukte von Menschenrechtsverletzungen und sind nicht vertrauenswürdig. Indem sie das Gegenteil vortäuschen, empfehlen sie, Autist*innen angemessenes menschliches Verhalten anzutrainieren, während sie selbst einige der maladaptivsten menschlichen Verhaltensweisen demonstrieren, die es gibt.







Zuletzt bearbeitet am 02.02.2022.

Michelle Dawson

Michelle Dawson ist eine Autismus-Forscherin, die sich leidenschaftlich für die Rechte autistischer Menschen engagiert. Seit 2003 arbeitet sie an der Autism Specialized Clinic of Hôpital Rivière-des-Prairies in Montreal, Quebec in Kanada. Dawson ist selbst autistisch. 2015 wurde sie von der Québec Human Rights and Youth Rights Commission als eine von 40 Personen geehrt, die in in den letzten 40 Jahren die Menschenrechte in Québec vorangebracht haben.